The Need for Speed

Blank gewienerte PS-Monster und eingeölte Boxenluder, die sich auf der Motorhaube räkeln: Seit jeher werden Autos immer wieder mit sexuell aufgeladener Präsentation verkauft. Die Botschaft dahinter: Wenn Du Dir diesen coolen Schlitten zulegst, dann liegen Dir alle Frauen zu Füßen! Die etwas andere Auslegung dieses Ideals ist das Boxenluder, das selber am Steuer sitzt. Ein dralles Driver-Girlie, das die Leidenschaft der Männer für rohe Pferdestärken teilt. Das in den Fahrpausen mit Öl auf den Wangen und Schmiere im Ausschnitt unter der aufgebockten Bestie liegt, um sie mit dem Schraubenschlüssel zu zähmen. Aber im entscheidenden Augenblick – da lässt sie dem männlichen Helden natürlich die Vorfahrt. Damit sich die überwiegend Testosteron-gesteuerte Zielgruppe am Ende gleich doppelt so bestätigt fühlt.


Alles Motive, die zum Rennsport-Genre gehören wie die Wurst zur Käsestulle – und das neue "Need for Speed" hakt sie brav ab. Eines nach dem anderen. Vermutlich wegen der seit 2014 omnipräsenten Sexismus-Debatte bemüht sich Entwickler Ghost nach Kräften darum, den hochprozentigen Klischee-Cocktail zu entschärfen – doch nur weil man Klischees hinter aufgeblasenem Geschwätz und weiblich Reize hinter Latzhosen oder T-Shirts versteckt, sind sie nicht veschwunden. Das neue "Need for Speed" ist gleich in mehrerer Hinsicht das 80er-Movie der Serie: Man gibt sich möglichst brav und politisch korrekt, obwohl man in Wahrheit brisantes Material verkauft. Zwar laufen Missions-Zuteilung und Kommunikation modern über das ab, doch ansonsten ist "Need for Speed" überraschend angestaubt und pflegt eine überholt wirkende Doppelmoral.
Denn trotz der braven Präsentation geht es noch immer um durchgeknallte PS-Junkies, die in der Fantasie-Metropole Ventura Bay Leib und Leben aller Verkehrsteilnehmer gefährden. Die ohne mit der Wimper zu zucken durch den Gegenverkehr brettern, wenn ihnen das virtuelle Navigationssystem sagt, dass sie auf diese Weise schneller ins Ziel kommen. Und die jeden anderen Wagen (Polizei inklusive) in Grund und Boden rammen, ohne sich dabei am Ende über einen nennenswerten Schaden am eigenen Vehikel aufregen zu müssen. Die paar Dellen und Dreckspritzer? Die werden beim Einfahren in die Schrauber-Garage automatisch und obendrein kostenlos ausgebessert. Zur Kasse gebeten wird man hier nur für die Anschaffung noch stärkerer Maschinen oder ein ordentliches Performance-Tuning.



Trotz der rauen Gangart auf der Straße haben sich in den zahlreichen Erzähl- und Erklärbär-Sequenzen zwischen den Rennen alle ganz furchtbar lieb: Hier wird ausgelassen geplaudert und gescherzt – auf einmal sind alle Bleifüße wieder Freunde. Dass die Entwickler ihre Geschichte als abgefilmte Videos präsentieren, hilft der Glaubwürdigkeit der ohnehin schwachen Geschichte nicht unbedingt auf die Sprünge. Ebenso wie die Tatsache, dass man stereotypen Figuren überwiegend mit Laien-Darstellern besetzt hat. Leider will der billige Look der Filmchen so gar nicht zum übrigen Spiel passen: Die einmal mehr mit der Frostbite-Engine von "Battlefield"-Macher DICE umgesetzte Rennsport-Metropole sieht nämlich bis zur letzten Kreuzung großartig aus – nicht mal das aktuelle "Forza" kann mithalten. Zugegeben: Die Witterung hilft dabei, den Look der Stadt zu verschönern. Denn dass Spiele mit Dauer-Nacht und Daurregen einfach besser aussehen, das hat Warner mit "Arkham Knight" gezeigt. Dunkelheit und Regen eignen sich hevorragend dafür, visuelle Schwächen zu kaschieren – außerdem wirkt eine nasse Umgebung organischer und natürlicher. Ergo: Das nächtliche Highspeed-Cruising sorgt anfangs für offene Münder. Doch nach ein paar Stunden beim Mondschein-Racing wünscht man sich dann doch mal Sonnenstrahlen und Schönwetterfront. Ein Bleifuß ist eben kein Batman.

Zumal die Bleifuß-City wie ausgestorben wirkt: Weder der gelegentliche Verkehr noch die sporadisch in Erscheinung tretenden Gesetzeshüter beleben das totenstille Stadtbild, Passanten hat man sich gleich ganz gespart. Entsprechend schnell nutzt sich das andauernde Gekurve von einem Rennen zum nächsten ab: Was ein glorreicher Neustart der festgefahrenen Serie hätte werden sollen, sorgt die meiste Zeit über für Langeweile. Ebenfalls suboptimal: Die Fahrphysik. Die lässt sich später durch geduldiges Fahrzeug-Tuning einigermaßen in den Griff bekommen, aber ausgesprochen zickig bleibt die Steuerung trotzdem. Den größten Bock haben die Entwickler allerdings durch die Zwangs-Veronlinung des Spiels geschossen: Der Internet-Kurzschluss mit den Servern von Hersteller Electeronic Arts ist Pflicht. Darum werden allenthalben irgendwelche anderen Spieler mit ihren Vehikeln in die Stadt gebeamt, um den Helden herausfordern. Das Problem dabei: Die Option lässt sich nicht ausschalten. Wer seine Ruhe haben will, der guckt in die Röhre. Ebenfalls unschön: Ein hässlicher "Gummiband-Effekt" sorgt regelmäßig dafür, dass eben noch meilenweit abgehängte Konkurrenzfahrer wie von Zauberhand gesteuert wieder am eigenen Fahrzeug vorbei schießen. Nachvollziehbare oder faire Rennen sehen anders aus. Und ein geschliffenes Rennspiel-Erlebnis ebenfalls.


Robert Bannert


6.0

befriedigend

Grafik: sehr gut

Sound: gut

Steuerung: befriedigend

Spielspaß: befriedigend