Pixelige Bildsprache und ein herzkranker Held: Der "Hyper Light Drifter" bei Unterlichtgeschwindigkeit betrachtet

Wenn man den persönlichen Hintergrund des Spiel-Schöpfers kennt, dann spricht "Hyper Light Drifter" eine deutliche Bildsprache: Über der viergeteilten Spielwelt schwebt ein blutendes Herz.


 

Nicht einfach nur pixelig, sondern stilvoll klotzig ist das erste Action-Adventure von US-Entwickler "Heart Machine": Das kleine Indie-Team um den herzkranken Digital-Künstler Alex Preston liefert mit "Hyper Light Drifter" keine konventionelle Pixel-Schlacht ab, die mit Volldampf auf Retro-Kurs steuert – vielmehr werden zugrundeliegende Werke wie "Legend of Zelda" oder das  in den Zwischensequenzen zitierte "Another World" in ein digitales Kunstwerk verwandelt. Ein Kunstwerk, das praktisch alle Gaming-Epochen in sich vereint und sie unter dem Dach eines alles umfassenden Meta-Grafikstils verortet. Der kombiniert völlig hemmungslos retrospektiven Pixel-Chic mit klassischer Kunst, Cyber-Ästhetik und moderner Illustration. Das Ergebnis ist nicht nur ein ebenso interessanter wie brisanter Stilmix, es ist außerdem Sammelsurium aus großartigen Einzelkunstwerken – viele davon gleich so spektakulär, dass man sie am liebsten ausdrucken und sich an die Wand pinnen möchte.

Spielerisch dagegen ist der "Hyper Light Drifter" ganz klar in der Gameplay-Moderne angesiedelt: Das Bereisen der quasi-vogelperspektivischen Kulisse gehört zwar ins spielerische Regelwerk der "Zelda"-Serie – doch die Kombination aus Action-Adventure-Draufsicht und Metroidvania-artigem Objekt-Auflesen gehört längst zum Design-Kanon der meisten Abenteuer-Titel. Die fast schon metaphysische Aufarbeitung der persönlichen Krankheitsgeschichte seines Schöpfers dagegen macht "HyperLight Drifter" zum lupenreinen Vertreter der jüngeren Independent-Bewegung, in der das Gameplay oft zum Vehikel wird, das nicht in erster Linie unterhalten, sondern vor allem eine persönliche Botschaft transportieren soll. In diesem Fall geht es um den privaten Leidensweg des Designers, der seit seiner Geburt unter massiven gesundheitlichen Problemen leidet und sich kurz vor der Produktionsphase seines Action-Adventures einen Herzschrittmacher implantieren lassen musste. Entsprechend leidet auch der "Drifter" – der blauhäutige Held des Pixel-Odyssee – unter einer tödlichen Erkrankung, deren Heilung (so die Hoffnung des Helden) am Ende der Reise steht. Prestons Spiel erklärt das Szenario zunächst als unheilbringende Seuche, für die wir nach einem Heilmittel suchen – in einem geheimnisvollen, subterranen Reich voller uralter Ruinen, verwinkelter Gang-Labyrinthe und mit geheimnisvoller Hochtechnologie zugeräumter Laboratorien, in denen sich mutmaßliche Hinweise auf die Rettung verbergen.

 


Horror-Trip zu Spielbeginn, der eher einen Blick in die Entwickler-Seele als die Schilderung tatsächlicher Spiel-Ereignisse darstellt. "Hyper Light Drifter" bezieht seine Fiebertraum-artige Mythologie aus der Krankheitsgeschichte seines Chef-Entwicklers Alex Preston.


 

Doch bereits die Intro-Sequenz und der Aufbau des Abenteuer-Schauplatzes illustrieren, wovon "Hyper Light Drifter" tatsächlich handelt: Es geht um Preston und sein Martyrium, während er – begleitet von einem Wolfs-ähnlichen Totem-Tier – eine Reise ins Ich antritt, um dort in einer viergeteilten Spielwelt (zwei Herzkammern plus zwei Herz-Vorhöfe ergibt vier Szenarien) auf die eine oder andere Weise nach Befreiung zu forschen. Und wie in einem von Krankheit gezeichneten Fiebertraum steckt die Reise des Drifters voller Rätsel: Nichts ergibt auf den ersten Blick Sinn, selbst simpelste Spielmechanismen wie das Fortschritts-Menü oder die Karte wollen erst mühsam entschlüsselt werden. Denn "Hyper Light Drifter" verzichtet auf jegliche Form von gesprochenem oder geschriebenem Text – es verlässt sich auf eine rätselhafte, aber eindrückliche Sprache aus kryptischen Symbolen und Bildern, die wir erst richtig interpretieren müssen.

 

Kaum verwunderlich, dass auch die Bosse der jeweiligen Regionen erst richtig "gelesen" werden wollen, bevor man sie in die Knie zwingen kann: Ob hünenhafter Ritter oder Riesen-Roboter – hier erfüllt jeder Koloss die Funktion eines kafka'schen "Torhüters", mit dessen Niederringen man der Lösung des Rätsels ein Stückchen näherkommt. Ähnlich verhält es sich mit den Handlangern dieser Brocken: Die Kreaturen aus Prestons innerem Universum sind garstige kleine Dinger, denen man nur beikommt, indem man per Überlicht-Drift von einem zum anderen huscht und blitzschnell das Schwert im Pixelhirn des Wesens versenkt oder es mit Projektilen aus der Pistole durchsiebt. Ergo: Nichts ist in "Hyper Light Drifter" jemals einfach – ebenso wie das Leben seines Schöpfers ist es Odyssee, in der die Anstrengungen nur von kurzen Momenten des Innehaltens unterbrochen werden – nämlich dann, wenn Preston sich der paradiesischen Seite seiner Schöpfung widmet und wir sie durch die Augen seines Drifters andächtig bestaunen.

 

Wer also vor allem nach Unterhaltung und einer Spielwelt sucht, die er sich zueigen machen kann, der ist hier vielleicht an der falschen Adresse, denn "Hyper Light Drifter" entpuppt sich bereits früh als extrem persönliches Abenteuer. Wer allerdings bereit ist, sich darauf einzulassen, der erlebt ein Spiel, das zwar mitunter schwer zu lesen ist, von dessen Sorte es aber noch immer viel zu wenige gibt: Games, die mit einem bedeutungsvollen Subtext aufgeladen sind, ohne die Spielerfahrung dabei völlig aus dem Auge zu verlieren. Preston hat das Kunststück geschafft, seine persönlichen Erfahrung auf eine "Zelda"-artige Design-Matrize zu projizieren, die längst nicht so retrospektiv ist, wie es auf den ersten Blick erscheint.

 


Über den Autor

Mit 22 Jahren Branchen-Erfahrung gehört Robert Bannert – Spielstart 1974 in Köln – zu den erfahrenen Spiele-Redakteuren im Lande. Seitdem er 1994 bei der MAN!AC-Redaktion in die schreibende Zunft einstieg, fährt er zweigleisig – als Autor und als Grafiker. Nach einem zweijährigen Gastspiel als der deutsche Abe bei GT Interactive und Oddworld Inhabitants besetzte Robert bei diversen Games-Publikationen ("fun.generation", "players", "PC JOKER") den Posten des Chefredakteurs, danach rief er mit "elektrospieler" seine eigene Print- und Online-Plattform ins Leben, deren Herausgeber er bist heute ist. Außerdem war er zeitweilig verantwortlicher Grafiker und Redakteur der "RETRO",  heute ist er u.a. ständiger freier Mitarbeiter bei der Trade- bzw. B2B-Publikation "IGM", liefert die Games-Artikel für den Münchener Medien-Service "Teleschau" und verfasst Kolumnen für Gameswelt sowie GamersGlobal.

 

Robert lebt mit einem mehrere tausend Titel starken Spiele-Archiv, ebenso vielen Comics und umfassendem Konsolen- bzw. Handheld-Fuhrpark im bayerisch-ländlichen Mering, gemütlich gelegen zwischen Augsburg und München. Robert ist seit 20 Jahren bekennender Mac-User – seinen Spiele-PC wirft er vor allem für Adventures und Indie-Games an, ansonsten greift er lieber zum Konsolen-Pad.

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