KRITIK • Wer heute das moderne Remake eines "Resident Evil"-Klassikers bespielt, der erlebt kein behäbiges Rangeln mit der berüchtigten Panzer-Steuerung von anno dazumal, sondern ein blitzschnelles Action-Spiel. Tatsächlich war die "Survival"-Komponente des "Survival Horror"-Genres schon immer untrennbar mit dem (schwer bewaffneten) Kampf gegen den Horror verknüpft. Zombie für Zombie und Patrone für Patrone. Denn nur wer ständig das Ableben seiner bis ins Pixel-Mark geschundenen Figur befürchten muss, fühlt auch echte Angst – so die Logik hinter Capcoms fast 28 Jahre alter, martialischer Virus-Bekämpfungs-Maschine.
Zugegeben: In frühen Serien-Jahren ist es manchmal vor allem die behäbige Steuerung der alten "Resi"-Klotzköpfe, die uns das ganz großé Fürchten lehrt. Denn wenn uns Zombies, Nemesis, Tyrant & Co. mal wieder zerfleischen oder zu blutigem Pixel-Klump kloppen, dann sind nicht selten die trägen Kontrollen unseres Alter Egos schuld – mehr noch vielleicht als unsere Zähne fletschenden und Tentakel-starrenden Widersacher.
Nur noch widerborstiger als die "Resi"-Avatare sind die Helden derjenigen Spiele, die 1992 den dreidimensionalen Horror-Stein überhaupt erst ins Rollen bringen: Edward Carnby oder Emily Hartwood aus Infogrames' "Alone in the Dark"-Grusical sollen das in den Sümpfen von Louisiana gelegene Herrenhaus "Derceto" erforschen. Während Edward im Auftrag eines Antiquitäten-Händlers nach einem kostbaren Klavier sucht, will Emily den Selbstmord ihres Onkels – des berühmten Künstlers Jeremy Hartwood – untersuchen, der sich auf dem Dachboden des Anwesens erhängt hat.
Das Besondere an "Alone in the Dark": Anders als für Vertreter dieser Adventure-Epoche üblich, sind Edward und Emily keine handgepixelten Helden, sondern bestehen aus nackten, untexturierten und "grob behauenen" Polygonen. Als Mitglieder der ganz frühen 3D-Klotzkopf-Fraktion wollen beide durch ein Labyrinth aus Räumen bzw. Korridoren (und manchmal sogar Hecken) navigiert werden, das zwar klassisch per Hand auf den Bildschirm gepixelt wurde, durch seine verschiedenartig gewählten Blickwinkel und seine passend zur jeweiligen Perspektive gerenderten 3D-Bewohner aber fast wie ein begehbarer Horror-Film wirkt. Zumindest für 1992er-Verhältnisse. Das spielt sich zwar manchmal genauso kantig wie es aussieht, ist in seiner darstellerischen Ausführung aber revolutionär – und obendrein kommt der technisch hochkarätige Grusel-Cocktail noch mit einer spannenden Schauer-Story mit starker Lovecraft-Schlagseite. Immerhin sollte das Spiel ursprünglich in Kooperation mit Chaosium Games entstehen und auf deren Pen-and-Paper-Rollenspiel "Call of Cthulhu" basieren. Mit der Lizenz hat's dann zwar nicht geklappt, aber macht nix: Auch ohne das offizielle Lovecraft-Etikett funktioniert "Alone in the Dark" hervorragend.
Doch den Sprung in die neue Games-Generation schafft die Infogrames-Marke nicht: Nach zwei Fortsetzungen, die mehr oder weniger auf dem selben technischen und spielerischen Grundgerüst aufbauen, übernimmt "Resident Evil" die Herrschaft über das interaktive Grauen. Die ersten Episoden von Capcoms Grusel-Serie sehen aus wie Trash-Film-Interpretationen von "Alone in the Dark". Statt atmosphärisch geschriebenem Lovecraft-Grusel vor verschwenderisch dekorierten 1920er-Kulissen locken viel moderne Action und vergleichsweise plumper Schocker-Horror, den Capcom mithilfe von vorgerenderten Räumen, Korridoren und Straßenzügen einfängt. Was viele "Resi"-Fans 1996 nicht ahnen: Das grundlegende Technik- und Gameplay-Gerüst hinter "Resident Evil" ist mit dem von "Alone in the Dark" nahezu identisch.
Trotzdem gibt man bei Infogrames (später unter dem Namen Atari) nicht auf: 2008 verwandelt man "Alone in the Dark" in eine laute und apokalyptische Action-Orgie inmitten eines ungewohnt modernen Szenarios, bei der Rätsel und Story-Feinsinn enttäuschend kurz kommen. Vielleicht, weil man glaubt, das breite Blockbuster-Publikum eher mit viel Kawumm als subtil inszeniertem Cthulhu-Grusel zu erreichen. Die Rechnung geht nicht auf: Fans der Original-Reihe reagieren verschnupft auf die neue Ausrichtung, während sich die meisten anderen über Bugs und unsaubere Technik aufregen. Ergebnis des erfolglosen Experiments: Es wird still um "Alone in the Dark". Zumindest so lange, bis …
… Embracer und THQ Nordic auf der Bildfläche erscheinen: Das schwedisch-österreichische Publishing-Konglomerat, das so gerne alte Games-Marken kauft, um sie dann neu zu veröffentlichen, versucht sich jetzt auch am Grusel-Großvater aus Frankreich. Das beschert Fans der Reihe u.a. einen digitalen "Alone in the Dark"-Vierer-Pack auf Steam – aber vor allem ein Quasi-Remake. Das erzählt den ersten Teil zwar nicht exakt nach, schafft es aber immerhin, die bekannten Schauplätze und Figuren für interessante bis grausige Erzählstränge neu zu arrangieren – inklusive einiger Gastauftritte aus Teil 2 und 3. So spielen die beiden klassischen "Alone in the Dark"-Helden Edward und Emily einmal mehr die erste Grusel-Geige, während wir entweder mit ihr (überzeugend gespielt von Jodie Comer) oder ihm (auch nett: David Harbour) nicht nur durch die Gänge der Spukvilla Derceto rätseln, sondern außerdem durch verschiedenen Erinnerungen taumeln: Züngeln auf einmal Flammen über die Wände eines Zimmers, während sich auf dem Boden gigantische Maden winden oder der Korridor auf einen Friedhof statt in den Weinkeller führt – dann wissen wir, dass wir einmal mehr im Gedächtnis des alten Südstaaten-Gemäuers oder aber im Kopf von Emilys Onkel Jeremy festhängen. Denn anders als im ursprünglichen "Alone in the Dark" von 1992 ist der noch immer quicklebendig – wenn auch zumindest ernsthaft selbstmordgefährdet und extrem verwirrt. Darum ist er auch Gast auf Derceto – in diesem Fall nicht sein eigenes Haus, sondern eine Art Sanatorium für die besonders betuchten Psycho-Patienten dieser Ära. Darunter zum Beispiel die kleine Grace, die besonders Spielern des zweiten "Alone in the Dark" ein Begriff ist. Oder die mysteriöse Elisabetta Perosi, die verblüffende Ähnlichkeit mit einer lange verstorbenen Namensvetterin hat, die vor Jahrzehnten in Derceto lebte, als das Anwesen noch eine Künstler-Kolonie war.
Und dann wäre da noch die frivole Femme Dandy Ruth Tallant, die immer dann aufzutauchen erscheint, wenn es etwas zu erklären oder zu verschleiern gibt und die in diesem "Alone in the Dark" so etwas wie einen immer wieder auftauchenden Herold zu verkörpern scheint. Kurzum: Derceto steckt voller widersprüchlicher und dysfunktionaler Figuren, die manchmal wirken, als hätte man sie zuerst aus dem Lehrbuch der Heldenreise und ihrer erzählerischen Archetypen kopiert, um sie anschließend ordentlich durcheinander zu wirbeln und auf Links zu drehen: Denn was immer wir auch in Derceto tun, am Ende sind wir doch immer die Opfer des grausen Gemäuers. Ganz gleich, wie viele Rätsel wir lösen, Gespräche wir führen, Mysterien wir enthüllen und widerliche Gestalten aus den tiefsten Eingeweiden der Erde wir auch in Stücke schießen – am Ende gewinnt (wie es sich für ein Abenteuer mit Lovecraft-Elementen gehört) immer der Wahnsinn, der hier bereits als integraler Bestandteil der Erzählung von Anfang an Methode hat und der selbst vermeintlichen Erfolgen einen wunderbar bittersüßen Beigeschmack verleiht.
Kurzum: In Derceto gibt es kein Happy-End. Was nicht bedeuten soll, dass die irrwitzig ineinander verschlungenen Erzählstränge dieser Hommage kein zufriedenstellendes Erlebnis vermitteln würden. Nein, sie führen uns ganz einfach so sehr an der Nase herum, dass wir nie wissen, was infernale Realität, was durch übernatürliche Kräfte herbeigeführte Illusion und was das Ergebnis eines irren (Drogen-)Trips oder eines durchgeknallten Gehirns ist. Das neue "Alone in the Dark" spielt virtuos mit unseren Erwartungen – darunter auch Elemente und Zitate aus dem Original-Spiel, deren neue Rolle selbst unser Verständnis der ursprünglichen Geschichte gelungen auf den Kopf stellt. Denn die größte Rolle in diesem "Alone in the Dark" spielen – das macht die Geschichte von Anfang deutlich – Erinnerungen: Die Erinnerungen unserer Protagonisten, die Erinnerugen aller anderen Figuren, die Erinnerungen des alten Gemäuers, durch das sie sich bewegen – und ja, sogar die Erinnerungen von uns Spielern an das, was ein "Alone in the Dark" unserer Meinung nach ausmachen sollte. Und weil Erinnerungen etwas sehr Persönliches sind, kann man sie ganz hervorragend manipulieren und mit ihnen spielen – bis zu dem Punkt, an dem wir die Gedächtnis-Fragmente eines anderen für unseren eigenen halten … wenn wir uns nur ausgiebig genug mit ihnen beschäftigen.
Zugegeben: Für unseren Geschmack hätte der schwedische Entwickler Pieces Interactive an dieser Stelle gerne noch verrückter werden können – trotzdem zeugt seine Reflexion des Originals und des ursprünglichen Quellen-Materials (Cthulhu-Mythos) von einem tiefen Verständnis der narrativen und spielerischen Genre-Wurzeln. Schade nur, dass sich diese gelungene Vorlagen-Aufarbeitung zwar auf die erzählerische und audiovisuelle Ebene des Abenteuers erstreckt, man bei der Neuauflage der Action-Elemente, die "Alone in the Dark" schon 1992 ausgezeichnet haben, aber eher unfreiwiliges als gezieltes Grauen verbreitet: Wenn Emily oder Edward zu Pistole, Schrotflinte, Tommy-Gun und Nahkampf-Prügel greifen müssen, dann stimmt zwar meistens das Timing, mit dem Mumien, Ghule oder monströse Krabbelviecher über uns herfallen – doch beim Handling der (Schieß-)Prügel, mit denen wir uns gegen diese Gestalten aus den Tiefen von Erde, Wasser oder Geist wehren, hätte man der Vorlage gerne deutlich mehr Weiterentwicklung gönnen dürfen. Zum Glück ist die Menge an Gefechten überschaubar und bewirft uns das Spiel derart aggressiv mit Munition bzw. Heil-Tinkturen, dass die meisten kämpferischen Konfrontationen mit dem Mythos-Horror eher schlichte Intermezzi als echte Herausforderungen sind. Zugegeben: Bereits 1992 gehörten souverän ausgeführte Gefechte nicht gerade zu den Stärken von "Alone in the Dark" – aber trotz ihrer knubbeligen Panzer-Steuerung und der vielen unnötigen Bildschirm-Tode, die sie unweigerlich provoziert haben waren auch sie damals eine kleine Revolution und gab es noch keine Referenz-Spiele, die es besser hinbekommen hätten. (Robert Bannert)
elektrospieler meint: THQ Nordics und Pieces' Quasi-Remake des Genre-Großvaters von 1992 geht respektvoll mit der Vorlage um und setzt auf eine fein gesponnene sowie (mehr oder weniger)
kunstvoll in sich verschlungene Schauermär, in die man geschickt jede Menge Anspielungen auf das Original und seine beiden Fortsetzungen eingewoben hat. Schade nur, dass die Gefechte gegen Ghule
und andere untote Glibber-Gestalten das übrige Niveau der cthulhoiden Grusel-Geschichte nicht halten können. Aber die hat uns immerhin gleich so begeistert, dass wir "Alone in the Dark" zweimal
hintereinander durchgesuchtet haben. Und das lohnt sich sogar richtig – denn je nachdem, ob wir in die Angstschweiß-getränkten Schuhe von Emily oder Edward schlüpfen, erleben wir ein etwas
anderes Abenteuer – individuell genug, damit wir die Geheimnisse von Derceto ein ganzes Stück besser verstehen. Eigene Erinnerungs-Passagen für jeden Helden inklusive.
Note: 8.0 (GUT)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend