Eine Zugfahrt, die ist lustig, die ist... verstörend? Für die beiden Waisen Scarlet und Finn entwickelt sich eine gewöhnliche Bahnreise zum mystischen Adventure-Trip in den eigenen Gedanken-Kosmos. Dafür verortet Entwickler PaperSeven seine Erzählung zielsicher zwischen "Walking Simulator" und Adventure.
So lustig und schön wie im bekannten Volkslied sind Zugfahrten sowieso nur selten - doch im Falle von "Blackwood Crossing" verlaufen sie gleich dermaßen dramatisch und mitreißend, dass Heulkrämpfe vorprogrammiert sind: Das Independent-Adventure von PaperSeven erzählt die Geschichte der beiden Geschwister Scarlet und Finn. Und bei denen gerät eine auf den ersten Blick gewöhnliche Bahnreise zum mystischen Selbsterfahrungs-Trip á la "Alice im Wunderland".
In die Rolle des "Weißen Kaninchens" schlüpft dabei ein geheimnisvoller Junge mit Matrosenanzug und Hasen-Maske, der Protagonisten Scarlet und ihren Bruder immer tiefer in den "Kaninchenbau auf Schienen" entführt. Ein ebenso entzückendes wie bedrückendes Wunderland, in dem sich hinter jeder Abteil-Tür und jeder Ecke ein neuer "Erinnerungsraum" befinden kann - ein Abstecher in die Vergangenheit der beiden Kinder. Während Finn zunächst fröhlich ausgelassen, später zunehmend verstimmt durch den Zug und das in ihm wuchernde Zauber-Reich tollt, stolpert ihm der Spieler in der Rolle Scarlets hinterher. Durch urplötzlich aus dem Boden sprießende Wiesen und Wälder oder von maskierten Fahrgästen besetzte Großraum-Wagons. Findet sich unvermittelt in einem Baumhaus oder auf einer idyllischen Insel wieder, steigt in die finsteren Tiefen der Erde hinab und begegnet längst totgeglaubten Bekannten oder Verwandten.
Inzwischen entfaltet sich eine mal belustigende, dann wieder verstörende und zu Tränen rührende Geschichte, in deren Verlauf das Verhältnis der beiden Geschwister mehr als nur eine überraschende
Wendung erfährt. Ein bestimmendes Motiv ist dabei die sich immer stärker auswirkende Alterskluft zwischen der allmählich zur Frau heranreifenden Scarlet und ihrem sich zunehmend vernachlässigt
fühlenden Bruder.
PaperSeven spickt die weitgehend geradlinige Reise durch die Erinnerungs- und Gefühls-Landschaft des Paares mit einigen simplen Objekt- sowie Sortier-Puzzles. Die stellen für gestandene
Adventure-Fans zwar keine ernsthafte Herausforderung dar, wirken sich aber positiv auf das angenehm straffe Erzähltempo der spannenden Seelenschau aus. Hier ein paar Dialog-Fetzen in die richtige
Reihenfolge bringen, dort mit Hilfe einer angekokelten Zeitung ein Pappmaché-Vorhängeschloss knacken - viel komplexer wird's nicht, wenn in "Blackwood Crossing" die grauen Zellen gefragt sind.
Macht aber nichts: Dieses Spiel will vor allem eine Story erzählen - und das gelingt ihm nahezu perfekt. Schade nur, dass einige technische Unzulänglichkeiten und eine schwammige Steuerung die
Erfahrung gelegentlich trüben, auch inszenatorisch hätte das Abenteuer mehr Feinschliff vertragen. Aber immerhin: Nach einer eher verhalten präsentierten ersten Stunde nimmt die Zugfahrt in
den Kaninchenbau merklich an Fahrt auf, bevor sie nach knapp drei Stunden zielsicher den von Tränen umspülten Bestimmungs-Bahnhof erreicht.