Sherlock Holmes: The Devil's Daughter

 

Der britische Meisterdetektiv Sherlock Holmes ist schon vor Jahrzehnten in den popkulturellen Kanon übergegangen - da verwundert es kaum, dass der Superschnüffler aus der berühmten Bakerstreet inzwischen viele Gesichter hat: Je nach Interpretation von Arthur Conan Doyles Klassikern ist das Geige-spielende Genie entweder gutherziger Saubermann, eiskalter Soziopath oder schnodderiger Raufbold. Mit seinen Spiele-Umsetzungen der Materie hat das ukrainische Studio Frogwares bisher eher die Saubermann-Linie bedient und den feinen britischen Gentleman im edlen Zwirn auftreten lassen - doch mit "Devil's Daughter" bewegt man sich zusehends in Richtung "Raufbold" und "Drogen-Kobold". Kaum verwunderlich, dass man die spielerische Gangart entsprechend angepasst hat…

Die war früher ausschließlich von kühlen Ermittlungen und Fakten-Hamsterei geprägt - doch neuerdings soll Mr. Holmes ungewohnt große Spiel-Terrains durchqueren, laufen, sich im Schatten verstecken und allerlei Quicktime-Sequenzen bestehen. Doch rechtzeitig die eingeblendeten Knöpfchen zu drücken, um nicht die Balance zu verlieren, den Kontakt zu einer belauschten Person zu verlieren oder bei einer Keilerei ordentlich auf die Mütze zu bekommen - das ist vor allem eins: Nervig.
Außerdem darf Sherlock hin und wieder an eine andere Spielfigur übergeben: Dann tritt an die Stelle des Schnüfflers zum Beispiel ein Straßenjunge, der sich in Holmes' Auftrag an die Fersen eines Verdächtigen hängt. Von Versteck zu Versteck hastet oder hoch über den Straßen Londons über Dächer und Holzstege balanciert, um den vermeintlichen Ganoven zu beschatten.

Hinzu kommt noch eine Priese "Matrix"-artiger Bullet-Time-Zeitlupe in ein paar zünftigen Schlägereien - und fertig ist ein "Sherlock Holmes"-Abenteuer, von dem sich Entwickler und Publisher vermutlich eine Vergrößerung der kleinen Adventure-Zielgruppe versprochen haben. Denn an genau die hat sich der letzte Teil von Frogwares' elfteiliger Serie um den berühmten Gehirn-Akrobaten gerichtet - und das mit Erfolg: Hier hatte die Kombination aus Stichpunktlisten, Indizien-Sammelei und verschachtelten Dialoge endlich die Sorte spielerischer Reife erreicht, die einen echten Genre-Hit auszeichnet. Zugegeben: "Crimes & Punishments" wirkte mitunter steif und unbeholfen - doch das ist ein Manko, mit dem sich passionierte Adventure-Spieler auskennen und gerne arrangieren.
Jetzt versucht "Devil's Daughter", dem Detektiv mit Explosionen, Kloppereien und Knöpfchen-Action die Steifheit auszutreiben - leider funktioniert das nur bedingt. Erfolgreich war man nur dabei, das funktionierende Spielkonzept des Vorgängers aus der Balance bringen. Darum fühlt sich das neue Abenteuer des Detektivs vor allem wie ein missglücktes Experiment an: Ein Experiment zwar, das einige halbwegs interessante Geschichten erzählt und in ein paar hübsch gestaltete Szenarien bettet, das aber letztlich nicht das Inszenierungs- oder Präsentations-Niveau der großen Produktionen erreicht, die es so bemüht zitiert.

Zum Glück dürfen sich Fans über ein Wiedersehen mit bekannten Szenarien und Spiel-Elementen freuen: Die Wohnung des spätviktorianischen Meister-Detektivs mitsamt Kostümierungs-Ecke, Recherche-Archiv und Balkon mit Ausblick auf die Bakerstreet kennt man bereits - ebenso wie das in verschiedene Kriminalfälle gegliederte Einsammeln von Fakten, die anschließend ins allmächtige Notizbuch des Meisters sortiert werden. Doch auch hier enttäuscht "Devil's Daughter" gegenüber dem Vorgänger: Weder sind die neuen Fälle und ihre Rahmenhandlung um Holmes' diabolische Ziehtochter sonderlich packend noch bestechen sie durch ordentliche Logik. Resümee: Freunde des interaktivierten Investigations-Genies erleben hier keine völlige Pleite - doch sie trauern um die vertane Chance, zumindest mit dem gelungenen Vorgänger gleichzuziehen.


6.0

befriedigend

Grafik: befriedigend

Sound: befriedigend

Steuerung: befriedigend

Spielspaß: befriedigend