Ein ungewöhnliches Szenario voller maskierter, krampfhaft grinsender Protagonisten, jede Menge bissige Polit-Satire und reichlich Survival-Elemente: "We happy few" von Compulsion Games
ist ein ungewöhnlicher Genre-Cocktail, der vor allem durch sein knallbuntes und verstörendes Szenario Aufmerksamkeit erweckt. Inzwischen hat Microsoft die im kanadischen Montreal beheimatete
Independent-Schmiede übernommen - doch rechtfertigt deren zweites Spiel eine solche Investition überhaupt?
Auf den ersten Blick herrscht in dem englischen Ort Wellington Wells Friede, Freude, Eierkuchen: Die Bewohner stromern mit einem breiten Grinsen und stolz geschwellter Brust durch die
grell-bunten Straßen ihrer kleinen Insel-Stadt. Doch hinter der im Stil der britischen "Swinging 60s" gehaltenen Kulisse verbirgt sich ein schreckliches Geheimnis - denn Wellington Wells und das
gesamte Spiel-Szenario aus der kanadischen Spiele-Schmiede Compulsion sind das Produkt einer alternativen Geschichtsschreibung. Die geht davon aus, dass die USA den Alliierten im Zweiten
Weltkrieg nicht beistand, um Hitlers Nazi-Regime in die Knie zu zwingen. Darum konnten die Deutschen England überrennen - mit Ausnahme von Wellington Wells, das sich auf ebenso schaurige wie
geheimnisvolle Weise von den Besatzern "befreit" hat.
BEENDE DAS SPIEL IN UNTER DREI MINUTEN
Seitdem sind 20 Jahre vergangen - und in Wahrheit liegt das scheinbare Paradies in Schutt und Asche. Hinter den blank polierten Autos verbergen sich fahruntüchtige Wracks, die meisten
Häuser-Fassen bröckeln und Ressourcen sind ebenfalls knapp. Dass die Bewohner trotzdem wie Grinse-Katzen mit eingefrorenen Gesichtszügen durch die Gegend schwadronieren, verdanken sie der von der
totalitären Lokal-Regierung ausgegebenen Psycho-Droge "Joy". Die sorgt dafür, dass aus einer aufgeschlitzten, toten Ratte eine leckere Pinata wird und aus Erbrochenem ein bunter Schmetterling.
Held Arthur ist eines von vielen kleinen Bürokratie-Rädchen im Drogen-geschmierten System. Bis er eines Tages beim Zensieren von Zeitungsausschnitten über einen Artikel stolpert, der Erinnerungen
an seinen im Krieg vermissten Bruder weckt. Hier hat der Spieler die Wahl: Schluckt er gleich darauf seine vorgeschriebene Dosis "Joy", übergeht er den Hinweis schulterzuckend - und sieht nur
wenige Augenblicke nach Spielbeginn den Abspann über die Mattscheibe flimmern. Spiel geschafft, Fall erledigt.
Wer den Muntermacher stattdessen achtlos in den Mülleimer feuert, für den nimmt das Abenteuer eine dramatische Wendung: Er blickt hinter die Joy-Fassade, flüchtet aus der Bürokratie-Zentrale des
Regimes in die verfallenen Straßen der Außenwelt und sucht fieberhaft nach seinem Bruder.
FORSCHEN, SCHLEICHEN, QUATSCHEN, CRAFTEN KÄMPFEN
Dabei ist Arthur nicht der einzige Rebell, der dem auf Lügen basierenden Überwachungsstaat den Kampf ansagt: Nach den ersten von ungefähr 20 Spielstunden trifft er auf die Chemie-Expertin Sally
und den bulligen Schusswaffen-Profi Ollie. Beide Figuren sind spielbar und geben dem Abenteuer einen anderen Dreh. Wer aber lieber bei Arthur bleibt, wird sich vor allem schleichend durch
Wellington Wells bewegen. Der zart besaitete Bursche geht Schwierigkeiten lieber aus dem Weg, Feinde werden vorzugsweise von hinten und aus sicherer Deckung heraus erledigt.
Aber klappt es aller Vorsicht zum Trotz nicht ohne Handgreiflichkeit, packt er Prügel wie Cricket-Schläger, Heizungsrohr oder Schaufel aus dem Sack: Die Nahkampf-Kombi aus Abwehren, Zurückdrängen
und Verdreschen geht leicht von der Hand, kostet die Spielfigur allerdings viel Lebensenergie und Ausdauer, die später durch den Einsatz von Heil-Gegenständen wieder regeneriert werden muss. Die
wiederum wollen mithilfe des Spiel-eigenen Crafting-Systems selber hergestellt werden - ebenso wie die schnell verschlissenen Dietriche, ohne die Arthur und seine Mitstreiter kaum einen Schrank
öffnen oder eine Behausung filzen könnten. Oder die zahlreichen Verkleidungen, die dabei helfen, die verschiedensten Spielgebiete friedlich zu infiltrieren.
Darum sollte man - auch auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad - Kämpfen so oft wie möglich aus dem Weg gehen: Quatschen statt kloppen - das erspart dem eigenen Helden Kopfschmerzen und schont
obendrein den knappen Ressourcen-Haushalt.
ÜBERFLÜSSIGE SURVIVAL-ELEMENTE
Denn ursprünglich sollte "We happy Few" ein waschechtes Survival-Spiel werden: Die meist nach dem Zufalls-Prinzip erstellten Spiel-Bereiche sind darauf ausgelegt, den Überlebensinstinkt des
Spielers zu wecken. Er soll Rohstoffe sammeln, aus ihnen seine eigene Überlebens-Ausrüstung schmieden und damit gegen Hunger, Durst sowie Schlafentzug ankämpfen. Als dieses Konzept in der
Early-Access-Version des Spiels auf eher verhaltene Resonanz stieß, hat Entwickler Compulsion die Gameplay-Architektur allerdings dramatisch umgekrempelt: Inzwischen ist der Drogen-Trip durch
Wellington Wells in erster Linie ein geradliniges, von einer dystopischen Story getragenes Adventure, dem seine Survival-Elemente nicht immer gut zu Gesicht stehen. Zwar darf man nach wie vor die
weitläufige Spielwelt erforschen, um dabei nach Crafting-Ressourcen und Neben-Missionen zu suchen - doch meistens wird die an sich spannende Story dadurch nur unnötig in die Länge gezogen.
TECHNISCHE PROBLEME UND FAZIT
Erschwerend hinzu kommen jede Menge technische und visuelle Schwierigkeiten: Auf starken Gaming-PCs und Xbox One X beziehungsweise PS4 Pro verströmt die knallbunte, mitunter an "Bioshock"
erinnernde Spielkulisse noch ein gewissen morbiden Charme. Auf schwächeren Systemen allerdings wird der Streifzug über die Insel von Textur-Matsch, verzögert geladenen Strukturen und
Ruckel-Attacken beeinträchtigt. Ebenfalls keine ausgesprochenen Hingucker sind die marionettenhaft gestalteten und abgehackt animierten Bewohnern von Wellington Wells, denen man höchstens dank
ihrer Comic-artigen Präsentation noch etwas abgewinnen kann. Nur wer damit klar kommt und obendrein eine hohe Frust-Toleranz in Bezug auf jede Menge chaotische Menü-Bürokratie mitbringt, gibt dem
den Trip nach Wellington Wells eine Chance. Immerhin überzeugt "We happy few" mit einigen großartigen Ideen und Bildern: Die übersteigerte Darstellung eines orwellschen Überwachungsstaates, der
seinen Bürgern zugunsten allgemeiner Heiterkeits-Hysterie die Identität nimmt, ist auf gelungene Weise bedrückend. Doch letztlich scheitert die Idee daran, dass Entwickler Compulsion kein zum
Szenario passendes Spielkonzept gefunden hat.
Note: 6.5 (BEFRIEDIGEND)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend