Assassin's Creed Syndicate

Mit dem letzten Teil seiner erfolgreichen Meuchler-Mär hat sich Ubisoft mächtig in die Nesseln gesetzt: "Assassin's Creed Unity" kam unfertig und Bug-behaftet auf den Markt - auch nachhaltig ins Spiel geflickte Online-Updates konnten die Abenteuer des französischen Assassinen Arno nicht mehr vor dem Zorn der Serien-Fans retten.
Umso mehr war man darauf bedacht, beim Nachfolger alles richtig zu machen: "Assassin's Creed: Syndicate" ist die vielleicht letzte Chance für den Konzern, das angekratze Image seiner wertvollsten Marke wieder zu reparieren.


Und tatsächlich: Der Schauplatzwechsel von der französischen Revolution ins London des 19. Jahrhunderts geht mit einem Paradigmenwechsel bei Spiel-Stabilität und Design-seitiger Gründlichkeit einher. Wenn der neue Front-Assassine Jacob Frye oder seine ebenfalls spielbare Zwillingsschwester Evie die Klinkersteinbauten erklimmen, dann erweist sich die einst anfällige Klettermechanik als angenehm zuverlässig. Außerdem ist klarer, welches Spiel-Element wo hingehört - diese Episode wirkt angenehm aufgeräumt und entschlackt.

Außerdem verpasst das federführende Ubisoft-Sutido in Quebec dem Abenteuer einen ganz neuen Impuls in Sachen Agilität: Freiheitliche und dreidimensionale Fortbewegung war schon immer ein wichtiges Merkmale der Serie. Schleichen, Gehen, Laufen, Klettern und das Überwinden kleinerer bist größerer Hindernisse: Die Design-Konventionen, die dafür heutzutage gelten - die hat Ubisoft mit seiner "Assassin's Creed"-Reihe überhaupt erst erfunden. Wo andere Helden zu Fuß waren, da sind die französisch-kanadischen Assassinen nur so durch ihre Umgebung geschwebt. Und flink wie Eichhörnchen von einem Gebäude zum nächsten gesprungen, um gleich darauf in schwindelerregende Höhn zu kraxeln. Aber weil Ubisoft gerade zu sklavisch an der etablierten Bewegungs- und Spiel-Rezeptur festgehalten hat, fühlt sich die inzwischen etwas eingerostet an - und ihre Helden geradezu arthritisch. Darum hat man das Manöver-Repertoire der Meuchler jetzt gehörig aufgemöbelt: Wie der Batman aus den "Arkham"-Spielen von Rocksteady bewegen sich die Geschwister Frye nicht nur kletternd, außerdem dürfen sie den Greihaken auspacken. Das famose Werkzeug ist mit einem langen Seil gekoppelt und macht beim Verschießen automatisch an Elementen wie Haus-Simsen, Erkern, Vorsprüngen oder Schornsteinen fest. Auf diese Weise überwinden die Assassinen in Windeseileile selbst höchste Höhen und weit auseinander klaffende Häuserschluchten. Ubisoft erweitert sein Parkour-artiges Bewegungssystem also um ein superheldisches Element: Nicht nur die Assassinen selber nähern sich allmählich der Moderne - auch ihr spielerisches Fundament wird zusehends von Altlasten befreit.



Das war auch bitter nötig, denn mit London präsentiert Ubisoft den bisher komplexesten Serienschauplatz - und der schreit geradezu nach einem flexiblen, zuverlässigen System zur freien Erkundung der gigantischen Spielwelt. Mit Hilfe von Historikern hat Ubisofts Grafiker-Heer ein extrem lebendiges Szenario geschaffen und die spätviktorianische Metropole akkurat nachbildet. Mitsamt all ihrer erkletterbaren Wahrzeichen, Häfen, Dampfschiffe, Kutschen und Züge, über deren Dächer die meuchelnden Sektierer springen und hasten. Zum Beispiel dann, wenn sie sich mit ihren pöbelnden Widersachern packende Verfolgungsjagden liefern.

Die Fieslinge dienen dabei Serien-typisch dem Templer-Orden, mit dem sich die Assassinen seit den Tagen ihres orientalischen Gründers Altair im zwölften Jahrhundert bekriegen: Ein besonders grausamer Templer-Großmeister hat die rußverhangene Welthauptstadt im Würgegriff - und den sollen die beiden Fryes fix ausschalten. Eine anspruchsvollere Story hat "Syndicate" nicht in petto, auch hier war Reduktion die Devise.
Praktischerweise kommen die Schurken alle mit schicken roten Melonen und roten Jäckchen: Damit die Assassinen auch auf den ersten Blick erkennen, wo sie ihre tödlichen Talente einsetzen müssen. Letztere lassen sich wie in "Unity" stufenweise steigern - damit der Kampf um die Vorherrschaft des britischen Empires noch spannender und abwechslungsreicher wird. Dabei setzt Ubisoft zum ersten Mal seit Serien-Beginn auf zwei unterschiedliche Spiel-Stile: Jacob ist der wilde Haudrauf, Evie die Leisetreterin. Wer beide Figuren gemäß ihrer Talente aufbaut, der ist für jede Situation ideal gerüstet. Denn meistens darf der Spieler beliebig zwischen den beiden Protagonisten wechseln.

Dennoch sind die beiden Profi-Killer nicht auf sich allein gestellt: Ein ganzes Netzwerk aus Waisenkindern, Gangs und Personen in Schlüsselpositionen arbeitet den Frye-Zwilligen zu - darunter History-Promis wie Charles Dickens oder Evolutions-Lehrmeister Darwin. Tatsächlich kommandieren die Fryes sogar ihre Eigene Gang: Die "Rooks" sind willfährige Schläger, die sich auf Button-Kommando und mit Todesverachtung auf jedes vom Spieler gewählte Ziel stürzen. Mit der Eroberung jedes weiteren Stadtviertels steigt der Einfluss der Bande und ihrer Assassinen-Meister.

Der einzige Wermutstropen ist der zugunsten der Spiel-Stabilität zurückgefahrene Detailgrad der grafischen Kulisse: Das "Syndicate"-London sieht nicht gar so überwältigend aus wie das virtualisierte Paris aus "Unity". Ein Umstand, der zumindest teilweise dem Schauplatz selber geschuldet ist: Das früh-industrielle London war eben nicht so verspielt konstruiert oder dekoriert wie das Paris des 18. Jahrhunderts. Ubisoft bedient mit seinem Schauplatz kein romantisiertes Industrie- oder Steampunk-Ideal, stattdessen wird das Szenario realistisch abgebildet. Das "Syndicate"-London ist ein verruster, feuchter, deprimierender und vor Dreck starrender Moloch. Immerhin: Berühmte Wahrzeichen wie der Tower, Big Ben oder Westminster Abby sind auch zu dieser Zeit faszinierend. Und dürfen hier obendrein ebenso freiheitlich erkundet wie erklommen werden.

Kurzum: "Assassin's Creed: Syndicate" hat das Zeug, den guten Ruf der Serie wiederherzustellen.


9.0

sehr gut

Grafik: sehr gut

Sound: gut

Steuerung: sehr gut

Spielspaß: sehr gut



PS4, Xbox One, PC

von Ubisoft Quebec

ab 16 Jahren

für Fortgeschrittene und Profis

für einen Spieler


im Handel

ca.  60 Euro.