Das Licht ist tot, es lebe das Licht: Destiny 2


 

Bungies Multiplayer- und Science-Epos geht in die zweite Runde - doch bevor sich Action-Schützen wieder über zerklüftete Alien-Welten ballern dürfen, um die Menschheit vor der aufziehenden "Dunkelheit" zu retten, fliegt ihnen erstmal alles um die Ohren: Der Gott-ähnliche "Reisende" - eine riesige Sphäre, die über der letzten Stadt der Erde schwebt - wird gefangen genommen… und mit ihm schwinden die Mächte des "Lichts", aus denen die Hüter-Charaktere der Spieler ihre Kräfte beziehen. Kann es den Helden trotzdem gelingen, vereint den drohenden Untergang abzuwehren?

Als Activision 2013 mit einem neuen Shooter-Epos von "Halo"-Erfinder Bungie an den Multiplayer-Start geht, will man nicht nur eine langlebige Marke etablieren – außerdem geht es darum, auch all jene Action-Fans anzulocken, die mit Rudel-Ballereien sonst nur wenig am Hut haben. Hierfür setzt Bungie auf einen simplen, aber genialen Trick: Man unterteilt die über mehrere Planeten verteilte Spielwelt in riesige Instanzen, von denen sich jede fast wie eine kleine "Open World" anfühlt. Während sich der Spieler springend, schießend und Gleiter-fahrend frei durch diese Gebiete bewegt, trifft er vereinzelt auf andere Spieler, die nach dem Zufallsprinzip derselben Instanz zugeteilt werden. Durch diesen zwanglosen Umgang mit dem Multiplayer-Feature schafft Bungie tatsächlich das Kunststück, Mehrspieler-Muffel und -Junkies an "einen Tisch" zu holen.

Für den Nachfolger will man sich aber vor allem auf solche Spieler einschießen, die sich beim ersten Hauptspiel unterfordert gefühlt haben. Darum legt Bungie für "Destiny 2" gleich zu Beginn eine wesentlich härtere Gangart vor: Indem man den geheimnisvollen "Reisenden" durch einen Großangriff der Kabale-Aliens gefangen nehmen lässt, beraubt man die den Ton angebenden "Hüter" ihres wichtigsten Verbündeten. Das Resultat ist die Zerstörung der letzten menschlichen Bastion auf der Erde und ein für Bungie-Verhältnisse ungewöhnlich harter, von niederschmetternden Story-Ereignissen geprägter Einstieg ins Abenteuer. In dessen Verlauf verliert der Hüter-Avatar des Spielers erstmal sein "Licht" und damit seine wichtigsten Fähigkeiten: Keine "Super"-Attacken, kein Doppel- oder Dreifach-Sprung und keine anderen Extras mehr, um über das Schlachtfeld wuselnden Feind-Aliens wie "Gefallenen" oder "Kabalen" den Garaus zu machen. Alles futsch, Ende Gelände.

 



 

Oder doch nicht? Zwar bekommt der Hüter schon nach wenigen Spielstunden seine wichtigsten Talente zurück - doch die Botschaft ist klar: Hier kann jederzeit alles passieren - selbst die sonst für das Spiel typische Fähigkeit des Hüters, nach dem Exitus wieder quicklebendig ins Kampfgetümmel einzutauchen, kann zeitweise außer Kraft gesetzt werden. Auch sonst hat sich Bungie sichtlich Mühe gegeben, die Daumenschrauben anzuziehen: Gegnern einen Treffer zu verpassen – das ist bei "Destiny 2" ebenso wenig eine Selbstverständlichkeit wie ein bequemes, weitläufiges Terrain, auf dem die feindlichen Streitkräfte bequem flankiert und ausmanövriert werden können. Wer das erste "Destiny" vor allem für seine Bewegungsfreiheit und seine intuitive Kampfdynamik schätzte, der bekommt hier erstmal einen empfindlichen Dämpfer versetzt.

Und das, obwohl sich "Destiny 2" sichtlich Mühe gibt, mehr Stimmung aufzubauen als der erste Teil: Zahlreiche Sequenzen und Gespräche treiben eine cineastisch aufbereitete Handlung voran – schade nur, dass weder Dialog-Skript noch Vertonung das inszenatorische Niveau halten können. Ausgesprochen gut gelungen ist den Entwicklern dafür die visuelle Präsentation: Obwohl längst nicht jeder Planet anspricht, bietet Bungie von deutschen Wäldern und Ruinen-Städten bis hin zu sturmgepeitschten Wasser-Welten ein abwechslungsreiches Kaleidoskop aus verschiedenen Szenarien, die mit etlichen Kampagnen-, aber auch vielen frei spielbaren Missionen locken. Schade dagegen, dass Bungie die zunächst interessante Erzählung um die Zerschlagung der Hüter-Stadt und die Gefangennahme des "Reisenden" nicht konsequent durchhält: Sobald der Prolog vorbei ist und sich die Überlebenden in die trügerische Sicherheit der ausrangierten Gebirgs-"Farm" geflüchtet haben, beginnt das übliche Wechselspiel aus platt vorgetragenen Standard-Briefings und mechanischer Missions-Abarbeitung.

Wer sich mit diesen Abstrichen arrangieren kann, der bekommt jedoch die gewohnt gelungene Mixtur aus Shooter, Rollenspiel und hemmungslosem Hoch-Leveln: Ganze Hundertschaften aus garstigen Alien-Bestien umzupusten, um anschließend fette Beute, Erfahrungspunkte und die verschiedensten Schießprügel einzustreichen – das macht gerade im Team noch immer so viel Spaß wie 2013. Und wem das noch nicht reicht, der lässt sich wie gewohnt auf ein paar Runden Profi-Shootout im "Schmelztigel" ein – also dem Teil von "Destiny", der mit Spielmodi wie "Capture the Flag" oder "Konflikt" dem klassischen Multiplayer-Erlebnis anderer Shooter am nächsten kommt. Wer "Destiny" allerdings wie den ersten Teil vor allem als Kampagnen- und Singleplayer-Spektakel mit nur gelegentlichen Koop-Abstechern genießen möchte, der sollte erstmal abwarten: Hier gibt sich die Fortsetzung - abgesehen von den anfangs üblichen Server-Schwierigkeiten und gelegentlichen Abstürzen auf der PS4 Pro - die bisher größte Blöße. Ansonsten hat es Bungie zwar geschafft, genau die Sorte Feature- und Umfangs-Monster zu erschaffen, die sich viele Spieler schon für den Erstling gewünscht haben – doch die gleiche Spielfreude wie beim Vorgänger kommt noch nicht auf.