"Gears of War 4" beim elektrischen Action-TÜV: Jetzt nur noch ein Rädchen im Franchise-Getriebe?

Dicke Muskeln, großkalibrige Bleipusten und jede Menge eklige Monster-Zielscheiben: Der erste Xbox-One-Auftritt von Microsofts "Gears" hat reichlich neue Features und zeitgemäße Grafik-Kulissen im Gepäck, muss aber ohne Serien-Erfinder Epic auskommen. Kann das funktionieren?

 

 

Wer als Entwickler das Erbe einer revolutionären-Spiele-Marke antritt, der hat's nicht leicht: Einerseits erwarten die Fans, dass die DNA der Reihe intakt bleibt – andererseits wollen sie Neuerungen. Vor allem dann, wenn der jüngste Serienteil der erste auf einer neuen Hardware ist: Dann steht der neue "Vermächtnis-Verwalter" außerdem vor der schwierigen Herausforderung, den visuellen Stil neu zu erfinden.

 

Microsofts Studio "The Coalition" muss ein solches Kunststück gelingen: Der im kanadischen Vancouver beheimatete Entwickler soll die ursprünglich vom US-Grafikexperten Epic Games erfundene "Gears of War"-Reihe erfolgreich in die Ära von Xbox One und "Universal Windows Platform" überführen. Auf der Xbox 360 war die dreiteilige Action-Serie die wichtigste System-exklusive Marke neben "Halo" – und "ganz nebenbei" hat die prachtvoll präsentierte Kawumm-Orgie um den kantigen Boudy Builder Marcus Fenix das Action-Subgenre des "Deckungs-Shooters" erfunden. Große Fußstapfen also, die man hier ausfüllen soll – zumal Microsofts Studios in der Pflicht stehen, nach dem visuell eher mäßigen "Halo 5" endlich eine Exklusiv-Ballerei zu liefern, die prachtvollen PS4-Großaufgeboten wie einem "Uncharted 4" Paroli bieten kann.

Stellt sich nur die Frage: Wo ansetzen? Die interessanteste Geschichte um den von Retro-futuristischen Ruinenstädten überzogenen Planeten Sera wurde bereits ausführlich erzählt: Fenix und sein schießwütiges "Gears"-Team haben die monströsen "Locust" aus den Tiefen des Planeten erfolgreich ausradiert. Darum gibt der einstige Serien-Platzhirsch in Teil 4 jetzt an seinen zu einem ähnlich Schrank-artigen Mannsbild herangereiften Sohnemann J.D. ab.

Doch der vertreibt sich seine Zeit am liebsten, indem er zusammen mit seinen wehrhaften Kumpels und Freundin Kait die neugeformte Regierung des kriegsgebeutelten Planeten gegen sich aufbringt. Denn die ist nach Kriegsende zu einem paranoiden Regime avanciert, das die wenigen überlebenden Menschen beschützen will, indem es sie kurzerhand einsperrt und zur Akkord-artigen Baby-Produktion abkommandiert. Fenix Junior & Co. haben es deshalb vorgezogen, sich der in unabhängigen Kleinst-Ortschaften angesiedelten Rebellen-Front anzuschließen - die nötige Reserven werden kurzerhand in den benachbarten Neubau-Städten gemopst. Problem: Die frischen Metropolen werden vollautomatisch von Robotern gebaut und bewacht – und die haben es gar nicht gern, wenn man sie beklaut. Ihre Reaktion: Schießwütig. Als dann auch noch ein totgeglaubter Feind eine fremdartige Wiedergeburt feiert, findet sich die Truppe zwischen den Fronten wieder: Wild um sich ballernde System-Blecheimer auf der einen Seite, sabbernde Monster auf der anderen. Hmmm. Ob vielleicht der alte Fenix Rat weiß?

 




 

Den schlachterprobten Papa um Feuerschutz zu bitten, ist sicher keine schlechte Idee - doch wenn von allen Seiten scharf geschossen wird, dann ist Angriff wie gewohnt die beste Verteidigung. Vorzugsweise mit einer Großkaliber und aus sicherer Deckung heraus. Denn nach wie vor ist die derart "sichere Verwahrung" der eigenen "Trefferzonen" bei "Gears of War" der zentrale Spielmechanismus - ganz gleich, ob es nun ein jahrhundertealtes Mäuerchen, ein Bretterverschlag, ein Geländer oder ein pulsierender Haufen Monster-Mist ist, hinter dem man die eigenen Gliedmaßen vor feindlichem Beschuss schützt. Während die gegnerische Monstrositäten emsig durch die Level-Architektur wuseln, geben die eigenen Helden von hier aus wohl dosierte Schuss-Salven ab. Komfortabel ist dabei der neu hinzugefügte Pfeil-Marker, der dem Spieler am Rande einer Deckung aufzeigt, in welche Richtung er seine Stellung verlassen darf. Ebenfalls nützlich: Feindliche Robis und Alien-Bestien dürfen jetzt mit Schmackes aus ihrem Versteck gezerrt werden, wenn sich letzteres in unmittelbarer Nähe zur eigenen Stellung befinden. Im Nahkampf gibt sich das neue "Gears of War" dagegen überraschend sperrig: Ekligem Feindgetier den Gewehrkolben in die Monster-Visage zu rammen oder es mit laufendem Kettensägen-Aufsatz zu tranchieren - das funktioniert auch im Nachfolger noch, allerdings geht die Vollkontakt-Splatter-Orgie nicht mehr ganz so leicht von der Hand wie früher.

 

Dafür gibt's aber einiges zu sehen: Riesige, von Statuen gesäumte Döme und Plätze erzählen von einer Zeit des Planeten, in der es noch schwarze Magie und Hexer gab – ein interessanter und vor allem neuer Hinweis auf die Vergangenheit Seras, in der es offenbar ebenfalls jede Menge Monster gab. Außerdem wagt man diesmal einen Blick auf die ländlichen Gegenden des Planeten: Abseits der in Schutt und Asche liegenden Metropolen kuscheln sich einst malerische Gebirgsdörfer an die schroffen Felsmassive, die eher das Bild einer mittelalterlichen denn hochtechnisierten Gesellschaft zeichnen. Momente wie diese sind die stärksten im gesamten Spiel, weil "Gears of War 4" an diesen Stellen dazu ansetzt, so etwas wie eine eigene Mythologie aufzubauen. Schade nur, dass sie so verdammt selten sind: Viel häufiger begnügt sich der Titel damit, seine großen Vorgänger übereifrig zu zitieren, ohne dem Serien-Kanon einen nennenswerten eigenen Eintrag hinzuzufügen. Zu viel Zeit wird dabei verschwendet, die Schlüsselmomente der alten Trilogie nachzuerzählen und das veränderte Universum zu erklären, bevor sich J.D.'s Abenteuer endlich dazu entschließt, mit eigenen Ideen aus der Deckung zu kommen. Und selbst dann erreicht es selten das visuelle Design-Niveau seiner Vorgänger: Malerischer Modell-Baumbestand und tosende, von Blitzen durchzuckte Stürme, die das Level-Interieur physikalisch korrekt durch die Gegend rumpeln lassen, sind eindrucksvoll – aber meistens lassen sie die individuelle Note vermissen, die das Original ausgezeichnet hat.
Was bleibt, das ist eine über weite Strecken extrem ansehnliche Baller-Orgie, der es aber leider am nötigen Profil mangelt. Ein konventioneller Deckungs-Shootout, der sich "Gears of War" auf die Fahne schreibt, ohne selber eins zu sein. Stattdessen liefert uns "The Coalition" eine Baller-Bestie, die sich wenig zu Schulden kommen lässt, die aber wirkt, als hätte man sie am Marketing-Reißbrett entworfen: Ein bisschen zwanghaft "krasse" Shooter-Hippness für die jüngeren Projektil-Akrobaten, eine ordentliche Dosis Multiplayer-Pflichtprogramm, das Wiedersehen mit einigen alten Bekannten – und fertig ist ein gigantischer, Effek-gespickter Action-Spielplatz. Mit dem man kann man ohne schlechtes Gewissen eine Menge Spaß haben – keine Frage. Doch die visuellen und dramaturgischen Akzente, die echtes Ausnahme-Spiel kennzeichnen, die fehlen ebenso wie die fast schon knuffige Kultigkeit der alten "Gears"-Episoden.

 



Microsoft / The Coalition

Xbox One, PC (unterstützt Crossplay)

im Handel