Die Amputations-Maschine: "The Surge"


 

Großkonzerne haben die überbevölkerte Welt zugrunde gerichtet, und ein Großkonzern soll es jetzt richten: Der auf Robotik spezialisierte Industrie-Moloch "CREO" wirbt mit grüner Energie - doch in erster Linie wird es unter seiner Direktive blutrot! Zu den armen, ahnungslosen Schafen, die von dem Technik-Riesen zur Schlachtbank geführt werden, gehört "The Surge"-Held Warren: Als Gehbehinderter freut sich der besonders auf die bevorstehende Anstellung bei CREO, denn dessen für schwere Fabrik-Arbeiten konzipierte Exo-Skelette versprechen vor allem eins – ein Leben ohne Rollstuhl! Und tatsächlich: Einmal mit dem Stahl-Rahmen und seinen intelligenten Servo-Motoren verschraubt, kann Warren wieder ungehindert laufen, springen und ungestüm nach vorne preschen – doch abgesehen davon entpuppt sich der neue Arbeitsvertrag als Reinfall. Zum Kleingedruckten gehört neben der schmerzhaften OP (ohne jede Betäubung) nämlich die Aussetzung des Probanten auf einer Schrottplatz-ähnlichen Anlage. Hier muss sich Warren zwischen ausgebrannten Raketen-Wracks und rostigen Montage-Hallen einen Weg durch Cyber-Zombies und fliegenden Roboter-Drohnen bahnen – mit einen Hologramm als einziger Verbündeten.

Der deutsche Entwickler Deck 13 nutzt dieses Szenario für ein Science-Fiction-Gemetzel nach "Dark Souls"-Rezept: Nachdem man bereits mit "Lord of the Fallen" die erfolgreiche Rollenspielreihe der japanischen Spiele-Schmiede From Software zitiert hat, verlegt man das Subgenre jetzt in eine düstere Zukunft. Wie gewohnt ist gezielte Spieler-Tortur Programm, auch "The Surge" ist für Genre-Profis gemacht. Obwohl der Schwierigkeitsgrad merklich hinter den unmenschlich schweren Scharmützeln der japanischen Steilvorlage zurückbleibt, muss der Spieler seine Umgebung auch in den Industrie-Parks von CREO in ganz kleinen und zögerlichen Etappen erforschen. "Ein Schritt vor, zwei zurück" ist die Devise, denn wie gewohnt hinterlässt der Held im Falle des Bildschirmtods die bis dahin gesammelten Ressourcen am Ort des unsanften Ablebens – und wenn er sie nach seiner  Reinkarnation am letzten Rücksetzpunkt nicht ruckzuck wieder einsammelt, sind seine Besitztümer für immer verloren. Problem: Alle gerade erst niedergerungenen Roboter und Hight-Tech-Untoten sind wieder auferstanden – alles von vorne bitte!



 

Anders als bei "Lords of the Fallen" oder "Dark Souls" hat man sich für "The Surge" die klassische Punkte-Büroratie eines Rollenspiels gleich ganz gespart: Warren bekommt keine Erfahrungspunkte, stattdessen kalkuliert er mit tonnenweise erobertem Altmetall und anderen Materialien, um sie anschließend in einer CREO-Werkstatt in Leistungssteigerer zu verwandeln oder mit ihrer Hilfe die "Kernleistung" seines Exo-Suits zu pimpen. Merke: "Altmetall" ist das "Surge"-Pendant zum gemeinen Erfahrungspunkt, die Kern-Performance entspricht der altbewährten Erfahrungsstufe. Besonders wertvolle Ressourcen und die für Eigen-Kreationen nötigen Baupläne bekommt Warren, indem er in ihren Stahl-Skeletten verwesenden Feinden gezielt ihre Gliedmaßen nebst dort verschraubter Ausrüstung abschnippelt: Ein Schlenker mit dem rechten Analog-Stick über die gewünschte Trefferzone entscheidet, ob es nach siegreichem Gefecht Beine, Arme oder Köpfe regnet. Auf diese Weise erhält der Cyber-Metzger von CREOS Gnaden Konstruktions-Anleitungen für bessere Arm-Elemente, stärkere Beinprotesen oder noch tödlichere Waffen: Hier beschränkt sich "The Surge" übrigens auf elektronische Säbel und unter Strom stehende Prügel – Held Warren ist ein reiner Nahkämpfer, aus allen Rohren feuern dürfen nur die Gegner.

Mit "The Surge" beweist das in Frankfurt und Hamburg ansässige "Deck 13"-Team zwar einmal mehr, dass hochkarätig produzierte Spiele-Kost auch aus Deutschland kommen kann – eigenständige Ideen tischt das Cyber-Geschnetzelte á la "Dark Souls" dem Genre-Fan allerdings nicht auf. Den Schrottplätzen und Fabrikhallen mangelt es ebenso wie Held Warren am herrlichen schrottigen Charme eines "Fallout 4", auch hinter der druckvollen Atmosphäre eines "Lords of the Fallen" bleibt es weit zurück. Wem die großen Vorbilder von "The Surge" zu hart sind, der erhält mit Warrens futuristischem Spießrutenlauf aber immerhin einen angenehm verzeihlichen Einstieg in das inzwischen nicht mehr ganz so trendige Rollenspiel-Subgenre. Wer dagegen die Dämonen aus "Dark Souls" oder "Nioh" bereits zum Frühstück verspeist, der kann "The Surge" nur müde belächeln.