PS4, Xbox One, PC • Im echten Leben hat Gammelfleisch ein Verfallsdatum, aber für Konsole und PC holt man es immer wieder gerne aus dem (Kühl-)Schrank: Über 20 Jahre nach seinem Debüt gräbt
Capcom den zweiten Teil seiner legendären Survival-Horror-Reihe aus der Mottenkiste, um ihm Remake zu verpassen. Doch anders als bei Teil 1 oder 4 begnügt man sich nicht damit, dem Grafik ein
behutsames Makeover und der Steuerung ein paar neue Komfort-Optionen zu verpassen. Stattdessen interpretiert man "Resi 2" mithilfe aktueller Technologie komplett neu: Aus den einst
grobschlächtigen 3D-Klötzen Claire Redfield und Leon Kennedy - zwischen denen man wie gewohnt zu Spielbeginn sein Konterfei wählt - werden plastische Persönlichkeiten mit nahezu lebensechter
Mimik, denen man die Furcht im Angesicht von Umbrellas lebenden Toten besser ansieht denn je.
Bei Handlung und Gameplay dagegen setzt Hersteller Capcom voll auf den noch immer grassierenden Retro-Virus: Obwohl die beiden Helden modern aussehen, spielen sie sich wie in alten Zeiten. Oder
passender: Sie spielen sich so, wie man es in Erinnerung hat. Denn wer den Grusel-Oldtimer von 1998 noch mal in die seine verstaubte PSone-Konsole steckt, der wird sich - bei aller Liebe -
eingestehen müssen, dass der altehrwürdige Meilenstein nicht nur optisch, sondern gerade spielerisch ein echter Zombie ist. Darum nimmt Capcom die wichtigsten Kontroll-Bausteine des
Genre-Großvaters und modernisiert sie so behutsam, dass sich zwar einerseits ein wohliges Retro-Gefühl, aber andererseits kein Frust einstellt.
So kommt es, dass man beim ersten Starten der Untoten-Auferstehung das Gefühl hat, als würde man wie anno dazumal durch die klaustrophobisch engen Korridore einer Polizei-Station irren und
fieberhaft nach Munition, Heilkräutern oder Schlüsseln forschen. Und das, während jederzeit 150 Pfund zähnefletschendes, hungrig knurrendes Gammelfleisch um die Ecke biegen können. Anders als
beim Ego-perspektivischen "Resident Evill 7" schaut der Spieler seinem Alter Ego dabei wieder über die Schulter und muss pixelgenau zielen, wenn er den kompostierten Brocken einen Kopfschuss
verpassen will - denn nur so lässt sich der Bio-Sondermüll der bösen Umbrella Corporation dauerhaft entsorgen.
Die ist natürlich nach wie vor dafür verantwortlich, dass über dem ehemals friedlichen Raccoon City Rauchsäulen aufsteigen und anstelle braver Bürger Untote durch die Straßen wandeln, die auf
Schritt und Tritt ihre Einzelteile verlieren. Nicht mal die Polizeistation ist vor den Ekel-Gestalten sicher: Hier wollten Claire und Leon eigentlich Zuflucht finden, aber stattdessen hat sich
das einstige Museum in ein teuflisches Labyrinth voller verschlossener Türen, sabbernder Monster und fast schon absurd altmodischer Objekt-Puzzles verwandelt. Denn ebenso wie 1998 lebt "Resident
Evil 2" auch 2019 nicht nur vom Management knapper Überlebens-Ressourcen und Zombie-Zerteilung - noch wichtiger sind die hinterlistigen Rätsel des Spiels. Darunter Schlüssellöcher mit
verschiedenen Siegeln, die mit den passenden Schlüssel gefüttert werden wollen. Oder Wappen, die es im Fuß einer Statue zu versenken gilt, um einen alten Geheimgang zu öffnen. Ebenso wie jede
Menge Tresore, Truhen und Spinde, deren Schlösser sich nur mit dem passenden Code knacken lassen. Sowie natürlich jede Menge Karten oder Notizen, die den stattlichen Papierkrieg des Spiels weiter
vergrößern.
Und für all das gibt es nur eine Hand voller Ausrüstungs-Fächer, in denen der Spieler seine Fundstücke verstauen kann: Ein Heil-Spray, ein medizinisches Kraut, eine Keyboard-lose Taste, ein Arm
aus Porzellan, ein elektronischer Mini-Tresor, Munition, mehr Munition, ein Schlüssel und ein paar zusammen getackerte Bretter, mit denen sich offene Fenster verrammeln lassen. Wer mehr Platz
braucht, der sieht sich entweder nach einer zusätzlichen Tasche um oder er verstaut unnützen Kram in den Tiefen einer Truhe. Denn auch hier bleibt sich der Klassiker treu: Über Polizeistation,
Tiefgaragen und andere Schauplätze verteilt finden sich nicht nur Schreibmaschinen zum manuellen Speichern des Spielfortschritts - auch bodenlose Lagertruhen stehen bereit. Und die enthalten auf
magische Weise all das, was man zuvor in einer anderen, viele hundert Meter weit entfernten Kiste untergebracht hat. Logik aus dem Spiele-Mittelalter.
Durch diese Mechanismen wirkt Capcoms Blei- und Splatter-geladenes Grusical zwar antiquiert, aber das im besten Sinne: Obwohl das Action-Adventure eine Menge Design-Blödsinn im Schlepptau hat,
den man während der beiden letzten Jahrzehnte zu Recht ausrangiert hat, bildet seine entschleunigte und angenehm kantige Horror-Spielwiese heute ein willkommenes Gegengewicht zum glatt polierten
Blockbuster-Gewitter. Trotzdem darf es beim nächsten Mal gerne wieder ein neues "Resident Evil" sein: Warum die Serie, deren Fan-Schar sich größtenteils aus Retro-Fans rekrutiert, nicht auf genau
diese Weise weiterführen? Allerdings darf es dann gerne wieder etwas gruseliger werden, denn für Schock oder Schauer sorgt "Resident Evil 2" nicht.
Note: 8.5 (SEHR GUT)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend
Persönliche Meinung (Robert Bannert):
Als 1996 das erste "Resi" erschien und auf meinen Schreibtisch in der MAN!AC- bzw. M!Games-Redaktion flatterte, hätte ich nie gedacht, dass daraus ein Megahit wird: Ich fand die Grafik
grauenvoll (und das nicht im Horror-Sinne, sondern einfach MIES), die Rätsel lachhaft und Steuerung bzw. Kämpfe so krampfig, dass mir die Worte fehlten, um dieses Elend in meinem Meinungskasten
zu beschreiben. Der Abschuss waren für mich aber die Tür-Ladepausen, die viele Fans noch heute als kultig empfinden – denn ich reagierte schon damals äußerst allergisch auf jede Art von
Ladepausen-Hölle. Spielfluss und Spielspaß? Nicht in diesem Game! Also votierte ich Wertungs-seitig für einen mittleren oder hohen 60er, wurde dann aber soweit von den Kollegen überstimmt, dass
ich eine 78 drunter schrieb. Als ich dann die gedruckte Ausgabe auf den Tisch bekam, stand auf einmal eine 80 oder 81 drunter, glaube ich… von der damaligen Chefredaktion – bestehend
aus Martin Gaksch und Winnie Forster – im letzten Moment hochverbessert. Vermutlich, weil sie sich die stundenlange Diskussion mit einem trotzigen, zu dieser Zeit gerade mal 22-jährigen
Robert ersparen wollten.
Rückblickend bin ich ihnen dafür sogar dankbar, denn ein "Sündenfall Resident Evil" hätte mich vermutlich noch weit hartnäckiger verfolgt als meine legendäre "Shadow of the Colossus"-Wertung
mit 77 Prozent. Allerdings hat sich meine persönliche Meinung über das "Resi"-Debüt bis heute nur marginal geändert: Auch nach diversen Remakes kann ich dem Titel nicht viel abgewinnen – und
ich hab's Videospielgott weiß SEHR oft versucht.
Wirklich GENIESSEN konnte ich ein "Resident Evil" zum ersten Mal mit "Code Veronica" auf der Dreamcast… aber erste Sympathien stellten sich bereits mit "Resident Evil 2" ein, das mir vor
allem in Sachen Dramaturgie, Abwechslung und Dynamik WESENTLICH besser gefiel als der – meiner Ansicht nach – dröge Erstling. Auch wenn ich diese ganze
Bio-Manschpansch-Umbrella-nocheinblödsinnigerTwist-Tentakel-Zombie-Story bis heute für eine Ausgeburt unfassbarer Verblödung halte. Aber als Spiel hat mich das Ding abgeholt – abgesehen von
den Ladepausen natürlich…
Und über 20 Jahre später? Bin ich immer noch zwiegespalten: Die Handlung ist natürlich ebenso wie die Charaktere nicht intelligenter geworden und die Puzzle-Logik, die ich bereits 1998 für
absurd hielt, ist 2019 erst recht ein Unding. Oder besser noch: Die tut so dermaßen weh, dass mein Gehirn regelmäßig Selbstmord begehen möchte. Aber in den Zeitfenstern zwischen Gehirnkoma und
Wiederbelebung des allzu kritischen Denkapparats befindet er sich in genau der Sorte retrospektiven Dahindämmerns, in der er jedes noch so große ABER zur Seite kehren, sich wohlig in die
Schädeldecke des 90er-Jahre-Roberts kuscheln und darüber freuen kann, dass "Resident Evil" jetzt endlich so funktioniert, wie es vermutlich von Anfang an gedacht war. "Oh, ein neues Spiel? Das
macht ja richtig Spaß – und gut aussehen tut es auch noch!"
Von dieser Warte aus betrachtet, kann sich das komatöse Hirn darüber freuen, dass man hier jede Menge Ressourcen in die Wiederauferstehung eines Spiels gesteckt hat, dass es sowieso schon
gibt – anstatt eine ordentliche Fortsetzung zu produzieren. Und tatsächlich macht mir das "Resi 2"-Remake deutlich mehr Spaß als "Resident Evil 7", mit dem ich mich trotz vieler bemühter
Versuche noch immer nicht so recht anfreunden kann. Wie damals. Aber vielleicht bekommt das ja in 20 Jahren auch ein Remake, das mich dann doch noch abholt.