In meiner Hölle: "Hellblade – Senua's Sacrifice"

Dieses Spiel ist der nackte Wahnsinn: "Hellblade" von "Heavenly Sword"-Macher Ninja Theory schickt die Kelten-Kriegerin Senua in eine Spiele-Hölle, in der die Grenzen von Realität und Alptraum verschwimmen.

 


 

Das für seine virtuosen Kampfspiele bekannte Games-Studio Ninja Theory versucht sich an einem ehrgeizigen Experiment: "Hellblade: Senua's Sacrifice" ist die erste Independent-Veröffentlichung des sonst im Blockbuster-Bereich beheimateten Entwicklers – gleichzeitig soll der Höllen-Trip einer jungen Kelten-Kriegerin mit Hilfe filmreifer Mimik die emotionalen Grenzen des Spiele-Mediums ausloten.

 

Und tatsächlich: Wer an der Seite der keltischen Kriegerin Senua einen mythologischen Höllentrip erleben will, der bekommt zwar auch Kampfspiel- und Adventure-Elemente geboten - aber im Fokus steht die Psyche der Heldin, die im Angesicht mythischer Bestien und dunkler Magie immer mehr geistige Substanz einbüßt. Um den nervlichen "Abrieb" Senuas so realistisch wie möglich darzustellen, hat Ninja Theory die hauseigene Video-Expertin und Schauspielerin Melina Jürgens zahllose Stunden ins Motion-Capture-Studio geschickt - außerdem wurde in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern ein komplexes Psychogramm der labilen Heldin entwickelt. Das Ergebnis ist ein Konterfei, dem man deutlich ansieht, dass es sein Päckchen zu tragen hat: Senua blickt sich gehetzt um, verzieht auf fast animalische Weise den Mund und ist kaum fähig, mit ihren ständig umher rollenden Pupillen einen festen Punkt zu fixieren. Außerdem wird sie von einem ganzen Tross aus plappernden, wispernden und niemals verstummenden Gedanken-Stimmen begleitet, die nahezu jede Aktion der Kriegerin ängstlich bis entrüstet kommentieren. Für den Spieler ist diese Erfahrung ähnlich anstrengend wie für Senua selber - aber dadurch auch umso authentischer.



 

Nicht ganz so souverän gibt sich "Hellblade" auf spielerischer Seite: Die gelegentlichen Schwertkampf-Duelle spielen sich klobig und anspruchslos, die sonst das Gameplay-Bild bestimmende Suche nach mystischen Runen-Symbolen ist wegen fehlender Orientierungshilfen schlicht nervig. Interessant ist dabei immerhin der ungewöhnliche Sterbe- und Game-Over-Mechanismus des Spiels: Verlorene Gefechte enden nicht mit dem Ableben der Heldin - stattdessen treiben sie eine in Senua schwelende Krankheit weiter voran. Erreicht die schwarze, Fäulnis-artige Erscheinung schließlich den Kopf der Kelten-Amazone, wird der komplette Abenteuer-Fortschritt zurückgesetzt und der Spielstand eliminiert - alles nochmal von vorne! Allerdings häufen sich inzwischen Hinweise darauf, dass es sich bei dem eigenwilligen "Perma-Death"-Feature lediglich um einen Bluff handelt: So berichten zahlreiche Spieler davon, dass sich Senuas Krankheit in jedem Fall nur bis zu einem bestimmten Punkt entwickelt – und der wird offenbar nicht von der kämpferischen Kompetenz des Spielers, sondern Senuas Geschichte vorgeschrieben.

All das macht "Hellblade" zu einem ungewöhnlichen Gesamterlebnis, das irgendwo zwischen imposanter Grafikdemo sowie interaktiver Trauma-Studie verortet ist und bei dem man niemals weiß, wo die Realität aufhört beziehungsweise der persönliche Alptraum der Heldin beginnt. Als Spiel erreicht "Hellblade" dagegen leider nur Mittelmaß: So ist es den Entwicklern zwar gelungen, den Leidensweg ihrer zunehmend verstörten Protagonistin glaubwürdig zu illustrieren – aber ihn außerdem in passende Spielmechanismen zu übertragen, das hat man nicht geschafft. Schade. Trotzdem ist man hier als Medien-Fan gut beraten, zugunsten der sensationellen Inszenierung ausnahmsweise auf geschliffenes Gameplay zu verzichten  – denn die Umsetzung von Senuas marodem Geisteszustand ist den Abstieg in die keltische Hölle allemal wert. Am Ende ist "Hellblade" eher ein behutsam interaktiviertes Spektakel als ein echtes Game.