Nicht Donald Trump: "Ni No Kuni 2" setzt auf hochkarätige Anime-Grafik, klassische japanische Rollenspiel-Tugenden und die Geschichte von einem gutherzigen US-Präsidenten, der ein
magisches Königreich retten soll. Sogar eine Art "Fantasy-Facebook" ist am Start.
Atom-Explosionen und Pistolen gehören nicht gerade zum Standard-Repertoire japanischer Fantasy-Rollenspiele - aber im Fall von "Ni No Kuni 2" macht Traditions-Entwickler und "Dragon
Quest"-Experte Level 5 eine Ausnahme: Die Fortsetzung zu seinem erfolgreichen PS3-RPG "Ni No Kuni: Der Fluch der weißen Königin" vermischt Genre-Elemente, Erzähl-Welten und visuelle
Stilrichtungen. Sein jüngster Streich ist Rollenspiel, Action, Echtzeit-Strategie und interaktiver Anime-Film zugleich - sogar ein Hauch vom Simulation steckt drin im fernöstlichen
Fantastik-Cocktail. Dazu gesellt sich noch die ungewöhnliche Geschichte von US-Präsident Roland, der im Vorspann Zeuge eines verheerenden Atombomben-Angriffs wird. Doch anstatt im nuklearen Feuer
zu verglühen, wird er von machtvoller Magie in das Märchen-Königreich "Ding Do Dell" geschleudert, wo er dem jungen Katzen-König Evan beisteht: Eine Verschwörer-Bande aus Mäusen putscht den
Kinds-Monarchen vom Thron - doch Roland kommt gerade zur rechten Zeit, um Evan zur Flucht zu verhelfen. Anschließend machen sich die beiden daran, das geraubte Zauberreich zurückzuerobern.
Das gelingt vor allem durch die Gewinnung neuer Verbündeter: Roland und Evan spazieren dafür über die ausladende Weltkarte der fantastischen Parallelwelt, suchen den Beistand übernatürlicher
Kreaturen, freunden sich unter anderem mit der Tochter eines rabiaten Luft-Piraten an und nehmen sogar eine bunte Rasselbande aus Kobolden - die Gnuffis - in die Gruppe auf. Auf den ersten Blick
hält sich der für seine "Dragon Quest"-Spiele bekannte Entwickler Level 5 dabei geradezu sklavisch an die japanische Genre-Formel: Die Reise von einem Handlungsschauplatz zum nächsten erfolgt per
Landkarte - und kommt es dabei zum Kampf mit aberwitzigen Kreaturen wie "Kriegs-Hamstern" oder mächtigen Drachen, wechselt das Spiel in eine extra Kampf-Arena. Hier geht es allerdings nicht Runde
für Runde, sondern in Action-Echtzeit zur Sache - Taktik und Monsterzucht-Komponenten des ersten Teils wurden ausrangiert. Stattdessen kontrolliert der Spieler den derzeit aktiven Charakter -
wahlweise Roland, Evan oder einer ihrer Begleiter - wie in einem Action-Game. Dabei teilt man entweder Hiebe aus, nimmt weit entfernte Widersacher mit Pistole beziehungsweise Zaubersprüchen unter
Feuer oder zitiert die Gnuffis herbei. Die betätigen sich daraufhin als fantastische Transformer und nehmen zum Beispiel die Form einer Kanone an oder sorgen dafür, dass ihren menschlichen
Mitstreitern nicht die Puste ausgeht. Dem aus vielen japanischen RPGs bekannten Zufallskämpfen hat Level 5 übrigens eine Absage erteilt: Wie bei einem modernen "Final Fantasy" sieht man die
Monster auch in "Ni No Kuni 2" schon durchs Terrain stapfen, bevor sie zum Angriff blasen - darum kann man der Konfrontation mit etwas Glück sogar aus dem Weg gehen.
Aber seinen größten Trumpf spielt "Schicksal eines Königreichs" bei seiner Inszenierung aus: Hier gibt man sich - trotz moderner 3D-Grafik - wieder alle Mühe, den Look eines opulent
gezeichneten Anime-Films zu imitieren. Prachtvolle Städte, zerklüftete Felslandschaften und märchenhaften Wälder wurden einmal mehr nach dem Vorbild von Ghibli-Filmen wie "Chihiro" oder
"Mononoke" gestaltet. Schade: Weil man diesmal ohne direkte Unterstützung der bekannten Trickfilm-Schmiede auskommen musste, fallen Optik, Charakter-Design und auch Erzählung weit weniger
souverän aus als beim Vorgänger - der Charme ist da, aber die Magie fehlt.
Ganz klar in die Kategorie "Geschmacksache" fällt die Einbindung von Simulations- und Strategie-Elementen ins Rollenspiel: Sitzt Evan nach etwa zehn Spielstunden wieder auf einem Thron, geht's
erstmal an die Verwaltung des eigenen Königreichs. Da wollen in erstaunlich umfangreichen Taktik-Schlachten feindliche Armeen zurückgeschlagen werden und muss man in einer Art Aufbau-Modus die
eigene Stadt verwalten. Manch ein Spieler wird den ungewöhnlichen Genre-Cocktail begrüßen - ausgesprochene RPG-Puristen dagegen hätten sich dafür mehr interessante Missionen, eine
anspruchsvollere Erzählung und weniger eintöniges Landkarten-Getippel gewünscht.
Wer ein bombastisches Open-World-Rollenspiel sucht, der ist bei "Ni No Kuni 2" zwar an der falschen Adresse - aber für Freunde klassisch gepolter Japan-Abenteuer ist Level5's verrollenspieltes
Anime-Epos erste Wahl. Denn trotz einiger Tempo-Probleme und der eigenwilligen Genre-Mixtur geht die hübsch präsentierte Reise nach Ding Dong Dell wunderbar flott von der Hand und hat sie das
Herz am rechten Fleck. Schade nur, dass Bandai Namco dem Abenteuer keine deutsche Tonspur spendiert hat und "Ni No Kuni 2" über weite Strecken vollständig auf Sprachausgabe verzichtet: Zeitgemäß
geht anders.
NOTE: gut