Ring Fit Adventure: ein Selbstversuch

Nein, ganz so fit sehe ich nach dem Selbstversuch leider noch immer nicht aus – aber ja, geholfen hat's!
Nein, ganz so fit sehe ich nach dem Selbstversuch leider noch immer nicht aus – aber ja, geholfen hat's!

 

FEATURE • Gamer leben gerade in fantastischen Zeiten: Ganz gleich, ob auf PlayStation, Xbox oder Nintendo Switch - ein  Hit jagt den nächsten und stellt dabei den persönlichen Freizeit-Fahrplan auf den Kopf. Immerhin dauert es eine ganze Weile, bis man komplexen Abenteuern wie "Luigi's Mansion 3" oder dem neuesten "Legend of Zelda" alle Geheimnisse abgerungen hat. Das Problem dabei: Abgesehen davon, dass die Sozialkontakte mutmaßlich verkümmern, wachsen die Speckrollen. Denn wer die ganze Zeit vor dem Bildschirm versumpft, der trainiert nicht.

Korrekt?

Falsch: Denn wie schon zu Wii-Zeiten hat Nintendo wieder mal einen cleveren Weg gefunden, um uns Gamer von der Couch zu scheuchen und vor der Mattscheibe ins Schwitzen zu bringen. Und diesmal so richtig. Anders als "Wii Fit" reduziert das am 18. Oktober 2019 veröffentlichte "Ring Fit Adventures" das Fitness-Angebot nicht auf eine Summe von interaktiven Workout-Videos - stattdessen wird die Kalorien-Verbrennung in ein echtes Spielkonzept integriert. Um den bitterbösen Bodybuilder-Drachen Draco in die Knie zu ringen, reist der Spieler über mehrere, nach Rollenspiel-Art aufgezogene Landkarten und arbeitet sich dabei an knuffigen Gegnern wie schwebenden Trainings-Matten oder Fitness-Hanteln ab - und zwar Spielrunde für Spielrunde.

Sein Begleiter auf dem schweißtreibenden Abenteuer: Ein frecher, Ring-förmiger Sparrings-Partner, der dem Spiel seinen Namen gibt. Im Spiel ist der Ring ein grinsendes, plauderndes und die schöne, bunte Fitness-Welt erklärendes Kuriosum - in der Realität ein erstaunlich belastbares Trainings-Gerät, das (je nach eingeblendeter Übung) auf andere Weise gestreckt, gequetscht oder durch die Gegend gewuchtet wird. Ebenfalls mit in der Packung: Ein Beinschlaufe, die - ebenso wie der Ring - mit einem der beiden Switch-Joy-Cons gefüttert wird, damit das Programm die Bewegungen des in seiner eigenen Schweißlache laufenden, hampelnden, liegenden und hockenden Gamers erkennt.

 



 

Fragt sich nur: Wie viel bringt der Workout wirklich? Lohnt sich die ganze Arbeit? Macht sie dabei auch langfristig Spaß - und lässt sie tatsächlich die Pfunde purzeln?

Also mache ich den Selbsttest: Nach einem Besuch bei Nintendos Release-Event im Oktober bin ich noch skeptisch - und obendrein ziemlich aus der Form. Das gibt mir den nötigen Anreiz, um es zu Hause noch mal zu probieren - und zwar ernsthaft: Den ersten Versuch starte ich in meiner üblichen Gaming-Ecke - gemütlich unter dem Dach gelegen, zwischen Supergroßbild-TV, Heimkino und Couch. Dabei stoße ich schon auf das erste Problem - Platzmangel. Und zwar in der Vertikalen: Weil ich mich bei vielen Übungen nach oben strecken muss, kollidiert der Ring immer wieder mit der Dachschräge. Unpraktisch.

Also packe ich mir Ring sowie Switch unter den Arm und verlege das Training um eine Etage nach unten - ins kombinierte Schlaf- und Wohnzimmer, wo ich ebenfalls ein Switch-Dock mit dem Fernseher gekoppelt habe. Nachdem ich Couch-Tisch und Sessel zur Seite gerückt habe, passt es mit dem Bewegungs-Radius: Ich laufe mal schneller, mal langsamer auf der Stelle, um die Nintendo-typisch knuffige Spielwelt zu durchqueren. Gehe in die Hocke, um mithilfe von Sprungfedern über Abgründe hinwegzusetzen oder fahre Kanu, indem ich den Ring mit viel Kraft gegen meine angespannten Bauchmuskeln presse und mich dann zu den Ruderbewegungen nach links oder rechts neige.

Oder ich wähle ein Set aus meinem ständig wachsenden Repertoire von Übungen, um sie im Kampf gegen Dracos Schergen einzusetzen: Korrekt absolvierte Crunches, Kniebeugen, Kraft-Training, gymnastische Einlagen, Aerobic und Yoga sorgen dafür, dass die putzigen Gegner von digitalen Fäusten vermöbelt, geohrfeigt und aufs Kreuz gelegt werden. Fast fühle ich mich schuldig, wenn ich die niedlichen Feinde mit gekonntem Hüft-Wackler (zum Glück beobachtet mich dabei niemand) von der Platte putze: der Nintendo-Effekt.

Und all das passiert, ohne dass ich mit dem Zimmer-Interieur kollidiere: "Ring Fit Adventure verlangt zwar nach Platz - aber im Vergleich zu so manchem VR-Titel gibt sich das spiel an dieser Stelle angenehm zahm. Wer genug Raum für ein Aerobic-Workout vor der Flimmerkiste hat, der kommt auch mit der Ring-Fitness klar.

Als behelfsmäßige Trainings-Matte entfremde ich zunächst einen kleinen Teppich, denn für viele Übungen muss man sich auf den Boden setzen oder hinlegen: Ich hebe die Beine und halte oder öffne sie wie angegeben, absolviere Liegestütz-ähnliche Übungen und komme dabei abermals ordentlich ins Schwitzen. "Ring Fit Adventures" empfiehlt, Handtuch und Wasserflasche griffbereit zu haben - und das aus gutem Grund: Nach nur 20 Minuten effektiver Trainingszeit bin ich so durchnässt, als wäre ich durch einen Platzregen gelaufen. Selbst zu meiner Zeit als aktiver Fitness-Center-Besucher bin ich nie so sehr ins Schwitzen gekommen. Nicht mal ansatzweise.

 



 

Während der kommenden zwei Monate bleibe ich konsequent am Ball - bin fest entschlossen, die Speckröllchen zu entrollen und asthmatisches Röcheln in eine ruhige, kontrollierte Atmung zu verwandeln, indem ich jeden zweiten Tag für eine halbe Stunde auf den Teppich tropfe. Und tatsächlich stellen sich gleich mehrere Effekte ein: Das geschickt zwischen Kraft-, Ausdauer- und Beweglichkeits-Übungen austarierte "Ring Fit"-Programm lässt meine Schreibtischhengst-typischen Rückenbeschwerden verschwinden - zusammen mit knapp zehn Kilo Gewicht, von denen ich mich nur allzu gerne verabschiede. 80 Kilo anstelle von 90 (bei knappen 1,80 Meter Körpergröße und 45 Lebensjahren) fühlen sich deutlich besser an.

Zwischendurch erleide ich allerdings einen kleinen Rückschlag: Meine rechte Achillessehne quittiert die ungewohnte Dauerbelastung auf einmal mit stechenden Schmerzen - darum bin ich für zwei Wochen dazu gezwungen, vom mit viel Lauferei angereicherten Adventure- in den ruhigeren "individuellen" Spiel-Modus zu wechseln, bei dem ich mir aus Wunsch-Übungen mein eigenes Trainings-Programm zusammenstelle. Zwar muss ich dabei auf das motivierende Rollenspiel-Beiwerk des Abenteuers verzichten, aber dafür kann ich meinen Fuß gezielt schonen. Inzwischen befolge ich brav die Ernährungs-Tipps des Spiels und führe meinem Körper zum Beispiel mehr Magnesium zu - in der Hoffnung, meinen Fuß in kürzerer Zeit wieder schmerzfrei zu kriegen. Ansonsten gilt: Mehr Gemüse, weniger Süßkram - Vegetarier bin ich sowieso. Das ist natürlich keine neue Erkenntnis. Aber das Gefühl, das mich jemand beim Abnehmen begleitet und unterstützt, hilft tatsächlich. "Ring Fit Adventure" ist "kuratiertes Abspecken".

Kurz vor Weihnachten dann der nächste Dämpfer: Ein hartnäckiger Erkältungs-Infekt erwischt mich und zwingt mich zu zwei Wochen körperlicher Untätigkeit. Danach versuche ich es wieder mit dem Training, muss den Ring aber erneut liegen lassen, weil zu viel Training meinen Zustand verschlimmert hat: Die Nase trieft wieder.

Die Bilanz nach zwei weiteren Wochen ist trotzdem erstaunlich: Erkältung und Weihnachten haben leider dafür gesorgt, dass zwei von insgesamt zehn verlorenen Kilos wieder drauf sind und ich insgesamt wieder etwas träger geworden bin. Aber der Trainings-Kick vor dem Gesundheitsknick spricht Bände. Das Training ist abwechslungsreich, macht dank gelungener Spiel-Komponente deutlich mehr Spaß als sei Quasi-Vorgänger "Wii Fit", steigert das allgemeine Wohlbefinden und resultiert sogar in deutlich sichtbarem Muskel-Zuwachs: Zum ersten Mal in meinem Leben sehe ich, dass sich unter dem Bauchspeck Muskeln versteckt haben. Wow.

Lediglich die Ausdauer hat sich bisher kaum verbessert: Ich trainiere nach wie vor auf dem zweithöchsten Schwierigkeitsgrad und hechele noch immer wie ein altersschwacher Klepper kurz vor seinem Gnadenritt, sobald mir ein Level etwas mehr Laufarbeit abverlangt als gewohnt. Aber dass selbst Nintendo kein Heilmittel gegen chronisches Bronchial-Asthma parat hat, kann man dem Konzern schwerlich vorwerfen.

Ebenfalls schade, dass "Ring Fit Adventures" keine Option anbietet, mit der sich Übungen überspringen lassen, die für den einzelnen vielleicht kritisch sind: So habe ich es mir oft gewünscht, einige der strapaziösen Kniebeugen auslassen zu können, weil meine Kniegelenke aufgrund jahrelangen Extrem-Steppens ziemlich im Eimer sind. Beim personalisierten Trainings-Plan kann problematische Übungen zwar aussortieren, aber im Adventure-Modus und bei einigen der vordefinierten Übungs-Sets sind sie fester Bestandteil des Workouts. Da hilft nur noch, zwischendurch die Start-Taste zu betätigen, um den überstrapazierten Körperteil für ein paar Minuten zu schonen - oder notfalls ganz abzubrechen.

Aber davon abgesehen gibt es wenig zu meckern: Die Erkennung der Bewegungen durch die Bewegungs-Sensoren und Kameras der Joy-Cons funktioniert nicht immer ganz zuverlässig, wird aber niemals zum "Game-Breaker". Unter dem Strich ist "Ring Fit Adventures" die bisher überzeugendste Anwendung, um aus Gamern Fitness-Freaks zu machen – auch ohne teuren Personal-Trainer.

(Robert Bannert)