Ego-Shooter-Studie in Film-Form: Hardcore

Ein Ego-Shooter-Film – ist das möglich? Ein Action-Spiel ohne jede Interaktion – geht so was? Nein, natürlich nicht. Und warum das unmöglich klappen kann – das zeigt uns "Hardcore" vom russischen Regisseur Ilya Naishuller so großartig, humorvoll und trashig, das er allein deshalb sehenswert ist. elektrospieler über ein Film-Experiment, das funktioniert, weil es nicht funktioniert – und uns dann auch noch mitteilt warum.

 

 

Als ich die ersten Trailer für "Hardcore Henry" zu Gesicht bekam, war ich mir ziemlich sicher, dass hier Trash der unerquicklichsten Sorte auf uns zurollt – aber weit gefehlt: Mit einem Miniatur-Budget von nicht mal drei Millionen hat der russische Musikus und Filmemacher Ilya Naishuller ein zwar trashiges, aber auch cleveres Ausnahmewerk auf die Beine gestellt, das eher eine kritisch-ironische Reflexion des Shooter-Genres als einen konventionellen Unterhaltungsfilm darstellt.

 

Kurz nach seiner Kunst-Geburt muss Cyborg "Henry" aus dem Labor flüchten – denn der telekinetisch begabte Erz-Ganove Akan und seine Söldner-Armee sind scharf auf die Technologie, die im augmentiertem Körper des Supersoldaten vor sich hinschnurrt. In einer Fluchtkapsel lässt sich Henry zusammen mit seiner vermeintlichen Frau und Konstrukteurin Estelle aus der fliegenden Cyborg-Fabrik ballern – geradewegs hinein in ein Inferno aus atemlosen Action-Sequenzen, die das Film-Team ausnahmlos aus der Ego-Shooter-Perspektive aufgenommen hat. Die an einem Stuntman fixierte "GoPro"-Kamera konnte dabei zwar keine Bilder liefern, die es mit Auflösung oder Brillanz einer hochwertigen Hollywood-Produktion aufzunehmen vermögen – doch Kamerawinkel und Arrangement der Szenen spiegeln tatsächlich den Look einer modernen Ego-Ballerei wider, bei der außer Händen und Armen auch immer wieder die Beine des Protagonisten zu sehen sind. Henry schleicht geht hinter Wänden und Säulen in Deckung, hechtet über Hindernisse und segelt nach dem nahen Einschlag einer Panzergranate meterhoch durch die Luft: Naishuller und sein Team haben jede Pose und Perspektive des Genres genau analysiert und adaptiert – selbst beim Genre-typischen Seitwärts-"Strafen" und den Nahkampf-Keilereien bleibt "Hardcore" verblüffend authentisch.

 



 

Aber was noch viel wichtiger ist: Man hat nicht nur die visuellen Mechanismen, die Bewegungsdynamik und den kinetischen Impakt des Genres verstanden – auch das Regelwerk dahinter wurde haarfein analysiert, klug umgesetzt und in eine hochgradig selbstironische, selbstreferenzielle Gag- und Baller-Orgie verwandelt. Sogar an den obligatorischen Klamottenwechsel des Helden und das Aufladen seiner Energiezellen hat man gedacht. Erstaunlich, das "Hardcore" trotzdem niemals wie das gelangweilte oder pflichtmäßige Abhaken einer Ego-Shoter-To-Do-Liste wirkt. Mein persönliches Highlight: Henrys Verbündeter "Jimmy" (Sharlto Copley). Der als "Missions-Geber"- und KI-Waffenbruder angelegte Kollege wird durchlöchert, flambiert, erdolcht und in die Luft gesprengt – trotzdem erscheint er immer wieder völlig unversehrt auf der Bildfläche. Allerdings haben sich Garderobe, Habitus und seine Aufgabenstellung jedesmal geändert – wie bei einer digitalen Entität, die immer wieder in andere Rollen und Kostüme schlüpft, um uns eine Richtungsänderung des zugrundeliegenden Bumm-Bumm-Baller-Baller-Parcous vorzugaukeln.

 

Die bittere Ironie der gelungenen Shooter-Reflexion ist die Erkenntnis, dass sich die Ego-Perspektive ohne das Element der Interaktion nicht sonderlich gut zum Geschichtenerzählen oder für abendfüllende Filme eignet. Macht aber nix: Denn so lange es bei diesem charmanten und einfallsreichen Gehversuch bleibt, ist "Hardcore" ein angenehm erfrischendes Ausnahmewerk, das sich zumindest jeder Shooter-Fan mit Trash-Ambitionen unbedingt ansehen sollte – ebenso wie alle, die das Genre mal genauer betrachten wollen. Denn selbst in den wenigen Momenten, in denen Naishullers Werk nicht ganz rund läuft, funktioniert es als großartige Genre-Fallstudie: Die Interaktions-befreite Simulation eines Ego-Shooters – das ist etwas, was sich z.B. jeder genau ansehen sollte, der gerade einen Games-affinen Studiengang belegt und selber Action-Spiele entwickeln möchte.

 



Hardcore

Originaltitel: Hardcore-Henry

Land: USA / Russland

Jahr: 2015

Alter: ab 18 Jahren

 

Regie: Ilya Naishuller

Darsteller: Sharlto Copley (Jimmy), Danila Kozlovsky (Akan), Heley Bennett (Estelle), Tim Roth (Henrys Vater)

 

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