
Jetzt, das sich Nintendos einst so erfolgreicher Konsolen-Leithammel dem Ende seines Lebenszyklus' nähert, sind Hardware und Produkte zunehmend mit einem kritischen Stigma behaftet: In einer Zeit, in der selbst Xbox360- und PS3-Grafik betagt zu wirken beginnen, da erscheint es uns nach dem Einschalten der Wii fast schon, als würde man uns in eine andere Spiele-Epoche beamen. Eine Epoche, in der superhoch aufgelöste Texturen, HDTV und lebensecht animierte Polygon-Protagonisten noch ein schöner Traum waren und die berüchtigten 'Scan-Lines' der vorletzten Fernseh-Generation eine Selbstverständlichkeit. Die konsolistischen Stars dieser Epochen waren PlayStation 2, Xbox und Nintendos Gamecube, die Spiele-Topseller wiederum waren japanische Großaufgebote á la "Resident Evil 4" oder "Shadow of the Colossus", auch fernöstliche Rollenspiel- bzw. Adventure-Koste Marke Marke "Final Fantasy" stand hoch in der Gamer-Gunst.
Als Nintendo Ende 2006 mit der Wii den Gamecube-Nachfolger vermarktet, ist längst eine neue Konsolen-Epoche angebrochen und die Machtblöcke des Marktes sind dabei, sich drastisch zu verschieben: Microsofts Xbox 360, die bereits seit einem Jahr in den Ladenregalen steht, ist in Japan zwar eine ganz kleine Nummer (und auch das Europa-Geschäft läuft zunächst schleppend), aber beim US-Heimspiel gelingt es dem Windows-Hersteller, die Karten neu zu mischen und die Gerfätschaft besonders bei Core-Gamern zur Standard-Ausrüstung zu machen.
Damit folgt das Gates-Imperium zielstrebig dem Weg, den man vier Jahre zuvor mit der ersten Xbox zu ebnen begonnen hat: Der Konsolenmarkt wird zusehends verwestlich und nähert sich dem PC-Geschäft an. In einer Welt der High-Performance-Systeme sind westliche Drittanbieter-Riesen wie EA, Activision und Ubisoft zusehends auf das Multiplattform-Geschäft angewiesen, ehemals ausgesprochene PC-Titel finden wie selbstverständlich ihren Weg in den Kosmos der Konsolen, avancieren rasant zu den Top-Sellern der neuen Ära. Für die meisten japanischen Hersteller kommt diese Entwicklung einem Gau gleich: Während westliche Teams die neue Hardware-Struktur bereits durch ihre PC-Entwicklungen kennen, verlieren die japanischen Videospiel-Riesen von einst zusehends den Anschluss, investieren Unsummen in neue Technologien, nur um sich am Ende doch noch rasant wachsenden 'Wessis' wie Ubisoft Montreal geschlagen geben zu müssen.
In dieser für japanische Firmen mehr als schweren Zeit wagt Nintendo ein Experiment: Der Hersteller, der seit seinem 16Bit-Super-Nintendo keinen durchschlagenden Erfolg im Markt für stationäre Systeme hat verbuchen können, sieht sich in einer Situation, in der er das technische Wettrüsten mit Microsoft oder Sony unmöglich gewinnen kann. Denn: Nintendo ist Spielzeughersteller, und kein Hardware-Architekt. Also setzt man auf die gerade anfangs größte Schwäche der HD-Monster: Sie sind zu teuer. Trotz ihres horrenden Einführungspreises sind Xbox 360 bzw. PS3 bereits in der Herstellung so kostspielig, dass Microsoft und Sony mit jeder verkauften Konsole Minus machen. Darum geht man bei Nintendo den umgekehrten Weg: Man packt die bereits erprobte Gamecube-Technik in eine neue Chassis, taktet den Prozessor eine Spur schneller und veredelt das ganze mit einem ungewöhnlichen Kontroll-Konzept. Die Technik in der Wii ist zwar bereits zum Zeitpunkt ihrer Markteinführung veraltet, aber die Hardware ist dadurch günstiger als ihre Mitbewerber: Der Konzern macht von Anfang Gewinn. Obendrein will die kleine Wii keinen teuren HDTV, ohne den XBox 360 und PS3 ihren Grafiktrumpf nicht voll ausspielen können. Kaum verwunderlich also, dass anfangs unter den meisten Weihnachtsbäumen die günstige und familienfreundliche Wii landet, und mit ihr Starttitel á la "Wii Sports", die dem zunächst belächelten Controller-Konzept schnell zum Siegeszug verhelfen.
Während Microsoft und Sony noch damit beschäftigt sind, den HDTV-Markt zu erschließen (letztere vor allem durch ihr anfangs von massiven Startschwierigkeiten gezeichnetes Bluray-Medium), profitiert Nintendo vom Abgesang der vorangegangenen Technik-Generation, erschließt ganz nebenbei einen neuen Markt für Casual-Gamer und ist zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder der unangefochtene Konsolen-Platzhirsch.
Aber dann kommt alles ganz anders: Apple definiert mit iPod, iPhone und iPad ein neues Lebens- und Spielgefühl, bereits 2011 werden die Geschicke für den Casual-Gamer-Markt nicht mehr von Kyoto, sondern von Cupertino aus gelenkt. Und schließlich rächt sich einmal mehr ein Problem, unter dem Nintendo schon lange leidet: Nintendo-Hardware wird für Nintendo-Spiele gemacht, für Drittanbieter erweist sich die Entwicklung häufig als zwispältig. Da macht auch die Wii keine Ausnahme: Nach der ersten Welle teils schrottiger Casual-Games hat sich die erfolgreiche Konsole abermals als ausgesprochener Nintendo-Only-Playground erwiesen. Offensichtlich gelingt es nur dem Hardware-Hersteller selber, die vermeintlich verheißungsvolle Motion-Control-Technologie so einzusetzen, dass sie nicht nervt. Sieht man mal von Erfolgen wie Ubisofts "Raving Rabbids" oder unserem einheimischen "Schlag den Raab" ab, dann erweist sich die Wii vor allem als würdige Heimat für Mario, Link, Samus Aran & Co., während andere Hersteller fast ausnahmslos an dem Versuch scheitern, das System ebenfalls mit solchen Marken zu beglücken, die auch echte Gamer verzücken. Ein Umstand, der nicht zuletzt der Tatsache zu verdanken ist, dass (wie bereits weiter oben angedeutet) sich aufwändige, Millionen schwere Produktionen für Drittanbieter nur dann auszahlen, wenn sie für mehr als ein System entwickelt werden können – ein Umstand, der ein Dreigestirn aus PC-, XBox360- und PS3-Fassung zur gängigen Publishing-Taktik macht. Für die Wii dagegen lassen sich erfolgreichen HD-Titel wie ein "Assassin's Creed", "Darksiders" oder "Skyrim" nicht umsetzen. Möglich ist hier allenfalls die Entwicklung eines Wii-exklusiven Spinoffs, wie im Falle von Ubisofts "Prince of Persia: Die vergessene Zeit" geschehen, bei dem 360/PS3/PC- und Wii-Version nur den Namen gemein hatten, während sich hinter der Verpackung zwei gänzlich andere Spiele versteckten. Experimente wie dieses waren allerdings selten von Erfolg gekrönt: In der Regel lohnt es sich nicht, in die aufwändige Entwicklung eines Wii-exklusiven Core-Gamer-Titels zu investieren – es sei denn, man wäre Nintendo und damit zwangsläufig an die Performance des eigenen Systems gebunden.



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