Paradiesisch-meditativer Unterwasser-Trip: ABZU

Schwimmen, staunen und sich einfach mal treiben lassen: Mit "Abzu" lockt uns "Journey"-Grafikkünstler Matt Nava in ein wunderschönes, vor Leben brodelndes Unterwasser-Wunderland. Der intensive Erlebnis-Trip an der Seite von Walen, Haien, Riesen-Tintenfischen und inmitten von versunkenen Städten ist leider kurz – aber wir verraten, warum er sich trotzdem lohnt.

 

 

Kein Spiel im eigentlichen Sinne, sondern eine interaktives Aquarium mit meditativen Qualitäten ist der jüngste Kreativ-Output von "Journey"-Grafikkünstler Matt Nava und seinem frisch gegründeten Entwickler-Team "Giant Squid". Bereits der Name des nautischen Abenteuers verrät, wo die Reise hingeht: Der Begriff "Abzu" oder "Apsu" leitet sich aus dem Mesopotamischen ab – wo er ebenso für ein metaphysisches Konstrukt wie für eine Gottheit steht.

 

"Abzu" (wörtlich so viel wie "Ozean des Wissens") ist hier ein unter der kosmischen Leere verorteter Ur-Ozean aus Süßwasser, der das Konzept des Lebens birgt und in Gestalt von Quellen seinen materiellen Ausfluss findet – der gleichnamige Gott gilt entsprechend als schöpferische und lebensspendende Entität. Seine Gattin "Tiamat" wiederum hat das Salzmeer unter ihren Fittichen, wird unter anderem als Drache oder Haifisch dargestellt und steht für die schöpferischen, aber auch zerstörerischen Kräfte, die dem Chaos innewohnen. Beide Gottheiten und ihre jeweiligen Konzepte finden in Giant Squids Interpretation der mesopotamischen Sage ihre Entsprechung: Tiamat (passend) als Hai – ihr Mann "Abzu" wiederum ist vor allem als spirtueller Unterbau zugegen, wird aber auch – zumindest teilweise – durch den Helden des Spiels verköpert. Auf diese Weise liefern Nava und seine Mannschaft eine recht eigenwillige, aber auch hochinteressante Interpretation der Mythologie, die hier obendrein mit einem Hauch von Schöpfungsmythos, kosmologischem Erklärbar sowie einer ordentlichen Prise Öko-Zuckerguss serviert wird.

 

Wie in "Journey" und "Flower" überlässt es Nava dabei vor allem dem Spieler selber, die Lücken des üppig dimensionierten Spiel-, Spaß- und Erzähl-Raums mit der eigenen Vorstellungskraft zu füllen. Mit Hilfe von Farben, Formen, Figuren und einem perfekt auf deren animiertes Zusammenspiel abgestimmten Orchester-Soundtrack komponiert Giant Squid eine Symphonie, die nicht nur alle Sinne des Spielers anspricht, sondern vor allem mit seiner Seele kommuniziert. Die audiovisuelle wie technische Glanzleistung von "Abzu" besteht darin, einen ozeanischen Spiel- und Tummeplatz vor uns auszubreiten, in dem riesige, schillernde Fischschwärme ebenso zuhause sind wie vielarmige Oktopoden, gemütlich durch den Meeres-Äther dümpelnde Mega-Schildkröten, quiekende Seekühe, ganze Walschulen und sogar ein paar überlebende Nessi-Saurier. Das Ergebnis ist auf verblüffende Weise ebenso lebensecht wie abstrakt – ein von zuckendem, schnappendem, blubberndem und glotzendem Leben erfüllter, subnautischer Erlebnispark, der ebenso gut in ein Biologie-Buch über maritimes Leben wie in eine Sammlung für Airbrush- und Tätowier-Vorlagen passen würde.

"Abzus" Leistung als "Spiel" dagegen ist es, uns ein Gefühl der Schwerelosigkeit zu vermitteln – eines ebenso raum- wie zeitlosen Schwebens inmitten von brodelndem Leben. Das Spiel-, oder vielmehr Erlebnis-Tempo wird dabei durch dezente Spiel- und Such-Mechanismen nahezu perfekt ausgesteuert. So lässt man uns gelegentlichen Hindernisse ausweichen und Öffnungsmechanismen aufstöbern – dann und wann darf unser kleiner Taucher sogar aus dem Wasser krabbeln und einige tropfnasse Meter über Land zurücklegen, bevor er mit einem beherzten Köpper wieder in den Fluten verschwindet.

"Abzu" ist ein Märchenreich, das wir selber mit Bedeutung aufladen dürfen – es ist aber auch ein sagenhaftes Flow-Erlebnis und ein Kaleidoskop der Emotionen, genossen mit andächtigem Staunen und purer Verzückung. Sich an einem riesigen Walhai oder einer pummelig-putzigen Seekuh einzuhaken, um sich dann an ihrer Seite durch das Unterwasser-Wunderland treiben zu lassen – das ist ein Erlebnis, das nicht nur Hobby-Taucher verzückt.

 

Schön auch, dass Giant Squid vor allem die Interpretation der Geschehnissen unserer Fantasie überlässt: Unter Wasser gibt's kein "Blabla" (höchstens "Blub-Blub") – aber dafür großartige Bilder, die unsere Vorstellungskraft beflügeln. Unterseeische Ruinen erzählen ebenso ihre eigene Geschichte wie die zahlreichen Fresken und Mosaik-Motive, die ihre Wände zieren und von denen manche sogar unseren Avatar zeigen. In längst vergangenen Zeiten – oder vielleicht als Teil einer ungewissen Zukunft, die wir erst noch erleben und erspielen müssen. Dass wir diese Zukunft bereits nach zwei bis drei Spielstunden erblicken, tut dem Genuss des intensiven H2O-Trips keinen Abbruch – denn "Abzu" ist wie ein guter Film, den wir immer wieder erleben wollen. Wegen einzelner, liebgewonnener Elemente – aber auch, um trotz des beschränkten Areals neue, verspielte Details zu entdecken. Derart betrachtet ist auch der auf den ersten Blick überhöhte Preis halbwegs gerechtfertigt: Wer bis zu 20 Euro für die Bluray eines Lieblingsfilms hinblättert, der kann guten Gewissens den gleichen Betrag für Giant Squids Unterwasser-Abenteuer ausgeben. Allerdings wurden Spieler in den vergangenen Jahren zunehmend dazu erzogen, den Preispuntk eines Spiels unter dem Gesichtspunkt des Umfangs zu bewerten – und gemessen an Spielwelt-Monstern wie einem "Witcher 3" sind 20 Euro für ein "Abzu" fast schon Wucher. Wem aber die gefühlte Länge eines Moments wichtiger ist als seine tatsächliche – der gibt das Geld gerne aus.