Gefangen im Märchenwald: "Ori and the Will of the Wisps"


 

Ganze fünf Jahre nach seinem Debüt erlebt Jump'n'Run-Glühwürmchen Ori sein zweites Abenteuer: Wir verraten Euch, warum Teil 2 des magischen Metroidvania-Märchens noch stärker ist als der Vorgänger und das Zeug zum Genre-Klassiker hat.

 

KRITIK • Xbox One, PC • Jump'n'Runs oder horizontal scrollende Abenteuer mit hohem Hüpfspiel- und Rätsel-Anteil stehen schon seit Jahren wieder hoch im Kurs. Nach dem Niedergang des klassischen 2D-Spiels und im Zuge der 3D-Revolution galt die klassische Seitwärts-Hopserei als nahezu ausgestorben, aber prominente Indie-Projekte haben den horizontalen Hupf wieder salonfähig und vor allem lukrativ gemacht. Nintendos Reaktion war eine ganze Reihe klassisch gepolter 2D-Marios - und selbst Xbox-Hersteller Microsoft hatte die (springfidelen) Zeichen der Zeit erkannt. Zum Beispiel, indem man selber damit anfing, entsprechende Indie-Projekte zu sponsoren.

Wie das 2015 veröffentlichte "Ori and the Blind Forest" aus den österreichischen Moon-Studios. Das zeigte gekonnt, wie ein modernes, hoch-budgetiertes 2D-Jump'n'Run auf Blockbuster-Niveau aussehen kann. Die einzigen Wermutstropfen in dem sonst zauberhaften Genre-Cocktail aus Hüpfspiel-Klassik und Adventure-Rätseln: ein barbarisch hoher Schwierigkeitsgrad und einige viel zu verkopfte Gameplay-Mechanismen. Beide sorgten dafür, das so mancher, eigentlich verzauberte Gamer das zuckersüße Spiel nach anfänglichem "Aaaaaaah!!!" und "Ooooooh!!!" frustriert wieder aus Hand zu legte.

Darum haben die Entwickler für den gerade erschienenen Nachfolger tüchtig entschlackt: "Ori and the Will of the Wisps" nimmt alle Zutaten, die den Vorgänger so beliebt gemacht haben und subtrahiert außerdem dessen fummelige Feature-Schwere. Statt manuell erstellten Savepoints und einem komplexen Erfahrungssystem gibt es jetzt großzügig über die Spielwelt verteilte Speicher-Stationen und Händler, bei denen man neue Fähigkeiten einkauft. Obendrein bieten die Moon Studios zu Spielbeginn drei verschiedene Schwierigkeitsgrade an, damit sich das Frust-Erlebnis - auf Wunsch - in Grenzen hält.

 



 

Und tatsächlich: Indem die Entwickler diese wichtigen Drehschrauben gelockert haben, ist "Ori" jetzt endlich das Spiel, dass es bereits 2015 hätte sein sollen. Während eine wunderschöne, im Stil früher Don-Bluth-Zeichentrickfilme gehaltene Comic-Welt das Auge erfreut, plätschert eine bombastische bis meditative Sound-Kulissen aus Heimkino oder Headset und freut sich das Spieler-Hirn über griffiges, angenehm forderndes Jump'n'Run-Abenteuer, dessen offene Spiel-Struktur Erinnerungen an Nintendos beliebte "Metroid"-Reihe weckt. Denn allzu häufig muss man in bereits bereiste Spielgebiete zurück, weil Titelheld Ori eine neue Fähigkeit dazu bekommen hat, mit deren Hilfe sich ein zuvor unzugänglicher Bereich öffnen lässt. Darunter zum Beispiel der Genre-typische Doppelsprung, eine Lichtschwert-ähnliche Bewaffnung oder die Fähigkeit, sich um Stangen und Stecken herumzuwinden und dabei Schwung für einen besonders weiten Sprung nach oben zu sammeln. Eine simple, schematische Übersichtskarte hilft bei der Orientierung in der märchenhaften Spielwelt, hätte allerdings gerne detailreicher ausfallen können.

Dafür geizt das Spiel selber nicht mit visuellen Details und Effekten: Was im Vorgänger oft nur angedeutet wurde, haben die Entwickler jetzt bis zum letzten Pixel ausgearbeitet. Das Resultat ist ein prachtvoll ausgeleuchtetes, auf mehreren, versetzt scrollenden Ebenen angesiedeltes Jump'n'Run-Prachtstück, das 2D- und 3D-Elemente so homogen miteinander vermischt, das man oft kaum erkennen kann, wo die eine Darstellungs-Technik aufhört und die anderen anfängt.

Die Erzählung ist dabei gewohnt seicht und berichtet davon, wie sich Held Ori zusammen mit seiner Eulenfreundin Ku in einem besonders finsteren Teil des Märchenwaldes verirrt - entsprechend einfacher fällt es dem Spieler, sich auf den audiovisuellen Sog der wunderschönen Welt und das diesmal angenehm eingängige Gameplay einzulassen. Wieder gibt es viel zu entdecken, aber diesmal wirkt Oris Abenteuer nicht so überfrachtet.

Wie im ersten Teil verständigen sich Ori und seine Freunde einem fiktiven, aber durchweg deutsch untertitelten Brabbel-Sprech, Sprachausgabe im eigentlichen Sinne gibt es aber keine.

(Robert Bannert)

 

Note: 9.0 (SEHR GUT)

 

 


WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend