Mediterraner Stealth-Steampunk: Darum ist "Dishonored 2" das beste Spiel des Jahres

Leisetreten, Gegner hinterrücks strangulieren oder wüten wie ein Derwisch: In "Dishonored 2" darf jeder machen, wie er will. Außerdem bekommt die Geschichte um Meister-Meuchler Corvo Attano spielbaren Zuwachs: Kaiserinnen-Tochter Emily gibt sich die Schleichspiel-Ehre.

 

Wer wollen wir sein? Der Mann mit der Maske – oder seine Tochter? Der Spielstil der beiden Antihelden unterscheidet sich teils dramatisch – auch ihre Geschichten entwickeln sich (zumindest dezent) anders.
Wer wollen wir sein? Der Mann mit der Maske – oder seine Tochter? Der Spielstil der beiden Antihelden unterscheidet sich teils dramatisch – auch ihre Geschichten entwickeln sich (zumindest dezent) anders.

 

Mit seinem Schleich- und Meuchel-Abenteuer "Dishonored" hat das französische Entwickler-Studio Arkane vor vier Jahren einen echten Überraschungshit geliefert – jetzt reicht man den Nachfolger: Im ersten Teil muss der 'Kaiserliche Schutzherr' Corvo Attano hilflos dabei zusehen, wie seine Monarchin und heimliche Geliebte dem Angriff eines Assassinen zum Opfer fällt und die gemeinsame Tochter von einem Ursupator entführt wird. Um die Thronerbin der verblichenen Kaiserin zu retten, geht Attano einen Pakt mit dem finsteren "Outsider"ein: Der verleiht dem Meisterkämpfer übernatürliche Kräfte, mit denen er seine Feinde durch Wände sehen, sich wild durch die von einer Seuche heimgesuchte Steampunk-Metropole teleportieren, Gegner mit einem Windstoß von den Beinen fegen, Rattenschwärme beschwören und viele andere nützliche bis tödliche Zauber wirken kann. Das Resultat ist eine mehr oder weniger blutige Spur, die schließlich in verschiedene End-Sequenzen mündet… je nachdem, ob der Spieler seine Kräfte vor allem zum Töten oder für das Umgehen und Betäuben seiner Widersacher eingesetzt hat. So oder so endete für die meisten Spieler der erste Teil des Abenteuers mit der Rettung von Töchterlein Emily.

Teil 2 erzählt jetzt, was aus dem vermeintlichen Happy End wurde: 15 Jahre später regiert Emily mehr schlecht als recht die sich im Wiederaufbau befindliche Stadt Dunwall nebst angeschlossener Provinzen – doch viel lieber zieht sie zusammen mit ihrem Vater durch die Gassen der Stadt, um sich von ihm in der Kunst der gedungenen Meuchelei unterweisen zu lassen. Papa fungiert nach wie vor als "Kaiserlicher Schutzherr" und ist selbst im fortgeschrittenen Alter noch erstaunlich beweglich. Trotzdem kann auch er die drohende Katastrophe nicht verhindern: Eine mächtige Hexe und angebliche Tante Emilys erscheint mit ihrem Gefolge auf der Bildfläche, um den Thron zu beanspruchen – und bevor das kampfgestählte Vater-Tochter-Gespann reagieren kann, hat die Umstürzlerin die beiden auch schon außer Gefecht gesetzt. Jetzt muss sich der Spieler dafür entscheiden, ob er einmal mehr als Corvo Attano in die Schlacht zieht – oder ob stattdessen Töchterlein Emily ran darf. Entwickler Arkane hat die Kräfte und Talente der beiden Helden ähnlich angelegt – allerdings eignet sich das Spiel als Kaisertochter vor allem für die erfahreneren "Dishonored"-Spieler: Emilys Talente sind noch mehr als die ihres Vaters auf Rafinesse ausgelegt.



 

So oder so geht's mit voller Segelkraft voraus in Attanos Insel-Heimat Tanaka, denn hier will man Hinweise auf Herkunft und Pläne der umstürzlerischen Tante finden. Anders als im düsteren "Dunwall" ist auf dem Sonnen-beschienen Eiland vor allem mediterranes Insel-Flair angesagt – ansonsten liefert Entwickler Arkane ein ähnliches Ausgangsszenario wie im Vorgänger. Wieder schleicht und metzelt sich der Spieler durch verschiedene Stadtviertel und aristokratische Prachtbauten, die diesmal allerdings nach dem Vorbild eines Open-World-Spiels direkter miteinander verknüpft sind. Und wieder wird eine Metropole von einer Schädlingsplage heimgesucht: Diesmal ist es kein Rattenschwarm, der eine tödliche Seuche bringt – stattdessen sind es Schwärme aus "Blutfliegen", die für Tod und Verderben sorgen. Doch zwischen siechenden Seuchenopfern, brutalen Wachtruppen und den schmutzübersäten Sraßen Tanakas ist es vor allem die fein ausgearbeitete Mythologie des Inselreichs, die den Spieler mehr denn je gefangen nimmt: Dialoge und Schriftstücke zeichnen das Bild einer zwar deprimierenden, aber auch faszinierenden Welt, die an genau den richtigen Stellen entweder präzise definiert oder nur groß umrissen wird, um die Fantasie des Spielers zu beflügeln. Statuen von Tentakel-bewehrten Tintenfisch-Götzen, geheimnisvolle Hexen-Kulte und nicht zuletzt die Legenden, die sich um den 'Outsider' ranken, verleihen dem Spiel mitunter ein lovecraft'sches und cthulhu'ides Flair.


Spielerisch setzt Arkane auf die gleiche Sorte handlichen Schleich- und Action-Mix, die bereits den Vorgänger erfolgreich macht: Der Held wird dabei entweder zur magischen Schleich- oder Kampfmaschine ausgebildet – zum Beispiel, indem wir vor allem Sinne und Beweglichkeit oder aber die aggressiven Fähigkeiten unseres Alter Egos steigern.

 


Wie der Vater, so die Tochter: Beim Regieren ist Kaiserin Emily Kaldwin nicht sonderlich enthusiastisch – viel lieber tritt sie in die Fußstapfen von Papa Corvo Attano. Der hat Töchterlein das Kämpfen und gedungene Meucheln gelehrt.
Wie der Vater, so die Tochter: Beim Regieren ist Kaiserin Emily Kaldwin nicht sonderlich enthusiastisch – viel lieber tritt sie in die Fußstapfen von Papa Corvo Attano. Der hat Töchterlein das Kämpfen und gedungene Meucheln gelehrt.

 

Wer gerne experimentiert, der kommt dabei voll auf seine Kosten: Die flexible Entwicklung der eigenen Figur und die weitläufigen, verwinkelten Areale sind die perfekten Spielplätze für kreatives Anpirschen, Abmurksen und Abhauen. Wo andere Stealth-Games den Spieler förmlich mit Optionen und überkomplizieten Spielmechanismen erschlagen, da entpuppt sich auch das zweite Abenteuer des maskierten Mannes als angenehm intuitiv: Die Möglichkeiten, die uns Fähigkeiten-Set und Schauplatz eröffnen, sind zwar schier unerschöpflich – doch die Handhabe geht uns mit spielerischer, fast schon instinktiver Leichtigkeit von der Hand.

Hinzu kommt eine zeitgemäße visuelle Umsetzung: Dank Entwicklungs-Technologie vom Partner-Studio id ("Doom") hat Arkane diesmal eine Welt geschaffen, die auch visuell ihrer erzählerischen Tiefe gerecht wird. Hier ist jedes Gebäude ein Kunstwerk und jedes Gesicht eine Landkarte. Und wer kurz verharrt, um das Bild von Tanaka und seinen Bewohnern in aller Ruhe zu verinnerlichen… der hat tatsächlich das Gefühl, ein wundervoll verschrobenes und mitunter bestialisches Ölgemälde zu betrachten. Fantastisch.

 

Schade nur, dass der Titel gerade auf Mittelklasse-PCs unter teils heftigen Performance-Problemen leidet. Ähnliches gilt übrigens auf Konsolen-Seite: Auf Xbox One und PS4 schleichen Corvo und Emily, als würden sie mit angezogener Handbremse loslegen – zu flüssiger Hochform läuft das Abenteuer dagegen auf der PS4 Pro auf.



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