Hand in Hand durchs Ratten-Meer: A Plague Tale - Innocence


 

KRITIK • PS4, Xbox One, PC • Hätte man im Mittelalter jemanden gefragt, was hinter der Pest steckt, dann hätte er mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mit "Erreger", sondern "Der Teufel!" geantwortet: An diese Sichtweise hält sich Asobos Action-Adventure "A Plague Tale", bei dem ein adeliges Geschwisterpaar auf der Flucht vor Tod, Teufel und Pestilenz ist. Und einem wabernden, quiekenden Herr aus Ratten, das - von unstillbarem Hunger und purer Gemeinheit getrieben - aus allen Löchern und Winkeln der archaischen Spielwelt quillt, die nicht hell genug erleuchtet sind. Was die Tiere antreibt und ob die rätselhate Seuche natürlichen oder übernatürlichen Ursprungs ist, das lässt Entwickler Asobo bewusst offen. Hier ein bisschen Aberglauben, dort ein Schuss Alchemie: Die Autoren des Teams liefern immer gerade so viele Informationen, wie nötig sind, um den Spieler in der finsteren Mittelalter-Welt gefangen zu nehmen und in ein packendes Flucht-Szenario zu verwickeln.

Denn offensichtlich ist Amicias kleiner Bruder Hugo so etwas wie der Seuchenherd - oder zumindest unmittelbar mit den Ereignissen verbunden, die arglose Bürger in monströse Infizierte verwandeln, ganze Landstriche entvölkern und dafür sorgen, dass bei Einbruch der Dunkelheit ein gefräßiges Rattenheer an die Oberfläche drängt. Darum verlieren die beiden Geschwister bereits bei Spielbeginn ihre Familie und müssen Hals über Kopf vor der Inquisition flüchten, während das ganze Land rasant den Pestbach runtergeht.

Weil der kränkliche Hugo bisher ein isoliertes Stubenhocker-Dasein führte, ist er in der Außenwelt ziemlich aufgeschmissen: Also schlüpft der Spieler in die Rolle von Amicia und nimmt das Brüderchen bei der Hand, während sie gemeinsam im Eilschritt durch enge Gassen flüchten, durchs hohe Gras schleichen oder sich in Büschen, dunklen Winkeln und hinter Mauern vor den Blicken ihrer Verfolger verbergen. Hugo selber ist dabei selten mehr als ein schlichtes Anhängsel, das man automatisch mitschleift - aber hin und wieder wird das Brüderchen auch selber tätig: Dann schickt man Hugo zum Beispiel durch eine Bresche in der Mauer, damit er von der anderen Seite eine Tür entriegelt oder weiter oben eine Leiter herunterlässt.

 



 

Zwar sind die gelegentlichen Koop-Einlagen mit der Computer-KI ebensowenig neu wie das extrem geradlinige "Duck & Cover"-Konzept der Schleicheinalgen - aber dafür inszeniert Asobo die Flucht des Geschwister-Pärchens so emotional und spannend, dass man über den Mangel an Gameplay-Eigenständigkeit gerne hinwegsieht. Deutlich innovativer wird "A Plague Tale", wenn es darum geht, dem unersättlichen Rattenschwarm zu entkommen: Dann müssen sich Amicia und Hugo raffinierte Strategien überlegen, um die knisternden, kreischenden und wabernden Nager-Heerscharen mit dem Licht von Fackeln oder Öllampen in Schach zu halten. Eine wichtige Rolle spielt dabei außerdem Amicias Schleuder: Mit dem Kinder-Geschütz holt sie Kronleuchter von der Decke oder löst eine Verankerung, damit sich ein Haufen aus lichterloh brennenden Leichen aus einem Gerüst löst und die lichtscheuen Ratten vertreibt.

Aber damit haben sich die grausamen Taktiken und Rätsel-Lösungen noch nicht erschöpft: Ebenfalls mit der Schleuder löscht Amicia die Laternen von Soldaten, damit die von den gierigen Nagern gefressen werden - oder man platziert ein argloses Schweinchen in einer Scheune, löscht dann die Laternen und hofft darauf, dass der Ratten-Lebend-Snack für die nötige Ablenkung sorgt. Die Liste an ähnlich unappetitlichen Problem-Lösungsstrategien ist zwar lang, aber wer über einen halbwegs robusten Magen verfügt, sollte sich davon nicht abhalten lassen, hier einen Ausflug ins Zeitalter des Schwarzen Todes zu wagen: Düstere Tunnel, klaustrophobisch enge Städte und von Toten übersäte Schlachtfelder spinnen die dichteste Mittelalter-Atmosphäre seit "The Witcher 3" - auch wenn das geradlinig angelegte "A Plague Tale" nur wenige Bewegungsfreiheit bietet und sich gelegentlich in überflüssigen, viel zu schwierigen Boss-Gefechten verstrickt. Denn bei so viel Atmosphäre und audiovisueller Pracht sieht man gerne über ein paar kleinere Gameplay-Mängel hinweg.

 

Note: 9.0 (SEHR GUT)