Die Serien-Seuche geht um – oder warum es für "Watchmen" beim Film bleiben sollte

 

Gute Geschichten brauchen Raum, um sich zu entfalten… richtig? Als Comic-Leser ist man geneigt, diesen Ausspruch sofort als Tatsache zu akzeptieren – denn nirgendwo ist die Serie als Standard-Format so etabliert wie in der Welt der zwar "bewegten", aber nicht animierten Bilder. Egal ob es dabei um fast schon antike Formate wie "Tarzan", "Tibor" bzw. "Akim" oder Peyos Abenteuer von "Johann & Pfiffikus" geht – der Erfolg in Serie ist seit jeher ein beliebtes Konzept. Und das nicht von ungefähr: Helden und die sie umgebende Welt zu entwickeln, ist eine Menge Arbeit – und sie mit viel Schweiß sowie Werbe-Aufwand am Markt zu etablieren, ein geradezu herkulisches Unterfangen. Was wäre also naheliegender, als Marken weiter zu betreiben, die ihre Funktionalität und ihr Markt-Potential bereits unter Beweis gestellt haben?

Auch für den Leser hat das Format Vorteile: Er kann immer wieder in die Welten lieb gewonnener Figuren abtauchen – mit seinen Helden lachen, mit ihnen weinen und vollständig mit dem bekannten Szenario verschmelzen. Entsprechend beliebt sind Serien auch im Fernsehen: Seit Jahren schicken sich hochwertig produzierte Reihen wie „Game of Thrones“ oder „Penny Dreadful“ an, der ehemaligen Erlebnis-Plattform Kino den Rang abzulaufen – für Streaming-Betreiber wie Netflix oder amazon Video ist das Format Serie das Salz in der Suppe. Das Konzept dahinter: Die kostbare und meist knapp bemessene Freizeit der Kunden um jeden Preis an die eigene Distributions-Plattform für den Digital-Vertrieb der teuer produzierten Inhalte binden. Dabei geht es nicht so sehr um die von den Zuschauern gezahlten Abo-Beträge als vielmehr um die Zahl der aktiven Abonnenten: Die schnellt zum Start attraktiver Serien oder neuer Staffeln sprungartig in die Höhe und sorgt dafür, dass die Analysten- sowie Börsen-seitige Bewertung der Firma ebenfalls steigt – oft unabhängig davon, über wie viel reelles, also "hartes" Kapital das Unternehmen tatsächlich verfügt.

Für die Umsetzung als TV-Serie besonders beliebt sind solche Inhalte, die sich mit Hilfe eines anderen Mediums bereits bewiesen haben – darunter naturgemäß Comics (überwiegend aus dem Superhelden-Segment), aber auch Romane und natürlich Film-Marken, die jetzt eine Neu-Interpretation erfahren… Folge für Folge für Folge.

Ganz ähnlich soll es bald dem Alben-Klassiker "Watchmen" ergehen: "Game of Thrones"-Macher HBO hat Interesse angemeldet, Alan Moores Superhelden-kritische Comic-Vorlage in eine TV-Serie zu verwandeln – federführender Showrunner wäre dabei der durch seine Arbeit an "Lost", "Leftovers" und "Prometheus" bekannte Autor Damon Lindelof. "Watchmen" wurde bereits von "Man of Steel"- und "Sucker Punch"-Regisseur Zack Snyder verfilmt – aber die Adaption des Stoffes durch den jüngst bei DC ausgeschiedenen Filme-Macher ist bei vielen Fans der Vorlage nicht auf sonderlich viel Gegenliebe gestoßen. Aber warum eigentlich? Snyders cineastische Umsetzung des zwar bedeutungsschwangeren, aber auch zutiefst ironischen Stoffes krankt wie so viele Comics an einer förmlich über die Seiten wuchernden Komplexität – und die macht eine würdige Umsetzung als zweistündiger Spielfilm scheinbar unmöglich. Vorausgesetzt natürlich, man erwartet unter "Umsetzung" eine Bild-für-Bild-Portierung des Stoffes. Ebenso wie Leser von früher ist es der Serien-verwöhnte Zuschauer von heute gewöhnt, dass er in ausschweifenden und verschwenderisch ausstaffierten Geschichten geradezu ertränkt wird. Formate wie Marvels "Daredevil" oder "Jessica Jones" setzen so sehr auf den zur Verfügung gestellten Erzähl-Raum, dass die zur Schau gestellte Ruhe und Langsamkeit der rund einstündigen Folgen fast schon provokant wirkt. Inzwischen schwärmen und huschen ihre Superhelden-Kollegen aus dem für die Leinwand konzipierten „Marvel Cinematic Universe" wie aufgeregte Insekten durcheinander… immer emsig darum bemüht, keine kostbare Filmsekunde ohne Action oder zumindest bedeutungsschwangere Rede verstreichen zu lassen – denn Kino-Zeit ist nahezu unbezahlbar. Filme setzen heute auf ähnliche Mechanismen wie Serien – biedern sich dem neuen Leitmedium an, um konkurrenzfähig zu bleiben. Jede der vergleichsweise knappen 100 bis 150 Minuten müssen zwanghaft mit Content gefüllt werden –Verschnaufpausen unerwünscht. Außerdem geht es darum, die letzte große Trumpfkarte auszuspielen, die man gegenüber dem Medium Serie noch in der Hand hat: die des imposanteren Effekt- und CGI-Gewitters. Darum ist der Kino-Blockbuster von heute eine nicht enden wollende Kakophonie aus Blitzen und Donnerschlägen, die Trommelfelle und Netzhäute des Zuschauers oft genauso zerstört zurück lassen wie seinen Geist ratlos. Die zunehmende Unlust des Zuschauers, sein auf bequeme Netflix-Dimensionen angeschwollenes Sitzfleisch in Richtung "Lichtspielhaus" zu wuchten, veranlasst die Filmanbieter dazu, genau die Sorte Event-Ride aufzufahren, der sie am Ende noch mehr Zuschauer kostet.

Wie angenehm entschleunigt und fast schon besinnlich wirkt da Snyders "Watchmen"-Verfilmung, weil sie den Mut hat, seiner ureigensten Rezeption der Materie den Vorzug zu geben und sie auf eine Visualisierung von deren Kernaussage zu verdichten. Genau so muss eine gelungene Film-Umsetzung aussehen: Das Original verstehen und gemäß des eigenen Vorlagen-Verständnisses neu interpretieren. Das macht eine ECHTE Umsetzung zugleich unendlich interessanter als eine stumpfsinnige Nacherzählung: Das Werk aus der Perspektive eines anderen (in diesem Fall der Regisseur und / oder Drehbuchautor) erleben und ihm dadurch neue Facetten abgewinnen können – genau darum geht es hier. Schade nur, dass diese früher noch selbstverständliche Art der Werks-Adaption und -Rezeption verloren zu gehen scheint – denn der Zuschauer wird heute mit so viel Stoff bombardiert, dass er das Reflektieren vor lauter Konsumieren zusehends verlernt. Darum bin ich mir auch nicht sicher, ob ich mich darüber freuen oder ärgern soll, dass "Watchmen" vielleicht bald in Serie geht und Snyders unterschätzter Film darüber zwangsläufig in Vergessenheit geraten wird. Warum auch sich mit einem komplizierten Werk weiter auseinandersetzen, wenn man stattdessen in derselben Zeit neue Inhalte in sich aufsagen kann? Ich erinnere mich an eine Zeit, in der ich wie ein Verdurstender jedem neuen fantastischen oder futuristischen Film, jeder verwandten Serie, jedem Comic und jedem Roman entgegengefiebert habe. Heute dagegen werde ich unter einem gigantischen Berg aus Popkultur verschüttet, ohne den einzelnen Werken die Aufmerksamkeit schenken zu können, die so vielen von ihnen vermutlich verdient hätten.

In dieser Zeit wirken Comics (zumindest die Exemplare, die kein Produkt des wuchernden Superhelden-Monstrums sind) auf mich immer mehr wie Relikte aus der Vergangenheit, weil sich so viele von ihnen die fast schon kindliche Begeisterung der Autoren und Zeichner für ihr eigenes Medium bewahrt haben. Wenn ich durch ihre Seiten blättere, dann höre ich noch nicht das ohrenbetäubende Rattern der Vermarktungs-Maschinerie, sondern das Flüstern ihrer oft feinsinnigen und geistvollen Schöpfer, die mir genau die Sorte spannender Geschichten ins Ohr flüstern, für die ich das Medium vor langer Zeit so lieben gelernt habe. Gute Nacht.