The Witness

Asiatische Tempelanlagen, mittelalterliche Burgruinen, herbstliche Wälder, von sengender Sonne beschienene Wüstenabschnitte, gurgelnde Gebirgsbäche, malerische Rosenblüten-Haine, Heckenlabyrinthe und mehr: Die Rätsel-Insel aus dem neuen Hit-Spiel von Independent-Guru Jonathan Blow ("Braid") macht den Rundumschlag durch sämtliche Kultur- und Klimazonen. Es ist eine in stiller Schönheit erstarrter Ort der Ruhe und der Besinnlichkeit. Eigentlich die perfekte Wellness-Oase – wären da nicht die über das ganze Eiland verteilten Kopfnüsse, die zumindest das Oberstüblein des Besuchers ganz schön unter Stress setzen.

Rote, grüne, blaue und gelbe Bildschirme mit verworrenen Mustern sowie ein gigantisches Geflecht aus Kabeln, das die Rätsel-Screens miteinander vernetzt – das sind die "Gegner", an denen wir in "Witness" immer wieder scheitern werden. Dabei ist der Spiel-Mechanismus hinter den teuflischen Gehirnwindungs-Verdrehern denkbar einfach: Die schematischen Darstellungen auf den Bildschirmen funktionieren ähnlich wie die "Maze-a-Pix"-Irrgärten aus Rätselheften – es soll eine Linie vom Startpunkt bis zum Ausgang gezeichnet werden. Die darf ihren vorherigen Weg dabei nicht mehr kreuzen, hin und wieder sollen auf dem Weg nach "draußen" auch irgendwelche Formen eingekringelt, abgegrenzt oder miteinander verbunden werden. Die Kurse auf den Screens und Tablet-artigen Schildern einzuzeichnen, das fühlt sich ein bisschen an wie das Gekritzel mit einem Malprogramm, das zwischen Erfolg und Misserfolg unterscheidet. Nur wer den richtigen Kurs eingemalt hat, der kommt ein Stückchen weiter.

 

 

Auch wenn er anfangs gar nicht weiß wo oder wie: Die Rätsel-Insel ist nicht nur groß – sie ist auch noch ganz schön vetrackt: Wer auf der einen Seite des gehirnakrobatischen Marathons etwas in Gang bringt, der findet die Auswirkungen seiner Aktion vielleicht erst ein paar gefühlte Marsch-Kilometer weiter. Die einzelnen Versatzstücke des übergreifenden Mega-Puzzles miteinander zu verknüpfen, das ist die eigentliche Herausforderung hinter der bockschweren Knobel-Kollektion. Und wer das ohne Zuhilfenahme einer Lösung hinbekommt, der verbringt gut und gerne hundert Stunden damit, sich das Gehirn zu zermartern. Damit liefert Indie-Meister Jonathan Blow die Rätselspiel-Entsprechung zu "Dark Souls" – auch hier geht es darum, die Epoche der unmenschlich schweren Spiel-Erlebnisse wiederzubeleben.

Wer sich mit dieser Design-Prämisse anfreunden kann, der bekommt mit "The Witness" nicht nur ein echtes Rätsel-Meisterstück kredenzt – obendrein ist der bedächtige Insel-Ausflug auch audiovisuell ein echter Leckerbissen. Der hat allerdings seinen Preis: Fast 40 Euro will Meister Blow für sein kleines Kunstwerk – für einen Indie-Titel eine extrem selbstbewusste Preisgestaltung. So viel bezahlt wirklich nur, wer sich in kompromisslose knackige Knobel-Kost vergucken kann.


8.5

sehr gut

Grafik: sehr gut

Sound: sehr gut

Steuerung: gut

Spielspaß: sehr gut