Retro-Restauration und maunzendes Pixel-Getier im Metroidvania-Kampfkostüm: "Gato Roboto" als Anlass zur Selbstreflexion.
KOLUMNE • Als Games-Journalist bekommt man eine Menge mit: Man wird mit Pressemeldungen, kostenlosen Testmustern und mitunter auch Einladungen zu Anspiel-Events bombardiert. Um
schon heute zu sehen, was morgen oder übermorgen in den Läden steht. Also zumindest war das in der Prä-Corona-Ära der Fall. Für die nächsten Monate dürfte der Event-Faktor wohl gen Null gehen –
aktuell bangt die Branche aus gutem Grund sogar um seine Leitveranstaltung – die alljährliche Gamescom in Köln.
Das Resultat dieses PR-Bombardements ist für gewöhnlich ein ziemlich guter Überblick über das, was gespielt wird. Nur: Der Guck durchs journalistische Weitwinkelobjektiv lässt es manchmal an
Tiefenschärfe vermissen. Wer jede Woche neue Produkte auf den Tisch bekommt und sichten MUSS, der hat vielleicht nicht die Zeit, um sich dem einzelnen Produkt so anzunähern, wie es eigentlich
angebracht wäre. Schon gar nicht in einem kleinen Redaktionsbetrieb, wo bei jedem Mitarbeiter zehn oder mehr Spiele im Monat über den Bildschirm flimmern.
Darum mache ich es mir für elektrospieler.de wieder verstärkt zur Angewohnheit, manche Spiele erst später und in aller Ruhe zu betrachten. Unabhängig von der Hektik des täglichen, oft
News-getriebenen Redaktions-Geschäfts, das ich zugunsten von Buchproduktionen zunehmend hinter mir lassen will. Zum einen, weil ich es nach über 25 Jahren leid bin, mediale Kunstwerke nach
Stechuhr abzufertigen. Zum anderen, weil mit jedem auf diese Weise abgefertigten Titel der Wunsch wächst, Spiele wieder mehr aus der Perspektive des Konsumenten wahrzunehmen. Einfach nur daddeln,
worauf man Bock hat und sich auch mal die Freiheit rausnehmen, auf zig Wochen in einer einzigen Spielwelt zu versinken. Für einen Hobbyisten ist das Standard, für einen hauptberuflichen Zocker
purer Luxus.
Als ich 1994 meinen Branchen-Einstand bei der MAN!AC (heute "M!Games") gab, war mir eine entspannte Betrachtung des einzelnen Produkts noch weniger wichtig als heute. Mit 20 Jahren ist man
hungrig auf Neuheiten, will von Event zu Event zu springen, etwas von der Welt sehen und Hände schütteln. Klar, zocken auch – aber Mitte der 90er sind die die meisten Videospiele noch keine
Umfangs-Monster, in denen man für oft hunderte Stunden versumpft. Und die fast schon philosophische Detail-Betrachtung, die einem diese Spiele 25 Jahre später wert sein werden, an die denkt man
dieser Tage nicht mal im Traum. Das ist vermutlich ein bisschen wie bei einem Menschen, der vor 3.000 Jahren im Altertum lebte: Heute schreiben wir fette Abhandlungen über sein Leben und
philosophieren über die Bedeutung seiner Gedanken für die Welt von heute – aber zu seiner Zeit war es eben einfach nur Alltag.
Ok, nun bin ich zwar noch keine 3.000 Jahre alt… aber immerhin 45. Aus der Perspektive eines 20-jährigen ist das schon eine unglaublich lange Zeitspanne… aber für die rasante Entwicklung des Mediums Videospiel fühlt sie sich fast schon an wie ein Jahrhundert. Ende 1994 habe ich mit "Secret of Mana" und der Film-Umsetzung "Page Master" meine ersten Tests zu Pixelspielen abgeliefert – heute sitze ich vor meiner Switch, zocke "Gato Roboto" und sinniere über die Evolution von Boss-Gegnern, während mich ein Mäuse-Tier im vielarmigen Unterwasser-Mech immer wieder in die Katzen-Knie zwingt.
Volle Kraft zurück!
Ergo: Schon wieder Pixel. Als Teil einer gezielten Rückwärts-Kehrtwende, mit der alte Knochen wie ich ihre Jugend wieder aufleben lassen, während jüngere Gamer die Chance erhalten, die
Vergangenheit nachzuholen, ohne dabei gänzlich auf moderne Design-Konventionen verzichten zu müssen. Denn natürlich fühlen sich die Pixel-Games der Gegenwart nicht wirklich so an wie die
Klassiker, die sie zitieren. Sie sind eine Hommage. Eine Restauration oder Rekonstruktion derjenigen Spiele, an die wir uns so gerne erinnern. Und manchmal – aber nur im Idealfall
– sogar eine Verbesserung. Sie zeigen uns, welche Möglichkeiten und Spielarten noch immer in den Klassikern schlummern – und das ohne die Notwendigkeit, sich einer technischen Evolution
zu beugen, wie es beim Anbruch der 3D-Ära der Fall war. Hier mussten sich etablierte Spielkonzepte auf einmal der neuen optischen Spielart anpassen… und das ging nicht immer gut aus.
Doch weil sich Pixel- und 2D-Games inzwischen als eigenständige und obendrein vermarktbare Darstellungs-, Spiel- sowie Kunstform emanzipiert haben, konnten sie die meisten Technik-Zwänge
mittlerweile abstreifen. Sie haben die Freiheit, ihre individuelle, damals vielleicht noch nicht ganz abgeschlossene Evolution zu durchlaufen und den oft überbordenden Kreativ-Impulsen ihrer
Designer nachzugeben. Obendrein hat die Evolution schierer Rechen-Power auch für das klassische 2D-Spiel einen Vorteil: Die Entwickler müssen sich nicht mehr zurücknehmen, weil im Hintergrund
vielleicht ein System läuft, das mit all dem technischen Firlefanz, den vielen Sprites und den kokett aneinander vorbei scrollenden Parallax-Ebenen nicht klarkommt.
Zugegeben: Wer mit aktuellen Entwicklungs-Umgebungen wie "Unity" ein klassisches 2D-Spiel schmiedet, der kann oft nicht so frei mit System-Ressourcen hantieren, wie man das angesichts des
Performance-Vorsprungs gegenüber antiken Konsolen- und Heimcomputer-Systemen gerne glauben möchte. Denn Spiele werden heute oft komplett anders entwickelt als früher und System-Ressourcen
manchmal nicht mehr so direkt und unbürokratisch angesprochen. Da kann es leicht passieren, dass ein modernes Pixel-Spiel weniger Feind-Einheiten flüssig aufmarschieren lässt als ein
Genre-Vertreter vor 30 Jahren. Denn um den Look von damals in einer Entwicklungs-Umgebung zu simulieren, die eigentlich gar nicht dafür gedacht ist, müssen Entwickler immer wieder tricksen und
Workarounds austüfteln.
Die Ergebnisse dieser Workarounds sind aber oft höchst erfolgreich – darum finden wir hier ebenso lieblich-verträumte wie teuflische 2D-Maschinerien, die Pixel-Schmuser verzücken,
beschäftigen, herausfordern, in den Wahnsinn treiben. Oder die einen sich selbst im allmählichen Vergammelungsprozess befindlichen Spiele-Redakteur dazu bringen, die Mechanismen seines Jobs zu
überdenken. Weil er eigentlich viel lieber Tiefen-Analysen über solche Inidie-Games und ihre Entwicklung schreiben möchte als Blockbuster-Tests, Galerien oder News wie ein stumpfsinniger
Tipp-Automat.
Von Torwächtern und Pixel-Mistviechern
Dabei gebe ich gerne zu, dass ich trotz aller Liebe zum klassischen Pixel-Spiel nie ein großer Fan von Endgegnern war: So eindrucksvoll bildschirmfüllende Boss-Monster auch aussehen mögen (darum
eignen sie sich so besonders toll für die Abbildung in unserem PIXELBUCH), so sehr bringen sie mich regelmäßig auf die Palme. Natürlich hat die Fließband-Folter Methode: Im Idealfall sind
Endgegner Torwächter, die alle von uns bis dahin erlernten Fähigkeiten auf einmal abrufen. Nur wer sie bezwingt, verdient sich dadurch das Recht auf das, was jenseits ihrer Domäne liegt.
Viel öfter sind Engegner allerdings nichts als reine Schikane und nutzen Game-Designer sie dafür, mal so richtig schön auf den Putz zu hauen. Dann dauert es manchmal Tage oder gar Wochen, bis man
sie endlich weggeputzt hat – oder man wirft frustriert das Handtuch. Allerdings kann es auch seinen Reiz haben, ein verloren geglaubtes Boss-Match nach Wochen oder Monaten neu auszugraben
und das inzwischen zur persönlichen Pixel-Nemesis gereifte Mistvieh zu bezwingen. Gerade während meiner frühen 8-Bit- und 16-Bit-Tage war es fast Usus, dass ich mehrere Games gleichzeitig
bespielt habe: Dann wurden an einem Abend in "Shining Force" knuffige Einheiten über die Pixel-Karte geschubst, am nächsten bei "Secret of Mana" Kuschelmonstern die Erfahrungspunkte aus dem Leib
gedroschen und zwischendurch – probeweise – die aktuelle Action- oder Jump'n'Run-Nemesis verkamesölt. Vielleicht sogar mit Erfolg. Oder auch nicht: Denn ich bin zwar sehr gut daran, mir
für den laufenden Level Strategien zurechtzulegen – aber wenn es darum geht, im Projektilgewitter eines Boss-Monsters die sprichwörtliche Lücke zu finden und dabei über viele Minuten
hochkonzentriert zu bleiben… nun ja… es gibt Spieler, die das wesentlich besser können als ich.
Trotzdem habe ich mit schwierigen Teufels-Brocken und herausfordernden Situationen im 2D-Betrieb nicht grundsätzlich Probleme. Und das, obwohl ich die gleiche Sorte Gegner bei 3D-Games auf den
Tod nicht ausstehen kann. Zum Beispiel kann ich mich bis heute mit dem digitalen Folter-Betrieb à la "Dark Souls" und seinen fast unbezwingbaren Chef-Ekeln nicht so richtig anfreunden
– obwohl ich der Serie hohe Qualitäten attestiere. Vielleicht deshalb, weil ich seit Beginn dieser "Masche" immer das Gefühl hatte, als würde man Spielelemente der 2D-Pixelwelt grobmotorisch
herausschneiden, um sie dann notdürftig in einen modernen 3D-Kosmos zu flickschustern. Oder weil ich das Gefühl haben, als wären bestialisch schwierige Spiel-Passagen in 2D präziser.
Übersichtlicher. Besser auf den Punkt gebracht.
Ironischerweise gibt es inzwischen auch 2D-Pixel-Kosmen, die mit Mechanismen des "Dark Souls"-Infernos kuscheln – die also Elemente aus der 3D-Welt adaptieren, die diese zuvor aus der
2D-Welt entwendet hat. Wie gut das funktioniert (oder auch nicht), kann man z.B. an "Blasphemous" sehen, das ich mir für eine meiner nächsten Kolumnen zur Brust nehme.
Bis dahin…
Euer Robert Bannert