Pralle Bäckchen, scharfe Schwerter und glitschige Tentakel: "Stellar Blade" wirkt altmodisch auf mehreren Ebenen. Die dralle Fleischbeschau schlägt gerade große Wellen in der Gamer-Welt. Was ist da los? Und wie spielt sich das Game überhaupt? Kneifen wir den Po zusammen und finden wir es heraus!
KRITIK • PS5 • KRITIK • PS5 • Hui, Heldin Eve ist aber ganz schön sexy! Da spannt sich das Leder über pralle Rundungen und beim typisch männlichen Stubenhocker setzt reflexartiger Speichelfluss ein, während die Hand vom Controller in tiefere Regionen wandert. "Sex sells" ist hier die Maxime, erfahrene Zocker fühlen sich zurück in frühere Jahrzehnte versetzt, als der platte Sexismus eines "Dead or Alive Beach Volleyball" quasi an der Tagesordnung war. Doch wenn wir diese "dunklen Zeiten" überwunden haben und Frauen heute alles sein können, dürfen sie dann nicht auch sexy sein? Wir finden ja – auch wenn wir damit auf journalistischer Flur recht einsam dazustehen scheinen. Ein Großteil der Vorberichterstattung zu "Stellar Blade" bestand aus empörten Buh-Rufen über Eves (vermeintlich zu) locker sitzende Klamotten. "Ragebait" nennt man das gemeinhin. Man wirft ein kontroverses Thema in den Ring und lässt Trolle beiderlei Lager sich gegenseitig in den Kommentarspalten und auf Social Media-Plattformen zerfleischen. Die dabei gewonnenen Klicks erhöhen die Reichweite und sorgen für Werbe-Einnahmen. Mit seriösem Journalismus oder gesunder Debattenkultur hat das nichts zu tun, aber es zahlt die Rechnungen. Mehr als nur etwas zu kurz gekommen sind dabei für unser Empfinden leider Debatten über die spielerischen Qualitäten von "Stellar Blade". Halb so wild, denn dafür sind wir ja da (und so bescheiden obendrein)!
Mit schwitzigen Händen greifen wir also zum Controller. Der Beginn von "Stellar Blade" versetzt uns in den Weltraum, genauer gesagt in den erdnahen Orbit einer nicht näher benannten Zukunft. Der
Planet gehört uns nicht mehr, stattdessen herrschen hier die gefräßigen Naytibas. Um unsere Welt von den Tentakelwesen zurückzuerobern, wird Eves Einheit von Schlachtkreuzern aus in
Landungskapseln Richtung Oberfläche geballert, direkt in schweres Abwehr-Feuer hinein. Die Szene erinnert an Robert A. Heinlein's Roman "Starship Troopers", der hier den Begriff der "Life Ammo",
also der menschlichen Munition prägte. Dies wird nicht der einzige "Alles nur geklaut"-Moment sein, den der popkulturell bewanderte Zocker hier erleben mag. Die Musik und die melancholische
Grundstimmung erinnern z.B. frappierend an Yoko Taro's "Nier"-Serie. Erzählerisch wiederum wird uns ein Salat aus "Matrix", "Ghost in the Shell" und "Edge of Tomorrow" aufgetischt.
Als Eve die Trümmerteile der zu Klump geschossenen Rückeroberungs-Flotte um die Ohren brummen, merken wir: auch Exklusivtitel können verdammt sexy sein. Glasklarer 3D-Sound und hochwertige deutsche Sprachausgabe verwöhnen unsere heißen Ohren und präzise auf die Möglichkeiten des DualSense-Controllers abgestimmte Rumble-Effekte kitzeln die Bapp-Finger. Teils kaum spürbare SSD-Ladezeiten und Trophäen-Tipps geben ein Gefühl von Zuhause. Wie haben wir dieses PlayStation-Feeling vermisst! Frequenz und Qualität der Sony-Exklusivtitel haben in der aktuellen Konsolen-Generation arg gelitten. Sowohl "God of War: Ragnarök" als auch "Horizon: Forbidden West" fühlten sich mehr nach (wenn auch sehr umfangreichen) Add-Ons denn nach komplett eigenständigen Spielen an. "The Last of Us" indes bringt es bereits auf das zweite Remaster. Auch die Genre-Vielfalt hat spürbar abgenommen, reichte die Spanne zu PS3-Zeiten noch von "Killzone" bis "Motorstorm". Xbox-Fans fordern gar die Abschaffung der Exklusivtitel aufgrund von unlauterem Wettbewerb (auch wenn die selben Fans auf das Erscheinen von "Sea of Thieves" und "Hi-Fi Rush" auf Konkurrenz-Systemen weinerlich reagieren). Es ist also eine harte Zeit für Exklusivtitel, in der sich Eves Schnetzelei wie ein angenehmer "Blast from the Past" anfühlt.
Dabei hat – zum Glück – abseits aller Sexyness auch das Spiel selber etwas zu bieten: Wenn Eve die Tentakel-Brut mit leichtem oder schwerem Schwertschlag bearbeitet, Angriffe blockt oder mit geschmeidiger Ausweichrolle außer Angriffsreichweite manövriert, dann ist das zwar alles nicht sonderlich originell – aber das will und das muss es auch gar nicht. Genauso verhält es sich, wenn man über besonders fleißiges Schnetzeln Erfahrungspunkte sammelt, um unser hübsches Konterfei mithilfe freigeschalteter Spezialattacken oder Hilfs-Fähigkeiten in eine noch kompetentere Monster-Jägerin zu verwandeln. Ja, keine Frage, die Grundzutaten sind alle hinlänglich bekannt – ebenso wie die Möglichkeit, unsere Dame nicht nur stärker, sondern mit mithilfe gefundener Materialien NOCH fescher zu machen. Oder genauer: ihren Cosplay-Kleiderschrank noch besser zu füllen. Nur: Ist es wirklich so schlimm, dass die vier tragenden Säulen des Kampfsystems alle bekannt sind, wenn sie sich dabei so wunderbar schnell und direkt anfühlen und uns das System als Ganzes gekonnt motiviert? Ebenso wie die eklig-kreativen Gegner übrigens, die präzise auf die Manöver-Palette der Heldin zugeschnitten sind. Darunter auch eine sorgsam austarierte Schlag-Reichweite sowie angenehm griffige Zeitfenster für Konter und Paraden. Glücklicherweise bewegt sich unsere Dame nicht betont langsam oder staksig, um den Schwierigkeitsgrad künstlich in die Höhe zu treiben. Dennoch verlangt uns das Spiel taktisches Geschick und genaues Studium der feindlichen Bewegungsmuster ab. Selbst auf dem optionalen Story-Schwierigkeitsgrad segnen wir so manches Mal das Zeitliche. Speicherpunkte rufen Monster zurück ins Leben und füllen Estus-artige Trinkflaschen wieder auf. Auf dauerhafte Strafen wie den "Souls"-typischen Verlust von Menschlichkeit beim Ableben wird aber verzichtet.
Zugegeben, so ziemlich jedes Element aus dem "Stellar Blade"-Baukasten ist bereits bekannt – doch es ist die Mischung, die sich neu und frisch anfühlt. Kampf- und Bewegungsgefühl sind so dermaßen
gelungen, dass wir immer wieder gern auf die verbrannte Erde zurückkehren. Bitte mehr davon! Und zwar bald! (Martin Nagel)
elektrospieler meint: "Stellar Blade" ist angenehm altmodisch und angenehm sexy auf mehreren Ebenen. Flotte Schnetzeleien gesprenkelt mit leichten Rollenspiel-Elementen und etwas
Erkundung werden hier geben uns das lange vermisste "Dafür habe ich meine PS5 gekauft"-Gefühl zurück. Hoffen wir, dass "Stellar Blade" es schafft, den aufs Abstellgleis geratenen
Exklusivtitel-Zug wieder zurück in die richtige Spur zu bringen.
Note: 8.5 (SEHR GUT)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend