Das beschissene Rollenspiel: "South Park: Die rektakuläre Zerreißprobe" im Pups-Test


 

Wurden im Vorgänger "Der Stab der Wahrheit" noch "Game of Thrones", "Der Herr der Ringe" und andere Fantasy-Filme durch den Kakao gezogen, nehmen Cartman, Kyle, Stan, Kenny & Co. nun alles auf die Schippe, was im Superhelden-Kosmos Rang und Namen hat. Das Regelwerk des immer wieder verschobenen Anarcho-Rollenspiels "Die rektakuläre Zerreißprobe" wurde ebenso aufpoliert wie das rundenbasierte Kampfsystem. Geblieben ist der teils krude Humor - wie immer mit einer ordentlichen Überdosis "Arsch" und "Kacke", denn bei der "Rektakulären Zerreißprobe" dreht sich alles um die explosive Entladung von Darmwinden. Obendrein starten die Superhelden-Lager um Cartman alias Coon und Kenny alias Mysterion ihre eigenen "Civil War". Eine Extra-Folge der beliebten TV-Serie hat bereits auf die Po-Detonationen der "South Park"-Kids vorbereitet.

Der Neue in der Straße zu sein, ist gerade für Kinder nicht leicht - das hat bereits der Vorgänger "Stab der Wahrheit" gezeigt. Da hat sich das "neue Kind" gerade erst mit viel Mühe beim "Herr der Ringe"-Spielen zum König des imaginären Kinder-Reichs hochgearbeitet - und schon ändert Rüpel Cartman überraschend den Spielkurs: Fantasy ist out, Superhelden sind in - und rein zufällig ist es Cartmans superheldisches Alter Ego "Coon", der jetzt am Drücker sitzt. Also muss "der Neue" wieder bei Null anfangen: Zuerst eine geeignete Superheldenklasse finden und eine tragische Vergangenheit erstellen. Dann noch einen feschen Fummel nähen, schließlich eine besondere Schwäche - das "Helden-Kryptonit" - finden, und fertig ist eine heroische Identität, die Viertklässler, Sechstklässler und sogar einige Erwachsene erzittern lässt.

 



 

Was folgt, das ist ein greller Trip durch den von der TV-Vorlage bekannten, obskuren Kinder-Kosmos, um eine steile Helden-Karriere zu schmieden. Wie immer kreuz und quer durch die Straßen von South Park, in dem Mobilfunk-Läden und Schönheits-Praxen zu Nachschub-Lagern werden, dunkle Gassen zum Schauplatz epischer Gefechte zwischen Gut und Böse und Keller zu geheimen Superhelden-Hauptquartieren. Natürlich wird im kindlichen Gedanken-Kosmos nach strengen Regeln gespielt: So hält man sich bei Kämpfen an eine strikte "Runde für Runde"-Vorgabe, zieht sorgfältig über die Felder eines gedachten Schachbrettmusters und setzt dabei nur solche Superkräfte ein, die deutlich im Online-Profil des Helden sichtbar sind. Wird der Straßenkampf zum Beispiel durch ein vorbeifahrendes Auto gestört, ziehen sich alle Beteiligten brav auf den nahen Bürgersteig zurück und spielen so lange auf ihren Handys, bis es weitergehen kann. Das Effekt-Budget der kindlichen Fantasie ist natürlich unbegrenzt: Kyle alias "Human Kite" stürzt mit Hilfe seines Flugdrachens aus dem Erdorbit auf das Schlachtfeld, um seine Feind ungespitzt in den Erdoben zu rammen. Inzwischen lässt "Super-Craig" die Bösewichter von seinem gnadenlosen Kampf-Meerschweinchen maßregeln, saugt "Moskito" sie aus und setzt ihnen Spieler-Charakter "Arschkind" mit vernichtenden Furz-Attacken zu. Doch auch abseits der Rundenkämpfe spielen die Darmwinde des Helden eine wichtige Rolle: Mit ihrer Hilfe knattert sich die Figur buchstäblich zurück in der Zeit - außerdem können vor Kampfbeginn abgelassene Körper-Abgase im anschließenden Gefecht zu taktischen Vorteilen verhelfen, weil sich die Gegner erstmal tüchtig auskotzen müssen.

Wer bei solchen Beschreibungen schon pikiert die Augenbrauen nach oben zieht, für den ist auch das neue "South Park"-Rollenspiel nichts - denn derber, oft grenzwertiger Fäkal- und Holzhammer-Humor sind hier ebenso an der Tagesordnung wie in der TV-Vorlage. "South Park" lebt vom respektlosen Umgang mit Themen wie Popkultur, Politik oder Social-Media-Wahnsinn, ist aber dafür an anderer Stelle unglaublich politisch korrekt (Stichwort: Gender-Gleichberechtigung). Außerdem verbirgt sich unter den Bergen aus Kotze, Rotz sowie Glibber auch jede Menge grandios geschriebener Feinsinn – man muss ihn nur entdecken. Ähnlich ergeht es dem Spiel selber: Hinter der nahezu perfekten Umsetzung der Serien-Vorlage mit Aufmachung einer überlangen "South Park"-Folge verbirgt die "Rektakuläre Zerreißprobe" vor allem ein brillantes Rollenspiel. Das überzeugt mit taktischer Finesse und fein aufeinander abgestimmten Spiel-Mechanismen, die das Entwickeln des eigenen Helden angenehm detailliert, aber auch sehr arbeitsintensiv gestalten. Der Schauplatz selber ist durch den Vorgänger zwar bereits bekannt, wurde aber mit genug neuen Details, Figuren und Missionen gespickt, um interessant zu bleiben: Das vermeintlich kleine Bergdorf "South Park" ist wieder mal größer und spielerisch umfangreicher als es aussieht - gut, dass ein komfortables Schnellreise-System dabei viel Gelatsche erspart.

"South Park"-Verweigerer werden mit der Zerreißprobe naturgemäß wenig anfangen können - dafür sind der visuelle und erzählerische Stil der Serie zu speziell. Fans bekommen dafür die vielleicht authentischste Vorlagen-Umsetzung, die jemals ein Spiel zu bieten hatte - fast alle deutschen Serien-Sprecher und Original-getreue Tonart inklusive. In dieser Hinsicht schlägt der neue Teil sogar den schon ähnlichen großartigen Vorgänger. Ob man die vergleichsweise simplen und "Final Fantasy"-artigen Gefechte des Erstlings oder die neue und mehr auf Taktik gebürstete Herangehensweise bevorzugt, ist dabei Geschmacksache - allerdings läuft das neue "South Park" hier und da Gefahr, zum Komplexitäts-Monster zu geraten. Für einen potenziellen dritten Teil darf das inzwischen etwas überbordende Regelwerk gerne wieder entschlackt werden.