Kolumne: Shades of Difficulty

Oder: Nur die Harten kommen in den Garten

OBEN: "Dark Souls" bzw. "Dark Souls 2" haben bockschwere Spiele wieder salonfähig gemacht. UNTEN: Auch der deutsche Entwickler Deck 13 setzt mit seinem Next-Gen-RPG "Lords of the Fallen" auf "Härter als die Polizei erlaubt. In seinem neuen 'Challenge'-Trailer bewirbt man das prachtvolle Scharmützel mit dem Verslein "Every victory is born from defeat".

 

Wie haben Sie Ihr Brot am liebsten? Weich und labberig oder so hart, dass Ihnen beim Reinbeißen die Vorderzähne ausfallen? Sind Sie mehr der Schlabber-Toast- oder der Vollkorn-Knäcke-Typ? Hören Sie auf der Autobahn lieber Kuschel-Rock oder Death-Metal á la "Bolt Thrower"? Der sich so richtig schön zäh in die Gehörgänge sägt und dann das Gehirn verflüssigt. Und wo wir schon mal dabei sind: Wie halten Sie es mit dem Liebesspiel? Schmusen und behutsames Fummeln bei Kerzenschein – oder doch eher Folter- und Fesselspiele Marke "Shades of Grey"?

 

Wer sein Kreuzchen bei "Vollkorn-Knäcke", "Bolt Thrower" und "Fesselspiele" macht, der spielt vermutlich auch "Dark Souls 2": Der Nachfolger zum beinharten Schlachtfest von Japano-Entwickler "From Software" befeuert dieser Tage einmal mehr die uralte Debatte um den idealen Schwierigkeitsgrad – um den Drahtseilakt zwischen Herausforderung und Motivation, zwischen Frustration und Entertainment. Wie kompliziert soll, darf und vor allem MUSS ein Spiel sein, um entweder möglichst viele Kunden zu erreichen oder zumindest eine ganz bestimmte Zielgruppe?

 

Obwohl diese Frage noch immer polarisiert, gibt es offenkundig eine überraschend große Lobby für den japanischen Exitus-Marathon: Immerhin 2,8 Mio. mal hat sich das Schlachtfest verkauft. Das ist mehr als fünfmal so viel wie From von seiner gesamten "King's Field"-Reihe absetzen konnte – und die galt neben "Armored Core" früher als die "Cash-Cow" des Studios. Eines Studios, das damals nicht wegen seiner hohen Produktqualität überlebt hat (denn die ist tatsächlich eher durchwachsen), sondern weil es mit schöner Konsequenz auf die "Frühchen"-Takitk gesetzt hat. Will heißen: Man veröffentlicht vor allem dann, wenn eine Hardware neu am Markt ist und die Spieler so sehr auf Nachschub versessen sind, dass sie den Früh-Ankömmlingen die erstaunlichsten Verfehlungen nachsehen. Und selbst die offensichtlichsten Bugs als Feature schönreden.

 

Obwohl die Veröffentlichung von "Dark Souls" (2011) nicht auf den Anfang eines Generations-Zyklus fällt, ist seine Erfolgsgeschichte annähernd vergleichbar – denn auch hier setzte man geschickt auf Nische und bediente eine Sparte, in der ein Mangel herrschte – ein Mangel an retrospektiv gepolter Profi-Kost. Auf einmal erscheint der chronische Mangel an Komfort, durch den sich Froms Serie (vermeintlich bewusst) auszeichnet, attraktiv. "Dark Souls" ist plump, archaisch und will Baby-Schrittchen für Baby-Schrittchen erkundet werden. Wer hier überleben möchte, der bewegt sich nur mit vorgehaltenem Schild durch die finsteren Gänge und lugt angstvoll um jede Ecke.

 

Doch wie ist es überhaupt dazu gekommen? Wie kann es sein, dass sich ein Spiel allein über seinen Schwierigkeitsgrad definiert? Dass aus "Härter als die Spiele-Polizei erlaubt" ein USP, ein 'Unique Selling Point' wird? Üblich ist, dass sich Spiele heute entweder darum bemühen, für möglichst viele potentielle Käufer zugänglich zu sein – oder dass sie zumindest mehrere Schwierigkeitsgrade anbieten. Für jeden Geschmack einen. Luschen fahren bei "Easy" gemütlich spazieren, während die Hartwürste bei abenteuerlichen Einstufungen wie "Ultra Hard" oder "Nightmare" das Pedal durchtreten und sich so fest anschnallen, dass jeder Tropfen Blut aus dem Gehirn weicht. Wäre hier ja sowieso nur hinderlich: Nicht auf den Verstand, sondern den puren, unverfälschten Instinkt kommt es an! Und überhaupt: Wenn es darum geht, vor anderen Zockern zu protzen, dann will niemand zugeben, dass er auf "Warmduscher" spielt. Allerdings ist gepflegtes Luschentum inzwischen auch deutlich schwieriger zu verbergen als früher: Dank Rundum-Vernetzung und Gamerscore bzw. PSN-Trophäen ist es für jeden ein Leichtes, die Aussage des anderen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen. "Halo 4? Ja, klar – das habe ich auch auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad durchgespielt!" "Ach ja, wirklich? Und warum hast Du dann nur den Weichei-Erfolg?"

Auch MMORPGs funktionieren nach diesem Prinzip: Hier trägt jeder Spieler sein Kompetenz-Zeugnis deutlich lesbar vor sich hier. Peter ist "Barbar der 23. Stufe", Martin nur Krieger auf Level 9. Ein MMO ohne diese Klassen- und Punkte-Sticker ist kaum vorstellbar, denn gerade Multiplayer-Spiele leben vom Wettbewerb.

Adventures wiederum definieren ihren Schwierigkeitsgrad häufig nicht über ein Menü, sondern über die schiere Menge an freispielbaren Extras: Landratten setzen ihren Kurs bei "Assassin's Creed 4" geradeaus auf Ziel, echte Seebären dagegen graben auch auf der kleinsten Insel noch nach Schätzen und drehen jede Muschel einzeln um.

 

Aber warum wird unser Spielverhalten eigentlich derart von Erfolgshunger und – pardon – digitalem Penis-Neid bestimmt? Angeblich ist der Grund tief in unserer Psyche verankert: Menschen definieren ein Gros ihrer Selbstwahrnehmung und ihres Selbstwertgefühls über ihre Kompetenz. Darum sind sie regelrecht darauf versessen, "Messlatten" zu finden und ERfinden, mit deren Hilfe sie ihre Fähigkeiten einstufen, kategorisieren und etikettieren können. Und nichts eignet sich so gut dafür wie ein Punktestand, der die Kompetenzen entweder indirekt (z.B. per Gamerscore) oder direkt (in einem Multiplayer-Spiel) miteinander vergleicht. Doch dieser "Vermessungs-Wunsch" hat auch seine Tücken: Nicht jeder Spieler ist gleich gut – und wer die weniger guten permanent frustriert, der riskiert es, sie künftig nicht mehr als Kunden zu begrüßen. So hat Sony bereits zu PS2-Zeiten mit viel Aufwand Studien zum Thema Schwierigkeitsgrad und Durchspiel-Verhalten betrieben – mit dem niederschmetternden Ergebnis, dass zumindest damals fast zwei Drittel aller Spiele ungelöst, unverstanden und unergründet geblieben sind. Was viele Spieler heute als Entschärfung und Verweichlichung des Mediums verstehen, das ist eine direkte Folge solcher Studien. Offenbar machen wir wahnsinnig gerne einen auf "Dicke Hose" – doch wir möchten uns dafür nicht sonderlich anstrengen müssen.

 

Aber sind die Spiele von heute denn wirklich einfacher? Gestiegene Produktions-Budgets haben zwar die Notwendigkeit mitgebracht, immer mehr Kunden aus allen möglichen Alters- und Kompetenz-Gruppen anzusprechen, aber sind die Ergebnisse deshalb tatsächlich zu leicht? Ist ein "Call of Duty" eher für Warmduscher gemacht als ein "Doom"? Ein "Skyrim" anspruchsloser als ein "Ultima Underworld" bzw. "Dungeon Master"? Oder ist es nicht viel eher so, dass moderne Spiele einfach ausgereifter und besser ausbalanciert sind? Die frühen "Insert Coin to continue"-Tage haben wir längst hinter uns gelassen (wenn wir das artverwandte Free2Play-Konzept mal außer Acht lassen), und in den Entwicklungs-Studios sitzen längst nicht mehr die autodidaktischen Nerds aus der Ära der Garagen-Entwicklung – stattdessen sind hier speziell für die Spiele-Entwicklung geschulte Profis am Werk, die in der zweiten, dritten oder sogar vierten Generation digitale Welten erschaffen. Dabei können sie auf einen ganz anderen Erfahrungsschatz zurückgreifen als ihre "Ahnen", außerdem müssen sie sich nicht mehr im selben Maße mit technischen Pioniers-Aufgaben herumschlagen. Wer heute ein "Dungeon Master"entwickeln will, der muss nicht erst herausfinden wie er das anstellt. Und er kann dabei auf einen gigantischen Fundus an Referenzen zugreifen. Die verraten ihm, wie man es machen sollte – und wie nicht.

 

Vieles von dem, was wir heute als "leicht" empfinden, das war früher vor allem deshalb "schwer", weil es weniger Komfort geboten hat. Heute werden wir bei "Dungeon Siege 3" und den "Fable"-Spielen von einer goldenen Perlenschnur zum Missionsziel geleitet, bei "Eye of the Beholder" und "Wizardry 6" mussten wir zwecks Orientierung zu Karopapier greifen und Karten kritzeln. Heute verraten uns Online-Tagebücher welche Jobs noch zu erledigen sind und eine Karte, wo es neue gibt – früher mussten wir die Missionsgeber mühsam selber aufspüren und die Auftragsdetails in ein ECHTES Notizbuch schreiben. Bei "Eye of the Beholder 3" z.B. war der Bossgegner dermaßen hart, dass wir unsere Charaktere per Editor frisiert haben, um ihn zu besiegen – das Kunststück auf "ehrlichem" Wege zu schaffen, das grenzte an eine Lebensaufgabe. Spieler waren also von Natur aus dichter am Spiel als es der durchschnittliche Konsument heute ist – haben frisiert, mit Mogel-Modulen für Doping-Affären gesorgt und betrogen, dass sich die Pixelbalken biegen . Denn die Designer haben oft nicht für, sondern gegen den Spieler gearbeitet. Manchmal mit Absicht, aber viel öfter aus purer Unwissenheit: Usability-Tests waren ebenso selten wie vergleichbare Erfahrungswerte.

 

Ein "Dark Souls" funktioniert also deshalb so gut, weil es eine Remineszenz an diese Zeit ist und in unserer Erinnerung Bilder heraufbeschwört, die uns heute erstrebenswerter erscheinen als sie es eigentlich waren. Das ist ungefähr so, als würde man über 20 Jahre hinweg mit der selben alten Rostlaube zur Arbeit fahren – doch hat man sie erstmal gegen einen neuen Wagen mit massig Schnickschnack und Komfort getauscht, dann vermisst man sie auf einmal. Scharten, Narben und Frust prägen uns alltägliches Leben stärker als positive Erfahrungen – und sie zu überstehen, das macht uns erst zu dem, was wir sind. Darum bleiben sie uns meist auch länger im Gedächtnis – und werden mit der Zeit auf eigentümliche Weise positiv gefärbt. Ein Trick unseres Verstandes übrigens, der sich nicht ständig mit negativ besetzten Gefühlen rumärgern möchte – er ist nämlich genauso faul wie wir. So wird aus dem "ARGH!!!!!" beim Endgegner-Gefecht von 1994 in 2014 ein reumütig geseufztes "AAAAAAH". Besonders logisch ist das nicht – aber zutiefst menschlich. Und derart betrachtet ist ein "Dark Souls" vermutlich das menschlichste Spiel der letzten Jahre – und gerade deshalb so erfolgreich. Doch in Wahrheit betrügt es uns dabei auf grandiose Weise: "Schwierig" – das bedeutet hier in Wahrheit nämlich "viel Fleißarbeit". From zitiert die Spiele von früher geschickt, aber es stellt sie nicht wirklich nach. Es tut nur so. Und wir können uns wieder mal ein bisschen "potenter" fühlen, wenn wir es bezwungen haben.

 

Doch wünschen wir uns deshalb allen Ernstes, dass in naher Zukunft alle anderen Spiele einen ähnlichen Weg einschlagen? Ganz sicher nicht – denn knallhart erscheinen kann uns ein Spiel wie "Dark Souls" nur dann, wenn die anderen einfacher sind. Ohne Kontraste geht die Rechnung nicht auf. Und ganz schön nerven würde es außerdem.