Auf dem Rücken des Drachen: Xenoblade Chronicles 2


 

Sprüche-klopfende Teenage-Helden, niedliche Monster-Sidekicks, Kontinente auf dem Rücken riesiger Titanen und grasige Ebenen wie auf der "Heidi"-Alm: Mit "Xenoblade Chronicles 2" liefert Nintendo nach "Zelda" und "Super Mario Odyssey" das dritte große Switch-Spiel für 2017. Leider ist das Rollenspiel vom Genre-Experten Monolith so ultra-japanisch, dass man ihm nicht mal eine deutsche Tonspur spendiert hat: Viel Bürokratie, ein regelrechtes Gewitter aus Tutorial-Texten und quietschbunte Anime-Grafik machen das Spiel zum Must-have für Japan-Gourmets - aber viele Fans von "Witcher", "Fallout" & Co. können dem Kulleraugen-Spektakel nur wenig abgewinnen.

Denn wie viele Abenteuer fernöstlicher Couleur wurde auch "Xenoblade Chronicles 2" vor allem mit der einheimischen Kundschaft im Blick konzipiert: Hin und wieder kokettiert man zwar mit westlichen Spiel-Mechanismen - aber die meisten Innovationen dienen nur dem Zweck, das strenge japanische Rollenspiel-Korsett zu verfeinern anstatt es auch hin und wieder mal aufzubrechen. Das Resultat ist ein schwer verdaulicher Brocken, den sich nur solche Spieler auf den Teller packen, die dank jahrelanger Übung auf japanische Kost eingestellt sind.

Jammerschade, denn das ungewöhnliche Szenario des Spiels hätte das Zeug zum Klassiker jenseits eng gesteckter Genre-Grenzen: Die Heimatwelt von Held Rex ist von einem nahezu undurchdringlichen und lebensfeindlichen Wolkenmeer bedeckt. Der einzige verbleibende Lebensraum findet sich auf dem Rücken gigantischer, Drachen-ähnlicher Lebewesen - der Titanen. Rex selber gehört zu einer Berufsklasse, die sich perfekt auf die Eigenheiten dieser Umgebung eingestellt hat: Sie stürzen sich mit einer Art Taucherrüstung in die Tiefen der wallenden Wolken-Zuckerwatte. Dort forschen sie nach den Hinterlassenschaften einer versunkenen Zivilisation, um die Beute anschließend wieder zu verkaufen.

 



 

Wer in dieser ungewöhnlichen Welt überleben will, der muss nicht nur ordentlich austeilen können - im Idealfall weiß er auch noch eine "Klinge" auf seiner Seite: Das sind auf Unterstützungs-Zauber spezialisierte Charaktere, die mit Hilfe mächtiger Magie zum Leben erweckt werden und danach an ihren Partner gebunden sind. Im Fall von Rex ist es vor allem die niedliche "Pyra", die Monstern und feindlichen Truppen tüchtig einheizt, sobald der Held sein wuchtiges Schwert blank zieht. Nur wer das Zusammenspiel mit der "Klinge" und ihren Fähigkeiten beherrscht, hat in der wuchernden Flora und Fauna der "Xenoblade"-Welt eine Chance: Denn die weitläufigen Spielgebiete werden neben allerlei Schlachtvieh auch von gefährlichen Brocken bewohnt. Die sind gerne mal 70 oder 80 Stufen stärker als die eigenen Helden und können das Charakter-Gespann buchstäblich von der Landkarte schnauben. Zum Glück ist das Spiel an dieser Stelle angenehm verzeihlich: Gestorben wird zwar schnell, aber nach dem Ableben landen Rex, Pyra und ihre Reisegefährten wieder beim letzten Rücksetzpunkt - und das, ohne dabei irgendwelche Erfahrungspunkte oder Habseligkeiten verloren zu haben.

Weniger zahm ist dagegen das Kampfsystem an sich: Wie in einem Online-Rollenspiel wird automatisch drauf los gedroschen - aber die Kampfspiel-artigen Spezial-Talente und ihre Verkettung zu meistern, das ist eine Wissenschaft für sich. An dieser Stelle überladen die Entwickler den Bildschirm derart mit Effekten, Anzeigen und Quicktime-Reaktionstests, dass viele Spieler frustriert das Handtuch werfen.

Wer allerdings mit der Reizüberflutung klar kommt und der übermächtigen Buchhaltung des Spiels bereitwillig die Stirn bietet, der erlebt eine interessante und liebevoll ausgearbeitete Spielwelt, die von größtenteils wunderschön modellierten Kreaturen bewohnt wird. Schnitzer wie ein verkorkstes Orientierungssystem und die nervige Überlänge der meisten Kämpfe trüben den Spielspaß etwas - doch unter den rar gewordenen japanischen Rollenspiel-Vertretern siedelt sich "Xenoblade Chronicles 2" trotzdem auf den oberen Rängen ein.

 


MEINUNG:

 

Robert Bannert: Nein, so hundertprozentig glücklich bin ich mit "Xenoblade Chronicles 2" nicht – dafür merkt man dem Spiel einfach an zu vielen Stellen an, dass es noch ein gutes halbes (wenn nicht gleich ganzes) Jahr gebraucht hätte, um wirklich und wahrhaftig fertig zu sein. Das äußert sich u.a. in einer inkonsistenten Art Direction, vieeeeel zu langatmigen Kämpfen, einer konfusen Wegfindung und einem gnadenlos überfrachteten Regelsystem. Gerade das müsste man dringend mal entschlacken und auf ein paar Fokuspunkte festtackern. So ist's leider eine mitunter ziemlich mühselige Geschichte, die nicht ganz so viel Spaß macht, wie sie eigentlich sollte – denn Potential hat das neue Abenteuer von Monolith jede Menge: Eine faszinierende Spielwelt, interessante (wenn auch stark Klischee-behaftete) Figuren und einige wunderschöne Schauplätze wecken immer wieder den Rollenspiel- und Japan-Nerd in mir. Aber nach ein paar Stunden fällt die Motivations-Kurve dann wieder wie Blei nach unten, weil die Spielerfahrung einfach so unglaublich anstrengend ist. Und zwar nicht auf diese Suchterscheinungen provozierende "Mist, schon wieder drauf gegangen – aber jetzt zeig ich's Euch!"-Art wie bei einem "Elex" oder "Dark Souls"… sondern viel eher wie bei einem zwar sehr guten, aber schwer lesbaren Buch. Die Sorte anspruchsvoller Schmöker, bei dem man sich mühsam Seite für Seite voran kämpfen musst, obwohl man genau weiß, dass man eigentlich jede Seite gebannt verschlingen sollte. Darum befürchte ich, dass "Xenoblade Chronicles 2" bei mir für unbestimmte Zeit auf dem To-Do-Stapel derjenigen Spiele landen wird, bei denen ich mir zwar ständig vornehme, sie zu lösen – die aber letztlich liegen bleiben, weil es immer wieder andere Titel gibt, die im Grunde zwar schwächer sind, aber einfach mehr Spaß machen. Und das ist sehr, sehr schade.