Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft: "Uncharted – The Lost Legacy"


 

Nathan Drake darf zuhause bleiben und alte Socken stopfen - in dieser "Uncharted"-Episode übernehmen zwei wehrhafte Power-Frauen das Ruder. Kenner der erfolgreichen Serie wurden bereits mit den Damen bekannt gemacht: Chloe Frazer war in Teil 2 und 3 mit von der Action-Partie, Nadine Ross wiederum durfte in Teil 4 die brutale Boss-Domina geben. Für "The Lost Legacy" tun sich beide Abenteurerinnen zusammen, um in Indien nach einem geheimnisvollen Stoßzahn-Artefakt zu suchen. "Uncharted"-typische Extrem-Kletterpartien, viele Explosionen und reichlich Zicken-Terror inklusive.

Für das erste "Uncharted"-Abenteuer ohne Nathan Drake und seinen ergrauten Dauer-Sidekick Victor Sullivan setzt Entwickler Naughty Dog auf eine dezent abgeänderte Abenteuer-Formel: So nehmen die beiden Heldinnen zwar immer wieder Bezug auf die Ereignisse der Vorgänger-Spiele, aber Chloe und Nadine entwickeln schnell ihre eigene, rasante Beziehungs-Dynamik - und die bezieht einen wesentlichen Teil ihrer Faszination aus Nadines Wechsel vom Fieslings- ins Heldenlager. Während die indischstämmige Chloe die Heldin gibt und vom Spieler durch wuchernde Urwälder oder ausladende Ruinen dirigiert wird, ist die von der Konsolen-KI gesteuerte Nadine für markige Kommentare und kraftvolles Unterstützungsfeuer zuständig. Vor allem aber sorgt die durchtrainierte Mittdreißigerin durch ihre Vergangenheit als skrupellose Söldner-Chefin und ihre Beziehung zu den Drake-Brüdern für jede Menge erzählerischen Zündstoff.

 



 

Ansonsten dürfen sich geübte "Uncharted"-Spieler zwar auf die bewährte Mixtur aus Kletterpartien, Feuer-Gefechten und Hollywood-artigem Action-Film-Eskapismus einstellen - aber durch einen simplen Design-Kniff ändert Entwickler Naughty Dog Spieltempo und -gefühl dramatisch: Die im Hauptspiel nur am Rande stattfindende Jeep-Tour durch ein frei befahrbares Terrain wird für "Lost Legacy" nämlich in den Rang des zentralen Spiel-Elements erhoben. Indem Naughty Dog seine beiden Heldinnen den indischen Busch nach über die Landkarte versprengten Artefakten und Hinweisen durchforsten lässt, verleiht man dem Spin-Off beinahe die Anmutung eines Open-World-Games: Chloe und Nadine manövrieren ihr Gelände-Vehikel dabei durch Flussläufe und schlammverspritzte, rutschige Hügellandschaften. Halt gemacht wird überall dort, wo die beiden ihre Umgebung näher in Augenschein nehmen möchten - zum Beispiel, um auf der Suche nach Schätzen einen abschüssigen Gebirgspfad zu erklimmen, in einer gefluteten Ruine auf Tauchstation zu gehen oder ein knackiges Rätsel zu lösen, das sie dem Ziel ihrer Mission näher bringt: einen Juwelen-besetzten Elefanten-Stoßzahn finden, bevor ihn der durchgeknallte Warlord Asav in die Finger bekommt. Dessen Handlanger durchkämmen ebenso wie die beiden Action-Damen die Wildnis sowie die versunkenen Städte eines antiken Königreichs - reichlich Schleich-Einlagen und markige Schusswechsel sind also vorprogrammiert. Im Direktvergleich mit dem Action-lastigen vierten und dritten Tiel hat Naughty Dog die Baller-Frequenz während der Dschungel-Erforschung zwar spürbar reduziert, aber dafür gibt es beim Finale - zumindest gefühlt - die doppelte Menge Kawumm.

 


"Lost Legacy" lebt von  atemberaubenden Details: Hier hinterlässt Chloe Spuren im Schlamm.
"Lost Legacy" lebt von atemberaubenden Details: Hier hinterlässt Chloe Spuren im Schlamm.
Resultat: Wenige Sekunden später gibt es nasse Fußabdrücke auf dem trockenen Felsen daneben.
Resultat: Wenige Sekunden später gibt es nasse Fußabdrücke auf dem trockenen Felsen daneben.


 

Doch all den packenden Action-Einlagen, schweißtreibenden Kraxeleien und launigen Wort-Duellen zwischen den beiden Protagonistinnen zum Trotz ist der eigentliche Star des Abenteuers einmal mehr das verschwenderisch ausstaffierte Szenario: Gigantische, aus dem Fels gemeißelte Prachtbauten und vor exotischem Leben brodelnde Dschungel zeichnen das Bild eines verlorenen Paradieses, in dem Granaten-werfende Söldner und paramilitärische Truppenaufmärsche eigentlich nichts verloren haben. Und das Bild eines Spiels, das eher ein vollwertiges Spin-Off ist als ein bloßes Add-On: Tatsächlich schlägt das auch ohne "Uncharted 4" lauffähige "Lost Legacy" das Hauptspiel in beinahe allen Belangen - lediglich der vergleichsweise knappe Spielumfang von nur etwa acht Stunden verhindert, dass der ganz und gar undamenhafte Ausflug nach Indien als vollwertige "Uncharted"-Episode durchgeht. Dafür gibt es immerhin einen waschechten Multiplayer-Modus: Wer schon immer als "Uncharted"-Promi mit vorgehaltener Knarre durchs kniehofe Wasser waten und dabei Freunde aufs Korn nehmen wollte, ist hier ebenso richtig wie jeder, der einen spielbaren Abenteuer-Film erleben möchte.