Zuerst Bücher, dann Comics, später Filme… und jetzt Games: Computer- und Videospiele sind das jüngste Unterhaltungsmediun – aber bedeutet das auch zwangsläufig, dass sie die älteren Medienformen verdrängen?
Comics, Filme, Serien, Superhelden & Co: Darüber fabuliere ich im monatlichen Comic-Newsletter für den Augsburger Verleger "Bunte Dimensionen" – aber meine Aufback-Brötchen verdiene ich für
gewöhnlich mit dem Schreiben über Computer- und Videospiele oder der Gestaltung entsprechender Bücher und Zeitschriften. Heute spitze ich den Bleistift für Texte über "Call of Duty", "Star Wars
Battlefront" und "The Witcher" – Mitte der 90er waren es "Chrono Trigger", "Secret of Mana" und "Donkey Kong Country". Geändert hat sich die Darstellungs-Art und -Qualität, mit der Games auf
die Mattscheibe gebracht werden – kaum verändert hat sich dagegen die Geringschätzung, mit der man dem Medium "Spiel" und denen, die darüber berichten, noch immer begegnet. Phrasen wie
"Spiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen" wollen uns zwar breite Akzeptanz vorgaukeln – aber das einzige "Breit" kommt dabei aus der "VerBREITung". Wie selbstverständlich wird heute
auf den verschiedensten Geräten gezockt, gefummelt, und gesuchtet – vom heimischen Daddel-PC über die PlayStation 4 bis hin zu Smartphone und Tablet-PC für den mobilen Zock beim Weg ins Büro.
Doch die Omnipotenz des verspielten Mediums macht es nicht zwangsläufig besser gelitten – zu Vorurteilen wie "Verrohung" und "Verdummung" haben sich während der letzten Jahre noch
Negativ-Schlagwörter wie "Online-Spiele-Sucht" und (besonders im Falle von Free-to-Play-Spielen) "Geldgrab" gesellt. Erst kürzlich will die Universität in Ulm im Rahmen einer neuen Studie
herausgefunden haben, dass MMORPGs wie "World of Warcraft" das Volumen des orbitofrontalen Kortex schrumpfen lassen – also derjenigen Gehirn-Partie, die dabei hilft, uns beim Durchstöbern
des "Bunte Dimensionen"-Programms z.B. entweder für die "Eisendivisionen" oder "Der Mann mit der Maske" zu entscheiden… und uns anschließend diebisch darüber zu freuen, wenn wir mit dem
gekauften Album zu einer gemütlichen "Plumps-und-Schmöker"-Session auf dem Örtchen zu verschwinden. Wenn es nach den für die Studie verantwortlichen Köpfen geht, dann ist ein passionierter
"WoWler" schon nach wenigen Monaten so entscheidungsunfähig, dass er nicht mehr weiß, ob er nach dem Aufschlagen eines "Millennium"-Albums zuerst die Autoren-Beschreibung studieren oder gleich
zur Handlung übergehen soll. Und das, obwohl Videogames dem Spieler nahezu permanent Entscheidungen abverlangen – und viele davon muss er innerhalb von Sekundenbruchteilen treffen. Andere Studien
sind zu Ergebnissen gekommen, die denen der Uni Ulm widersprechen: Darunter z.B. eine mehrere Jahre alte Analyse vom Berliner Charité. Laut der Untersuchung aus Berlin sind strategisches Denken
und Arbeitsgedächtnis bei Gamern teils deutlich besser ausgeprägt als bei Nicht-Gamern – außerdem wäre das lokale Hirnvolumen größer und die Hinrinde dicker.
Nun weiß ich zwar nicht, ob mich eine dickere Hirnrinde zu einem besseren Menschen macht oder ein mutmaßlich verkleinerter orbitofrontaler Kortex zu einem verrohten Volldeppen, aber ich weiß,
welchen Vorurteilen ich selber heute noch immer begegne. Gamer finden meinen Job zwar "cool" – aber das meist nur, weil sie tatsächlich glauben, ich würde fürs Testmuster-Abstauben und
Dauer-Daddeln bezahlt, während sich Artikel-Tipperei und stressige Recherche natürlich von selber erledigen. Nicht-Gamer wiederum haben von meinem Job ein ganz ähnliches Bild – nur ohne das
Attribut "Cool" im Hinterkopf. Dabei können weder Games noch die in ihrem Umfeld Kreativschaffenden etwas dafür, dass es sich hierbei noch immer um das jüngste Unterhaltungsmedium handelt. Vor
Spielen waren es Filme, danach Serien und ja, auch Comics, hinter denen man Verrohung und Verdummung witterte. Ich erinnere mich noch immer an eine entsprechende Erzählung von meiner Mutter
– denn die war vor mir die Comic-Sammlerin in der Familie. Noch heute hortet die alte Dame auf ihrem Dachboden tausende "Micky Mäuse" und Heftchen-Serien wie "Tibor", "Akim" oder "Nick". Und
es wären noch mehr Hefte, hätte sie als Jugendliche nicht leichtsinnig ein paar Kisten davon einem Freund ausgeliehen, die daraufhin schnurstracks in die Mülltonne gewandert sind – denn die
Eltern des Freundes wollte diesen "Schund" unter ihrem Dach nicht dulden. So erging es Comic-Fans in den 50er- und 60er-Jahren – heute wiederum wird bei Gaming-Kids rücksichtslos der Stecker
gezogen, weil die Eltern befürchten, das Gehirnvolumen ihres Sprösslings könnte über "World of Warcraft" oder "Call of Duty" auf die Größe einer Erbse schrumpeln. Ob vielleicht dieselben Eltern
früher auch Comics oder "Schund-Romane" gelesen haben und sie vor ihren Eltern haben verteidigen müssen?
Denn ebenso wie Filme und Serien keine Gefahr für den Comic waren und wegen des Comics die Bücher nicht verschwunden sind, werden auch Spiele nicht für den Niedergang all dieser anderen Medien
verantwortlich sein. Vielmehr stellen sie lediglich den nächsten logischen Schritt auf einer evolutionären Leiter der Unterhaltungsmedien dar – und als solche vereinen sie alle Medien, die
vor ihnen gekommen sind, in einer interaktiv bedienbaren Sammelpackung. Spiele sind Filme, Bücher und auch Comics zugleich. Selbst dann, wenn sie nicht so offensichtlich mit Elementen der
"Graphic Novels" kokettieren wie z.B. das wunderschöne "Kult" (1989 für Amiga, Atari ST, PC), das geniale "Comix Zone" (1995 für Mega Drive) oder heute die verrollenspielte Umsetzung von
Madureiras "Battle Chasers" (PC, PS4, Xbox One). Denn die Bildsprache des Comics ist in diesem jüngeren Medium ebenso omnipotent wie im Comic die stilgebende Reduktion urtümlicher Höhlen-Malerei.
Medien fressen einander nicht – sie bauen aufeinander auf. Das Videospiel konnte meiner Liebe für Comics, dicke Schmöker oder Filme nichts anhaben – Probleme bereitet mir dabei
allenfalls meine knapp bemessene Freizeit. Aber Zeit für einen guten Comic habe ich immer – irgendwie. Auch wenn ich dafür auf dem Örtchen mal den 3DS zur Seite legen muss.
(Robert Bannert)