Weltreise à la Nintendo: "Super Mario Odyssey"

Raus aus dem Pilzkönigreich und rein in die große, weite Welt: Um die Hochzeit zwischen Erzfeind Bowser und Prinzessin Peach zu vereiteln, reist Fulltime-Held Mario rund um den Globus - sogar der Besuch in einer ungewohnt realistischen Großstadt-Kulisse steht auf dem Programm. Immer mit dabei: Eine magische Kappe, mit deren Hilfe sich Feinde wie Gumbas, Osterinsel-Köpfe und riesige Raub-Saurier übernehmen und steuern lassen.

Dabei ist Marios neue Kopfbedeckung ähnlich gut gelaunt wie ihr Träger: Zwei schelmisch dreinblickende Comic-Augen geben der magischen Kappe Charakter. Kein Wunder: "Cappy" stammt aus dem von verzauberten Hüten bewohnten Land "Zylindrien". Das wurde ebenso wie das Pilzkönigreich zum Opfer von Bowsers jüngstem Raubzug - darum schmieden Klempner und Kappe ein explosives Jump'n'Run-Bündnis, um Prinzessin Peach aus seinen Klauen zu befreien: Also verwandelt sich Cappy in Marios rote Klempner-Kappe und verleiht ihm die Fähigkeit, in die Polygon-Pelle beinahe aller Gegner zu schlüpfen. Einfach die Kopfbedeckung in Feindrichtung schleudern - und schon fährt Mario buchstäblich in die Haut von Gumbas, laufenden Zwiebelköpfen, Fischen, Kraken und andere Bewohnern der verschiedenen Themen-Welten. Deutlich erkennbares Merkmal des "Caper-Manövers": Die "besessenen" Tierchen tragen ab sofort rote Kappe und Schnurrbart. Mit dem Äußeren seiner Ziele erbt Mario auch deren Fähigkeiten: Als Klempnerfisch- kann der Held entspannt die Tiefsee erforschen, als T-Rex Felsen zertrümmern und als Tintenfisch mit Hochdruck-Wasser-Antrieb durch die Wellen pflügen. Und ist ein Feind nicht "caper-bar", lässt er sich wenigstens durch gezielten Hut-Beschuss ausschalten.



 

Damit haben sich die Besonderheiten des neuen Mario-Abenteuers aber lange nicht erschöpft: Wie ein "Mario 64" und "Mario Galaxy" setzt auch "Super Mario Odyssey" weniger auf harte Hosenboden-Action als vergleichsweise entspannte Erkundung. Und als Belohnung für abgeschlossene Aufgaben winkt fast immer ein magischer Sichelmond: Der wandert später zusammen mit seinen Artgenossen ins nächste Upgrade für Marios und Cappys Luftschiff - die "Odyssey". Nur mit genug Monden im Gepäck kann das urige Vehikel die Reise zum nächsten Leven antreten. Für den Weg dahin empfiehlt Nintendo übrigens, die beiden Joy-Cons von der Switch beziehungsweise aus der Pad-Schale zu lösen: Die verschiedenen Hutwurf-Manöver lassen sich zwar genauso auf Button-Druck und mit dem Pro-Controller auslösen, wurden aber für die Bewegungssteuerung der Joy-Cons konzipiert. Kurze Schlenker und Dreh-Bewegungen, um die Kopfbedeckung durch den Level wirbeln, kreisen oder auf der Stelle verharren zu lassen - das fühlt sich fast so an wie zu seligen Wii-Zeiten.

Spielwelten wie eine von mexikanischen Calaveras-Skelekttköpfen bewohnte Wüste oder die von der Party-wütigen Bürgermeisterin Pauline regierte Stadt "New Donk City" wiederum fühlen sich so an, als hätte man es mit kleinen "Open Worlds" zu tun: Hier kann der Klempner nach Herzenslust laufen, forschen und hopsen - viele verborgene Winkel dieser Miniatur-Kosmen sind allerdings nur zugänglich, wenn Mario die Fähigkeiten von "gecaperten" Gegnern richtig einsetzt . Auch Boss-Gegner verlangen oft nach einem cleveren Caper-Manöver: So will der Blubberstrand vom Joch eines riesigen Kraken befreit werden, indem Mario selber in die Rolle eines Kopffüßers schlüpft. Oder lässt sich der unterkühlte Endgegner der Wüsten-Welt nur bezwingen, indem man seine eigenen Fäuste "capert" und ihn dann ordentlich damit verdrischt. Bürgermeisterin Pauline wiederum will zu Ehren des Klempners ein großes Festival ausrichten - benötigt aber zunächst dessen Hilfe, um die nötigen Musiker aufzutreiben. Die halten sich aber an oft nur schwer zugänglichen Orten der City auf - also muss sich Mario per in eine Stromladung verwandeln, um dann kreuz und quer durch das Kabelnetz der Stadt zu huschen.

 



 

Aber keine Sorge, auch klassische Hupf-Eskapaden stehen auf dem Programm - vor allem dann, wenn Mario eine Röhre betritt, um am anderen Ende einen platten 8Bit-Pixel-Kosmos vorzufinden. Der wurde auf platte Flächen wie Mauern oder Böden appliziert und wird nach Art eines NES-Marios durchhupft. Sogar einen vom "Donkey Kong"-Automaten inspirierten Level hat Nintendo auf diese Weise in das neue Mario-Abenteuer integriert: Während Bürgermeisterin Pauline und ihre Festival-Band den Youtube-Hit "Jump Up, Super Star!" trällern, springt der Klempner durch den auf das Festival-Gerüst projizierten Affen-Level. Auch abseits des bekannten Ohrwurms wird musikalisch viel geboten: Die Themen reichen von Varianten bekannter Klempner-Melodien bis zu orchestralen Großaufgeboten, die sich bei Betreten der 8Bit-Welt in launiges Chiptunes-Gequäkse verwandeln.

Nintendo hält das Klempner-Erbe also selbst im modernen 3D-Kosmos gelungen lebendig - auch wenn der eine oder andere jüngere Spieler den aufgezwungenen Retro-Intermezzi vermutlich nur wenig abgewinnen kann. Ähnlich gewöhnungsbedürftig ist der kunterbunte Grafik-Stilmix: Welten wie Paulines City-Universum sind zwar interessant, wollen aber nicht so recht ins übliche Cartoon-Bild der Mario-Marke passen - ebenso wie der Ausflug in einen skurrilen Plastik-Dschungel, bei dem Nintendos Art-Department endgültig die Gäule durchgegangen sind. Wer sich aber mit dem zunächst gewöhnungsbedürftigen Grafik-Potpourri und dem Verzicht auf harte Jump'n'Run-Arbeit zugunsten Adventure-ähnlicher Erforschung anfreunden kann, bekommt mit "Super Mario Odyssey" das beste "große" Klempner-Spiel seit "Mario Galaxy 2". Mit dessen schwere- wie zeitlosem Spiel-Design kann es Marios Weltreise leider nicht aufnehmen, doch für Switch-Besitzer mit Jump'n'Run-Ambitionen ist die mit aberwitzigen Einfällen gespickte Odyssee ein Pflichtkauf – und Marios "3D World" für die WiiU schlägt sie um Längen.