Kaffee & Kippen: Warum ich die Designs der Next-Gen-Konsolen feiere


 

Im Meme-Kosmos sorgen die Designs von PlayStation 5 und Series X für jede Menge kreative bis ärgerliche Häme. elektrospieler Robert dagegen feiert die Designs – und verrät warum.

 

KOLUMNE • Sie sieht aus wie ein Luftbefeuchter, eine Kaffeemaschine, ein Netgear-Router, eine PS2 im (Ordner)-Schlafrock oder eine ausgefallene Klamotte für ein männliches Pop-Sternchen. Und irgendwie erinnert sie auch ein bisschen an diese Dinger, die Enten im Gesicht haben… an… äh… genau… Schnäbel! Oder an die moderne, monolithische Gebäude-Architektur, die in saudi-arabischen und asiatischen Metropolen in den Himmel wuchert. Kurzum: Als Sony vor einigen Wochen zum ersten Mal das PS5-Gehäuse enthüllte, wurde das Netz sehr kreativ – fast noch kreativer als bei Microsofts Series X.

Die bot mit ihrem vergleichsweise konservativen Hochkant-Look zumindest auf den ersten Blick etwas weniger Angriffsfläche. Aber dann wurde auch sie ordentlich in die Meme-Pfanne gehauen – wurde zur „Y-Box“ (in Anlehnung an die Y-Achse des Koordinatensystems), zum Aschenbecher, zum Standfuß eines PS5-Glastischs, zum Kühlschrank und sogar (besonders böse) zum Sarg degradiert. Ach so – und zum PC natürlich. Denn manch ein Gamer sah mit dem Wechsel vom Konsolen-typischen Horizontal- in den Hochkant-Betrieb den Umzug in die Domäne der Windows-Rechenknechte endgültig vollzogen.


Es gibt keine schlechte PR (?)
Zwar wird in solchen Fällen immer wieder das schlaue Sprüchlein zitiert, nach dem es keine schlechte PR gibt – trotzdem bezweifle ich irgendwie, dass sich die Design- und Marketing-Abteilungen der Konsolen-Konzerne diese Art von Aufmerksamkeit wünschten, als sie ihre Geräte gestaltet haben. Immerhin wurden die Fans nicht müde, lautstark nach der Enthüllung der neuen Daddel-Ware und ihrer Gehäuse zu schreien. Todschick und vor allem mutig sollten die neuen Designs sein. Schließlich hat man mit der gerade auslaufenden Geräte-Generation eindrucksvoll bewiesen, dass das Konzept Konsole noch immer Zukunft hat – obwohl es kurz vor 2013 schon totgesagt wurde. Dedizierte Daddel-Maschinen wären im Zeitalter mobiler Digitalität und stetig schrumpfender, aufgehübschter Costum-PCs bald hinfällig.

Aber es kam anders. Die PS4 wurde zum Instant-Hit, Nintendos neue Switch zum Verkaufsschlager und selbst die anfangs gestrauchelte Xbox One erholte sich allmählich – der Veröffentlichung des leistungsstärkeren "X"-Modells sei Dank.

Wann also sollten sich Konsolen-Hersteller ein mutiges Gehäuse-Design leisten können, wenn nicht jetzt? Zugegeben: Auch aktuell wird das Konzept „extra Spiele-Hardware“ von manchen hinterfragt – wie fast jedesmal, wenn eine neue Geräte-Generation anbricht. Vor sieben Jahren waren es Smartphones und Tablets, die PlayStation & Co. in Bedrängnis bringen sollten, jetzt sind es Streaming-Plattformen wie Google Stadia, die den Fuß in der Tür haben. Derzeit aber nur sehr behutsam – der große Run auf den Zock aus der Cloud blieb bisher aus. Denn ihm fehlt etwas ganz Entscheidendes, über das sich Konsolen seit jeher definieren: ein Gesicht, einen Körper, eine Chassis. Etwas zum Anfassen, Liebhaben, nach-20-Jahren-in-die-Vitrine-stellen und zum „Sich daran ergötzen“.


Totenkult mit Gesicht
Retro-Systeme wie Super Nintendo, Mega Drive, PC-Engine, Sega Saturn oder Dreamcast haben all diese Jahre nicht nur deshalb überdauert, weil es für sie tolle Spiele gab – nein, sie haben überlebt, weil es überhaupt etwas zum Überleben gab! Einen Corpus, eine Hülle – einen Plastik-Leichnam zum andächtigen Aufbahren in der verglasten Fan- oder Kultur-Kollektion.

Gerade ursprünglich wenig beachtete Systeme wie Nintendos Virtual Boy erfreuen sich heute fast kultischer Verehrung, weil ihr extravaganter Look im Gedächtnis blieb – frei nach dem Motto: Lieber viel Mut zur Hässlichkeit als gar keiner!

Vielleicht bleibt bei Google-Stadia ja (abgesehen von offensichtlichen Problemen wie einer unattraktiven Preisgestaltung) auch deshalb der ganz große Ansturm aus, weil die Plattform kein Gesicht hat. Klar, hat Netflix auch nicht – aber das ist ja letztlich nur ein (Pay-)TV-Sender. Und von denen sind die Kunden optische Anonymität gewöhnt. Hier geht es allein um das Programm oder die „Software“ – aber Computer- und Videospiele… die sind seit jeher stark mit einer bestimmten Hardware und deren Look verknüpft. Das gilt für frühe, heute gerne ausgestellte Heimcomputer-Ware à la C64, Amiga oder Atari ST ebenso wie für antike Konsolen.

Wenn die Hardware-Leistung erstmal obsolet geworden ist, dann ist es nur der Körper, der bleibt. Die Seele ist entschwunden, die Chip-Organe entfernt, aber das Image des Toten noch intakt. Wie bei einem berühmten Gebäude oder einem Denkmal, das heute eigentlich keinen praktischen Zweck mehr erfüllt (oder zumindest nicht den ursprünglichen), dessen Äußeres aber noch über Jahrzehnte und Jahrhunderte mit dieser Funktion oder speziellen Ära verknüpft bleibt und deshalb weiterhin liebevoll gepflegt wird.


PC-Tristesse
Ein bisschen aus dem Rahmen fällt beim Gehäuse-Kult nur der PC – dessen flexible Innereien werden seit jeher in ähnlich austauschbare und meist nur zweckmäßige Kästen gepfercht. Aber vielleicht sind es ja auch die oft von nüchterner technischer Zweckmäßigkeit getriebenen PC’ler und IT’ler, die als erste ins Streaming-Lager wechseln werden, wenn die Performance und der Preis erst stimmen. Andererseits: Auch hier gibt es seit Jahren den stetig stärker werdenden Trend zum Gehäuse-Tuning und zur Custom-Chassis. Designer-PCs sind dort, wo man es sich leisten kann, lieber gesehen als langweilige graue oder schwarze Kästen. Manch ein PC-Gehäuse ist inzwischen so sexy, dass sogar Konsolen-Zocker begehrliche Blicke ins Lager der verspielten Rechenknechte werfen und sich von den Herstellern mehr gestalterische Abenteuerlust wünschen.

Und mal ehrlich: Lust aufs Design könnten wir hier gut gebrauchen – denn was waren die letzten PlayStation- bzw. Xbox-Generationen anderes als bloße Iterationen der ewig gleichen, uninspirierten Brotkästen? Ein paar verschüchtert platzierte Kühlrippen hier, ein tapfer vor sich hin glimmender Einschalter da – dann hatte sich die Gestaltungswut der Designer (die sich ja immer von Faktoren wie Herstellungskosten, Praktikabilität oder Vermarktbarkeit einhegen lassen muss) auch schon erschöpft.



Kaffee plus Kippe
Vor dem Hintergrund von so viel Fantasielosigkeit ist es umso erfreulicher, dass sich jetzt gleich zwei Hersteller mit vergleichsweise mutigen Designs und einem fast schon avantgardistischen Entwurf aus der Deckung wagen. Mögen sie dabei meinetwegen aussehen wie die Kippen-Entsorgung eines Microsoft-Managers oder eine Kaffeemaschine auf Speed – Hauptsache, man setzt endlich mal wieder ein Design-seitiges Zeichen. Ein Zeichen, das deutlich sagt: Konsolen-Hardware ist mehr als die Summe ihrer technischen Ingredienzien und einer Menge Spiele. Sie sind ein Label, ein Lifestyle, ein Schmuck- und ein Ausstellungsstück. Und als solches verdienen sie ein Äußeres, das selbst der faulste Nerd mehr als zweimal pro Jahr vom Staub zu befreien bereit ist. Damit man auch sie – in fünf bis 15 Jahren – dekorativ zur letzten Ruhe betten kann.

Und mögen noch so viele selbsternannte Kritiker die neuen Konsolen deshalb mit Spott und Häme überziehen – in ein paar Monaten werden sie dennoch brav Schlange stehen, um ihre persönliche Kaffeemaschine und ihren ganz eigenen Aschenbecher zu ergattern. Denn so viel weiß doch jeder ganz genau: Zu einer guten Tasse Kaffee gehört – natürlich – eine Zigarette. (rb)