Geduldsprobe mit System: "The Tomorrow Children"

 

Willkommen im kommunistisch regierten Spielzeug-Land: Mit ihrem PS4-exklusiven Multiplayer-Gewusel "The Tomorrow Children" schlagen Sony und Q-Games systemkritische Töne an. Aufbau-Fans stellen sich auf ein zwar abstraktes und ausgesprochen mühseliges, aber auch kunstvolles Genre-Porträt ein.

 

 

Emsig vor sich hin schraubende, hämmernde und wurschtelnde Bewohner überall - und dazwischen ragen schroffe Industriebauten aus dem schmucklosen, glänzenden Boden: Die Welt aus "The Tomorrow Children" sieht aus, als hätte ein Kind aus den 60er- oder 70er-Jahren sein Plastik-, Holz- und Blechspielzeug eingesetzt, um eine Art kommunistisches "Arbeiter-Paradies" nachzubauen. Überall summt und brummt es förmlich vor Geschäftigkeit - doch die allgemein vorherrschende Uniformierung und Trostlosigkeit legt nahe, dass die vermeintliche Euphorie der Beschäftigten nicht von Herzen kommt.

 

Kein Wunder: Das Ab- und Aufbau-Szenario von Q-Games und Sonys "Japan-Studio" spielt in einer postapokalyptischen Zukunft. Offenbar hat das hemmungslose und obendrein martialische Geacker des kommunistischen Staats den Weltuntergang eingeleitet - und der war so verheerend, dass nicht nur unsere Erde, sondern gleich die komplette Realität ausgelöscht wurde. Übrig geblieben ist nur der "Void" - eine noch undefinierte und spektrale Existenz-Ebene, auf der Materie und Leben in unserem Sinne bisher nur flüchtige Ideen sind.

Im Falle von "Tomorrow Children" sind diese "Ideen" prozedural generierte Inseln, die hier und da aus der Formlosigkeit aufsteigen - die meisten davon abstrakte Gebilde wie aus einem durchgedrehten Bastelbuch. Doch im Chaos verbergen sich die Rohstoffe, die der Spieler und seine kleine Heldin benötigen, um die Welt wieder aufzubauen. An der Seite anderer, ebenfalls im Void gefangener Spieler werden diesen sporadisch auftretenden Inseln Erzbrocken und andere Rohstoffe abgerungen. Wer fleißig genug Pickel, Spaten & Co. schwingt, der schafft mit Hilfe einer Bus-Verbindung so viel Material in die nahe gelegene und stetig wachsende Stadt, das hier bald Wohn-Container, öffentliche Einrichtungen und Fabrikationsstätten buchstäblich aus dem Boden wachsen. Wer die kleine Welt außerdem wirkungsvoll schützen will, der investiert die Ressourcen in die Konstruktion von mobilen Geschütztürmen und ähnlichen Abwehr-Maßnahmen. Denn der Void ist nicht nur ein geheimnisvoller, sondern auch ein gefährlicher Ort: Die weiße Einöde zwischen Siedlungen und Ressourcen-Inseln wird von "Kaiju" bewohnt - gigantische Kreaturen wie aus einem japanischen Monsterfilm, die jeden Passanten erbarmungslos in den Boden stampfen und auch vor Attacken auf die frisch gebauten Städte nicht zurückschrecken.

 

 

Rückt einer der Riesen an, um die Fortschritte der wachsenden Gemeinde zunichte zu machen, dann sind nicht nur Verteidigungs-Maßnahmen, sondern auch eine stattliche Bevölkerungs- und Spieler-Anzahl nützlich: Je mehr Püppchen der Bestie die Stirn bieten, desto besser. Aber auch abseits der Monster-Attacken spielt die Einwohnerzahl eine wichtige Rolle: Die Seelen einstiger Menschen sind in russischen Matrjoschka-Puppen gefangen, die sich ebenso wie Ressourcen in der Einöde und ihren Inseln verbergen: Erst wenn die Heldin und ihre Mitspieler eine Seele gefunden und befreit haben, steigt die Bevölkerung der Spielzeug-Metropole. Darum sehen die armen Seelen auch aus, als hätte man sie aus Holz geschnitzt: In der "schönen neuen Welt" müssen sich Seelen eben notgedrungen mit Spielzeug-Körpern zufrieden geben. Sind auf diesem Wege 500 brave Bürger zusammengekommen, darf das fleißige Arbeiter-Bienchen ins nächste Gebiet wechseln - außerdem gibt es für den Fortschritt unter Umständen eine neue Lizenz zur Benutzung besserer Werkzeuge oder Gefährte.

Sony bietet "The Tomorrow Children" als Free-to-Play-Titel an - das heißt, der Download des Spiel-Clients ist kostenlos. Aktuell befindet sich der Titel allerdings noch in der Beta-Phase - bis zur finalen und noch nicht genau terminierten Veröffentlichung kostet der Zugang 20 Euro. Dafür gibt's das sogenannte "Gründerpaket", das außerdem exklusive Kostüme und andere Gegenstände umfasst. Ebenfalls enthalten sind 1.000 "Freeman-Dollars" - die Ingame-Währung des Spiels.  Schade: "Tomorrow Children" pflegt das Modell einer "harten Monetarisierung" - das heißt, für einen flüssigen Fortschritt muss der Spieler schnell  tief in die Tasche greifen, um echtes Geld in Ingame-Währung zu tauschen.

Wer sich an der ungewöhnlichen Grafik und dem einen Tick zu penetrant geratenen Free-to-Play-Modell nicht stört, riskiert auf alle Fälle einen Blick: "The Tomorrow Children" mag gewöhnungsbedürftig und besonders während der ersten Spielstunden unhandlich sein - aber bereits der individuelle Charme macht es zum Ausnahme-Spiel. Obendrein hinterfragt das an kommunistisch-totalitären Systemen angelehnte Szenario auf clevere Weise das eigene Genre - immerhin lässt man sich in Spielen mit Aufbau- und Ressourcen-Komponente willig für Aufgaben einspannen, die in der echten Welt an Sklaverei grenzen würden. Darum fällt die Arbeit in "Tomorrow Children" bewusst mühselig aus: Wäre die Plackerei hier leicht und beschwingt, würde das die Aussage des Titels verfälschen. Natürlich muss jeder selber wissen, ob er sich authentisch dargestellte Schufterei "antun" will. Der Ansatz, die Aussage des Spiels über seine Mechanismen ausdrücken, ist auf jeden Fall interessant.

 


Kommentar schreiben

Kommentare: 0