Odyssee mit Hindernissen: "Mass Effect: Andromeda"


 

Mit ihrer Science-Fiction-Trilogie "Mass Effect" haben die kanadischen Erzähl-Profis von Bioware vor beinahe zehn Jahren die Rollenspiel-Messlatte ein ganzes Stück höher gelegt: Ein bombastisch inszeniertes, von skurrilen Alien-Spezies bevölkertes Universum und vielschichtige Gespräche mit plastischen Figuren waren die Trümpfe des spacigen Spektakels. Dazu gab's noch die epische Story vom letzten Gefecht gegen eine Rasse uralter Maschinen-Götter aus den Tiefen des Alls, und fertig war die Kult-Trilogie um Frauen-, Männer- und Alien-Schwarm Commander-Shepard – eine Art intergalaktischer 007 mit der Lizenz zum Ballern, Quatschen und Flirten. Doch mit dem Ende von Shepard war nach Teil 3 auch mit der Geschichte um lebende Raumschiffe und außerirdische Schäfer-Stündchen in der Raumschiff-Kajüte erstmal Schluss.

Bis jetzt: Um der Original-Erzählung nicht ins Gehege zu kommen, verlegt Bioware den Nachfolger kurzerhand in die weit entfernte Andromeda-Galaxie. Weil es hier noch kein Massen-Portal gibt, schicken die zivilisierten Völker der Milchstraße gigantische Welten-Archen auf eine über sechs Jahrhunderte währende Reise ins Ungewisse – mit tausenden von mutigen Kolonisten im Tiefkühlschlaf. Doch am Zielpunkt ist alles anders als gedacht: Der angebliche Garten Eden besteht nur aus von Unwettern heimgesuchten Wüsten-Welten nebst schießwütiger Feiden – und obendrein hängen die Archen der anderen Kolonisten irgendwo im Nirgendwo fest. Darum liegt jetzt alles an der menschlichen Besatzung der Hyperion und ihrem "Pathfinder" – einem intergalaktischem Pfadfinder, der bis auf DNA-Ebene mit der revolutionären KI seines Raumschiffs verknüpft ist und in dessen Rolle der Spieler bei "Andromeda" schlüpft. Doch im Grunde beginnt er seine Karriere als Welten-Erschließer, Kolonien-Verteidiger und Alien-Bekämpfer wie in den Vorgänger-Spielen, indem er entweder seinen eigenen Charakter erschafft oder mit einer vorgefertigten Figur durchstartet – einem der beiden Ryder-Zwillinge Scott und Sarah.



 

So oder so durchpflügt der Held die Andromeda-Galaxie auf der Suche nach besiedelbaren Welten, um die noch immer tiefgekühlten Kolonisten Stück für Stück aufzutauen und auf die erschlossenen Welten zu verfrachten. Je mehr glückliche Siedler ihren Weg aus dem Gefrierfach zurück in ein produktives Leben an der Sonne finden, desto mehr gibt es für Pathfinder zu tun: Wie in Biowares "Dragon Age: Inquisition" besteht der Helden-Alltag vor allem aus Mini-Missionen, Botengängen und der Stück-für-Stück-Erschließung der weißen Flecken auf der Karte. Nicht gerade episch, aber notwendig, um die zunächst nur zähflüssige Geschichte in Gang zu bringen und die Fertigkeiten des Helden sowie seiner Kollegen zu pimpen. Letztere sollen die futuristischen Weltraum-Gladiatoren in erster Linie wehrhafter machen – sie verbessern ihren Umgang mit tödlichen Projektil- oder Strahlen-Geschossen, lassen die Space-Krieger mit verschiedenen Munitions-Gattungen durchladen oder schärfen ihre Sinne für den Einsatz biotischer Fähigkeiten, mit denen sie Feinde mühelos durch die Luft wuchten, einfrieren oder  technische Systeme überladen. Geballert wird dabei wie gewohnt in Echtzeit und meist aus der Deckung schützender Felsen oder Kistenverschläge heraus – vorausgesetzt, Ryder und seine Kollegen spezialisieren sich auf Fernkampfmanöver. Zum Glück darf der Weltraum-Pfadfinder seine Spezialisierung jederzeit ändern – die Vernetzung mit der Schiffs-KI macht's möglich: Einfach per Menü ein anderes "Programm" wählen, und schon werden die Zellen des Helden neu sortiert – dank High-Tech werden die Berufsklassen durchgewechselt wie sonst die Unterwäsche.

Nicht ganz so souverän wie die Feuergefechte, Charakter-Management oder die teils prachtvollen Alien-Welten, die Ryder & Co. im gemütlichen Jogger-Schritt erkunden, hat Bioware Story und Figuren seines galaktischen Mammut-Rollenspiels hinbekommen: Die neue "Mass Effect"-Galaxie nimmt nach den einschläfernden ersten Stunden zwar allmählich an Fahrt auf – aber die inszenatorische und erzählerische Klasse der Vorgänger erreicht "Andromeda" zu keiner Zeit. Helden wie Feinde bleiben blass – obendrein wirken die Gesichtsanimationen der meisten Figuren, als hätten sie eine missglückte Gesichts-OP unter dem Einsatz einer Überdosis Botox hinter sich. Auch bei einem der größten Pluspunkte der alten "Mass Effect"-Teile hat Bioware ordenltich gepatzt – den Gesprächen. Zwar wirbt der Entwickler damit, mehr Dialogzeilen ins Spiel gepackt zu haben als bei "Masse Effect 2" und Teil 3 zusammen, aber der Qualität des Gesprochenen hat die schiere Textflut nicht gerade gut getan. Gestiegen ist dabei allein das Fremdschäm-Niveau.

Wer die alte "Mass Effect"-Trilogie vor allem für ihre filmreife Präsentation und ihre vielen fantastischen Figuren geliebt hat, der wird in der "Andromeda"-Galaxie eine herbe Enttäuschung erleben. Spieler dagegen, die vor allem ihren Forscher-Trieb ausleben, auf über hundert fremden Welten landen und teils knackige Feuergefechte erleben möchten, könnten trotz der zahlreichen technischen Unzulänglichkeiten und steifen Protagonisten glücklich werden. Obendrein freuen sie sich über einen interessanten Multiplayer-Modus, dessen Koop-Einsätze sich direkt auf den Verlauf der Einzelspieler-Kampagne auswirken können.