Unterkühlt gegen das Ende der Menschheit: "Frostpunk"


 

Lange Eiszapfen unter der Nase, ein stinkender Kohle-Generator als einzige Energie-Quelle und Kinder-Arbeiter, um die vom Untergang bedrohte Zivilisation am Laufen zu halten: "Frostpunk" vom preisgekrönten "This War of Mine"-Macher 11 Bit Studios durchmischt Simulation und Aufbau-Strategie mit einer postapokalyptischen Geschichte, die den Spieler reihenweise vor unangenehme Entscheidungen stellt. Das "Anno" im Eis erweist sich als verstörendes Vergnügen…

In "Frostpunk" bricht eine neue, unbarmherzige Eiszeit über Menschheit herein. Die wenigen Überlebenden der deprimierenden Steampunk-Spielwelt flüchten mit dem letzten intakten Energie-Generator in ein Tal, das vor den eisigen Stürmen Schutz bietet. Aber auch hier ist es nicht eben kuschelig: Nachts fällt das Thermometer gerne mal auf 100 Grad unter null. Gut beraten ist, wer direkt neben dem im Zentrum der Siedlung gelegenen Generator wohnt. So geht es im verstörenden Aufbau- und Planer-Kosmos von 11 Bit auch nicht in erster Linie um den Ausbau der eigenen Macht-Sphäre, vielmehr dreht sich alles um das nackte Überleben.
Die spielerischen Mechanismen für den Kampf gegen die Kälte sind Genre-typisch: Um die Siedlung der Überlebenden bis zu den Steilwänden des Tals auszudehnen, muss man Kohle, Eisen sowie Holz abbauen, die Behausungen mit Straßen verbinden und mittels Forschung neue Gebäudetypen freischalten oder vorhandene verbessern. Gebäude wie Propaganda-Zentren oder Kirchen schließlich helfen dabei, die angespannte Stimmung zumindest etwas aufzuhellen. Was auch nötig ist, wenn man mal wieder gezwungen ist, die Nahrungsrationen als Suppe zu strecken – oder gar zum Kannibalismus aufzurufen!



 

Schafft es die junge Gemeinde trotz aller Widrigkeiten über die ersten kritischen Ingame-Tage, wird "Frostpunk" zunehmend ungemütlich und konfrontiert den Spieler mit immer neuen, grausamen Realitäten. Denn wer das Aussterben der Menschheit verhindern will, kann es sich als Bürgermeister der letzten Enklave nicht immer leisten, die Wünsche und Bedürfnisse der eigenen Bevölkerung zu berücksichtigen.
Darum werden die meisten Spieler den ersten "Frostpunk"-Durchlauf als Kinderarbeit-unterstützender Unterdrücker oder despotischer Halbgott beenden, bei dem der Zweck die Mittel heiligt - sofern man vom wütenden Mob nicht in die Eiswüste geschickt wird. Erst beim zweiten oder gar dritten Versuch hat man den Bogen raus: Dann schafft man es vielleicht trotz Temperaturstürzen, Schneestürmen und anderer Widrigkeiten, innerhalb von knappen 45 Ingame-Tagen nicht nur die Menschheit, sondern außerdem die Menschlichkeit zu retten.

Ebenso wie bei "This War of Mine" setzt 11Bit die Spielmechanismen auch bei "Frostpunkt" in erster Linie ein, um Stimmung zu machen und eine Erzählung zu transportieren. Wer ein aalglattes und fair ausbalanciertes Strategie- beziehungsweise Aufbau-Erlebnis á la "Anno" sucht, ist hier falsch - auch wenn der Vergleich nahe liegt.

"Frostpunk" ist in seinen drei Kamapgnen-Szenarien genauso erbarmungslos, kantig und räudig wie der Name vermuten lässt. Schade nur, dass es ihm auch am nötigen technischen Feinschliff mangelt: Gerade während des letzten Viertels fällt es dem Spiel zusehends schwerer, die immer komplexer werdende Siedlung zu berechnen: Teils drastische Einbrüche bei der Framerate und heftige Ruckelkrämpfe sind auf weniger starken Spiele-Rechnern die Folge. Wer "Frostpunk" halbwegs flüssig spielen will, sollte deshalb über einen starken Gaming-PC verfügen. Fazit: Ein Ausnahme-Titel, der sein Gameplay clever in Stimmungsmache und Story überträgt. Großartig.

 

NOTE: sehr gut