Total egal? Unsere Filmkritik zu "Spy x Family Code: White"


 

FILMKRITIK • Sie sind die perfekte Familie – zumindest scheint es so. Loid ist Super-Spion und Yor ist seine Tarnung. Yor ist die perfekte Killerin und Loid ist ihre Tarnung. Alles klar soweit? Zusammen haben sie die fünfjährige Anya adoptiert, die Gedanken lesen kann. Und dann wäre da noch Familienhund Bond (stilecht mit schwarzer Fliege), der jetzt nach einem entgleisten Experiment in die Zukunft schauen kann.


Ihre Mission: eine Feier an Anyas Schule zu infiltrieren. Hierfür muss die Kleine den anstehenden Kochwettbewerb gewinnen. Denn Loids Nachforschungen haben ergeben, dass der Schul-Direktor, seines Zeichens Chef der Jury, eine Lieblings-Torte hat, die nur in einem kleinen Bergdorf gebacken wird. Also macht sich die ganze Bande auf den Weg in die Berge, um die Köstlichkeit zu probieren, damit Anya sie erfolgreich nachbacken kann. Allerdings hat auch der fiese Oberst Snidel (Ja, der heißt wirklich so!) ein Auge auf die Torte geworfen. Eine wilde Jagd beginnt, in der alle Klischees des klassischen Spionage-Action-Thrillers bedient werden – von "James Bond" bis "Mission: Impossible". Nur hängt hier die Rettung der Welt an einem Stück Torte.


Lecker! Und ganz schön verrückt, oder? Wie Ihr sicher schon anhand der Promo-Bilder erahnt, ist "Spy x Family" ein Anime – also ein japanischer Zeichentrick-Film. Will heißen: Mit den Gesetzen der Realität nimmt man es hier nicht ganz so genau wie beim europäischen Autoren-Film. Und bereits die filmischen Vorbilder haben die irdische Physik stark gebeugt – etwa wenn im Roger-Moore-Abenteuer "The Spy Who Loved Me" ein umgebauter Öltanker ganze U-Boote "frisst". Und wenn nun im Anime alles möglich ist, ist dann nicht auch alles egal? Und wenn alles egal ist, ist ein solcher Film dann überhaupt noch spannend?


Hier kommt es darauf an, wie viel Gewicht die überdrehten Elemente innerhalb des Plots haben. Der weissagende Hund etwa kommt nur sehr sporadisch zum Einsatz. Da er nicht sprechen kann, ist Telepathin Anya die Einzige, die seine Voraussagen empfängt – und die muss sie natürlich geheimhalten, da sonst die ganze Familien-Verschwörung aufzufliegen droht. Stattdessen werden seine Visionen eingesetzt um subtil Spannung zu erzeugen. So sind etwa im Kuchen-Restaurant keine Tiere erlaubt, sodass der Flohsack draußen angeleint bleiben muss. Er kann also keine Warnung abgeben, als der verfressene Oberst das Lokal betritt. Trotzdem kann er den anstehenden Ärger dem Publikum mitteilen, sodass wir die noch ahnungslose Spion-Familie schon mal ordentlich bedauern können.

 



 

Der Kuchen selbst ist ein sogenannter McGuffin. Ein Begriff, den Alfred Hitchcock gern benutzte. Bei seinen Spionage-Thrillern ging es oft darum, ein kleines Objekt zu erhaschen – meist versteckt in einem Koffer. Dabei wurde dieses Objekt so gut wie nie eingesetzt oder gar gezeigt – die eigentliche Handlung drehte sich immer um die Jagd selbst – nicht um das Objekt. So hätte sich letztlich alles mögliche in dem Koffer befinden – sei es nun eine Dechiffrier-Maschine vom Typ Enigma oder Lecter, ein atomarer Abschuss-Code, die mysteriöse NOC-Liste oder Marcellus Wallace' Seele – letztlich war es egal. Warum also nicht auch ein Stück Torte?


Die verfeindeten Nationen in dieser Welt wiederum heißen Westalis und Ostalis. Und ja, das ist tatsächlich so einfach, wie es klingt. Wenn auch nicht unbedingt glaubwürdig – aber auch dieses Element dient dem Zweck, die Handlung zu entschlacken, damit wir uns als Zuschauer auf das Wesentlich konzentrieren können. Diese Vereinfachungen schaden also nicht der Kern-Geschichte, sodern höchstens dem weiteren Umfeld. Schön ist dabei, dass der Film im gezeigten Konflikt keine klare Position bezieht. Bekämpft wird hier nicht ein verfeindetes Regime, sondern lediglich der außer Kontrolle geratene Oberst Snidel, der danach trachtet, das empfindliche Gleichgewicht zwischen den beiden Mächten zu stören. Freundlicherweise verkneift man sich für beide Seiten unnötige Todesopfer.


Und ja, natürlich mündet auch hier all der nackte Wahnsinn im unvermeidlichen Endkampf – auch wenn der für Anime-Verhältnisse relativ geerdet wirkt, kommen hier doch "nur" Messer und "normale" Schusswaffen zum Einsatz. So schafft "Spy x Family" den empfindlichen Spagat zwischen Anime-typischer Überdrehtheit auf der einen und Eskapismus-Entschlackung auf der anderen Seite und bleibt innerhalb seines selbstgesteckten Rahmens zumindest einigermaßen glaubwürdig – schon alleine deshalb, weil alle Protagonisten ihren Rollen treu blieben. Die fünfjährige Anya kämpft eben nicht mit, sondern verhält sich wie ein Kind. Sie spielt mit dem Hund, freut sich über das leckere Essen und sorgt immer wieder für Auflockerung. Insgesamt erfindet der Film das Anime-Rad also nicht neu, sorgt aber doch für 110 Minuten verrückte und überraschend (in sich) stimmige Agenten-Unterhaltung. Optisches Highlight sind dabei übrigens keine Action-Eskapaden, sondern die besonders lecker und plastisch gezeichneten Speisen. Mjam! (Martin Nagel)


"SPY x FAMILY CODE: White" läuft ab 23. März 2024 in ausgewählten Kinos, wahlweise in deutscher Synchronisation oder im japanischen Originalton mit Untertiteln. Danach wird der Film über den auf Animes spezialisierten Streaming-Dienst Crunchyroll abrufbar sein.