Pixeliges Singleplayer-MMO für Retro-Bürokraten: CrossCode


 

Wunderschöne Pixel-Fantastik, bissige Gürteltiere, gigantische Boss-Biester und ein Spielsystem für Regelfüchse: Das deutsche Vorzeige-Indie-RPG "CrossCode" ist endlich für Konsole zu haben. Warum das Schwergewicht aber nicht nur für Retro-Fans geeignet ist, verrät unser Test.

 

KRITIK • PS4, Xbox One, Switch • Wer wissen möchte, wie das Szenario aus der HBO-Serie "Westworld" als pixeliges Fantasy-Epos aussehen würde, der wird beim deutschen Retro- und Indie-Rollenspiel "CrossCode" fündig: Der Saarländer Entwickler Radical Fish hat auf PC und Mac schon 2018 mit seinem Retro-Rollenspiel "CrossCode" überrascht – einer cleveren Mixtur aus Action-Adventure, RPG und auf Super-Nintendo-Ästhetik gebürsteter Kulisse. Die kokettiert – wie viele japanische 16-Bit-Vorlagen, an denen sich die Saarländer orientieren – mit Fantasy- und Science-Fiction-Zutaten, ist "Phantasy Star" und "Final Fantasy" zugleich. Mit einem Schuss "Secret of Mana" und ein paar Spritzern "Zelda" für die richtige Echtzeit-Würze. Lässt uns wie bei einem Action-Adventure durch wunderschön gepixelte Gras-Landschaften wirbeln, während wir mit Nahkampf-Attacken auf niedliche Gürteltier-Monster eindreschen oder aggressive Wühler mit virtuellen Bällen beharken. Letztere halten außerdem für das Gros der Rätsel im Spiel her: Schalter und andere Mechanismen werden durch Ballbeschuss aktiviert – und dafür müssen wir die virtuellen Projektile nicht selten über Bande "spielen".

"Virtuell" sind die Geschosse übrigens, weil "CrossCode" in einer künstlichen Welt spielt: Die "CrossWorlds" sind eine Art gigantischer Fantasy- und SciFi-Abenteuer-Themenpark – dem aus der HBO-Serie "Westworld" nicht unähnlich. Mit dem entscheidenden Unterschied allerdings, dass die Spieler das von gefährlichen Kunstwesen bevölkerte Ferien-Paradies nicht selber betreten, sondern stattdessen ihren Geist in einer Art organischem Avatar parken. Um dann gefahrlos durch die Pixel-Pampa zu spazieren, wetzen, knobeln und kämpfen. Gefahrlos ist der Trip allerdings nur dann, wenn das eigene Gedächtnis nicht darunter leidet – wie bei "CrossCode"-Heldin Lea der Fall. Die findet sich sämtlicher Kräfte und Erinneriungen beraubt im Körper ihres Avatars wieder – und weiß nicht mal, dass sie eine Spielerin im Körper eines Kunstmenschen ist.

 



 

Zugegeben: Ganz neu ist das Szenario Gedächtnisverlust nicht – aber Radical Fish gibt ihm einen interessanten neuen Dreh. Ebenfalls angenehm frisch: Weil die CrossWorlds ein Mehrspieler-Szenario abbilden, fühlt sich "CrossCode" an vielen Stellen wie eine Art Retro-gepoltes MMORPG an – obwohl man es alleine spielt. Die Mixtur aus Pixel-Grafik und Singleplayer-MMO ist großartig gelungen, fühlt sich aber stellenweise leider einen Tick zu sperrig an: In diesen Momenten outet sich "CrossCode" als ein modernes Spiel, das sich lediglich als Retro-Fundstück tarnt. Die optischen und Stil-seitigen Zitate aus der Super-Nintendo- sowie Mega-Drive-Ära sind an dieser Stelle eher optischer Natur und kommen mit einer ganzen Wagenladung Bürokratie-Ballast. Die wiederum passt aber eher zu einem modernen PC-Schwergewicht als einem konsolisch präsentierten Retro-Rollenspiel.

Wer damit allerdings kein Problem hat, der bekommt eines der schönsten Pixel-RPGs der letzten zehn Jahre kredenzt: "CrossCode" lädt zum Tunen, Feilen, Optimieren sowie Sich-Reinbeißen ein, verwöhnt mit einer ganzen Fülle findig gestalteter Puzzles und ist für Freunde gepflegter Pixel-Ästhetik schlicht eine Augenweide. Die Gefechte gegen gigantische Boss-Gegner und eine Vielzahl kleinerer, überraschend hartnäckiger Wadenbeißer sind zwar knüppelhart, lassen sich aber alternativ per Options-Menü genau einstellen: Wer nicht knietief in der Charakter-Verwaltung stehen und stundenlang trainieren will, reguliert den ausgeteilten Schaden und die Häufigkeit der Attacken so weit runter, dass die Gefechte zwar nicht zum Spaziergang, aber deutlich verträglicher werden. Zeit sollte man dafür aber trotzdem mitbringen, denn die kleinen Biester schlucken ordentlich Schaden.

 

Note: 8.0 (GUT)

 

 


WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend


 

 

Meinung (Robert Bannert):

 

Obwohl ich "CrossCode" schon vor längerer Zeit auf dem Mac angefangen hatte, habe ich mir diesen Titel für die Konsole aufgehoben – denn richtig genuss-zocken kann ich nur, wenn ich auf der Couch und vor dem Fernseher fläze.

 

Zugegeben: Es ist etwas anders als ich dachte bzw. mir erhofft habe. Weniger leichtgängig – dafür extrem erklär-bärig, stellenweise überraschend bürokratisch und in Sachen Game-Design moderner als erwartet. Es sieht wie ein Retro-Game aus, fühlt sich aber spielerisch eher wie modernes RPG bzw. Action-Adventure an. Und man braucht eine Menge Zeit bzw. Geduld, um sich reinzufummeln – denn gerade die Kämpfe sind UM EINIGES knackiger als bei den 16-Bit-Games, die es zumindest optisch und atmosphärisch zitiert. Hier sind Grinding und fleißiges Nebenmissions-Abarbeiten bzw. Charakter-Feintuning essentiell.

 

Beim Thema "Fleißarbeit" ist deutlich spürbar, dass das thematisch "Westworld"-verwandte "CrossCode" im Grunde ein MMORPG abbildet – obwohl man es alleine spielt. Das ist den Entwicklern unglaublich gut gelungen. Aber natürlich wird es nicht jedem Retro-Fan schmecken, dass sich hinter dem vermeintlich zuckersüßen Pixel-RPG eher "Phantasy Star Online" bzw. "Final Fantasy XIV" versteckt als "Phantasy Star" oder eben ein normales "Final Fantasy". Dass die Entwickler es allerdings geschafft haben, mit klassischer Pixel-Grafik das Gefühl zu vermitteln, als würde man sich in einer lebendigen Multiplayer-Welt befinden – wow, das muss man erstmal hinkriegen.

 

Wer sich damit abfinden kann, dass "CrossCode" im Kern eben kein reines Retro-Game ist, der bekommt ein echtes Juwel. Das muss man sich zwar erst selber mit viel Fleißarbeit zurecht schleifen und feilen, bevor es richtig glänzen kann – aber dann funkelt es umso mehr. Die wirklich wunderschöne Quasi-16-Bit-Grafik, die leichtfüßige Erzählung und der "Phantasy Star"-verwandte, klangvolle Synthie-Soundtrack helfen wesentlich dabei, so lange am Ball zu bleiben.