Microsoft bietet viel Abwärts-Kompatibilität, Game Pass und einen durch Zukäufe rasant wachsenden Marken-Kosmos – Sony kontert die Offensive des Nebenbuhlers mit viel Feinsinn. Ziel
des PlayStation-Herstellers: Mehr Immersion und mehr Innovation. Mit dieser Strategie erinnert man immer mehr an einen anderen klassischen Player am Konsolen-Markt …
KOLUMNE • Manchmal sind es Kleinigkeiten, die den Unterschied ausmachen. Auf den allerersten Blick marginale Feinheiten, die nur bei näherer Betrachtung offenbaren, worin der
eigentliche Fortschritt einer Sache besteht. Wie die ungewohnt realistisch wirkenden Materialien zum Beispiel, aus denen die Kleidung von Miles Morales in Insomniacs neuem „Spider-Man“-Abenteuer
besteht. Oder die Oberflächen-Struktur der Kopfhörer, die der Teenager so betont lässig auf seinen Schultern jongliert, während er mit der U-Bahn in den Einstieg seines ersten eigenen
PlayStation-Spiels tingelt.
Ebenfalls echte Detail-Hingucker sind die Wasserpfützen aus dem Remake von „Demon's Souls“, die den Schein von Fackeln oder Feuerschwertern widerspiegeln. Inzwischen verlieren sich die Burgwälle
und Türme der Dämonen-Festung in einer diffus beleuchteten, rauchverhangenen und schwindelerregenden Höhe, wo sie wie ein Gemälde oder „Matte-Painting“ über der Szenerie thronen. Obwohl es sich
in Wahrheit nicht etwa um eine Illustration, sondern um eine komplexe 3D-Konstruktion handelt.
Die Magie dahinter: clevere Beleuchtungstricks und Material-Filter. Die sorgen unter anderem dafür, dass Kerzen in dem Profi-RPG endlich mal wie echte Kerzen aussehen – und auch so brennen.
Weiche, weite Wolle-Wiesen
Selbst wer (das ebenfalls für die PS4 veröffentlichte) „Sackboy: A big Adventure“ auf der PS5 näher in Augenschein nimmt, entdeckt in dem zunächst unscheinbaren Jump’n’Run-Märchen eine Fülle von
Hinweisen darauf, was uns in der neuen Konsolen-Generation alles erwarten könnte. Nämlich Materialien, die sich dank ihrer täuschend echten Ausleuchtung fast so verhalten wie ihr echtes Vorbild –
ganz gleich, ob das entsprechende Spiel wie die Realität oder ein abstrakter Kunst-Kosmos wirken soll. Sonys kleines Jute-Männlein z.B. durchstreift flauschige, mit Polyester abgesetzte
Wolle-Wiesen, hupft in mit Glitter gefüllte Filz-Blumen und erkundet einen gestrickten, gewebten, genähten, aus Holzresten gezimmerten sowie mit todschicken Flicken veredelten Patchwork-Kosmos.
Und sieht tatsächlich so aus, als käme er entweder aus Omas Nähstube oder Opas Garage.
Sollte sich dieser Trend fortsetzen, dann könnte mehr „Natürlichkeit“ eine der großen Errungenschaften der neuen Hardware-Generation werden. Denn in der Theorie ist das etwas, das beide
Next-Gen-Systeme stemmen können – schließlich bedarf es dafür nur der nötigen Performance. Ach ja: und der nötigen Kreativ-Kompetenzen nebst passendem Kreativ-Konzept natürlich. Und
hier hat Sony zumindest beim Start seines neuen Systems ein wenig die Nase vorn: Im Launch-Zeitfenster hat man zwar vor allem solche Spiele ausgeliefert, die auch mit dem „Auslaufmodell“ PS4
funktionieren – aber die wurden allesamt clever um Technik- und Gameplay-Features bereichert, die sich möglichst nach „Next Gen“ anfühlen.
Willkommen auf der Prozessor-Plaza!
So richtig deutlich wird man mit dem System-seitig vorinstallierten und daher exklusiv an die PS5 getackerten „Astro’s Playroom“. Die Quasi-Fortsetzung des VR-Jump’n’Runs „Astro Bot: Rescue
Mission“ wurde als verspielte Funktions-Demo für die neuen PlayStation-Features entwickelt – und das Sony damit nicht in erster Linie die gesteigerte Grafik-Performance seiner neuen Maschine
meint, wird nach nur wenigen Spielminuten klar. So simuliert die fein ausgesteuerte Rumble-Funktion des DualSense-Controllers das Gefühl prasselnder Regentropfen, an Astro vorbei streichender
Grashalme und lässt uns sogar spüren, von welcher Richtung eine sanfte Brise oder ein rauer Wind weht.
Bereits Nintendos Switch-Joy-Cons zeigen Anfang 2017 in der Motion-Control-Gaudi „1-2-Switch“ die Möglichkeiten einer verbesserten Rumble-Funktion. Indem die Entwickler z.B. den Eindruck
einzelner, durch eine Schachtel kullernder Murmeln simulieren – und zwar so präzise, dass man die Anzahl der fingierten Kügelchen erspüren kann. Leider lässt Nintendo – also
ausgerechnet der Hersteller, der für die clevere Nutzung seiner einzigartigen Kontroll-Konzepte bekannt ist – dieses Feature schnell wieder fallen.
Umso verblüffender, dass jetzt ausgerechnet Sony das vergessene Feature wieder ausgräbt – und dabei geschickter nutzt als irgendein Hersteller zuvor. Kombiniert mit den adaptiven
Schulter-Triggern – die uns bei „Astro’s Playroom“ den Widerstand eines Bogens oder die Hand- und Arm-Belastungen bei einer Kletter-Eskapade spüren lassen – ergeben sich hier geradezu
schwindelerregende Möglichkeiten zur gesteigerten Immersion. Möglichkeiten, die man hoffentlich konsequent weiterverfolgt. Und die wie dafür geschaffen scheinen, ein entsprechendes VR-Abenteuer
zu flankieren: Die entsprechenden Anschluss-Möglichkeiten bringt die PS5 schließlich mit.
Akzente setzen
Aber „Astro’s Playroom“ kann noch mehr: Es lässt uns zärtlich ins Mikro pusten, um Ventilatoren anzutreiben und fordert uns dazu auf, mithilfe des Touch-Pads den Reißverschluss verschiedener
Gefährte zu verschließen, auf die Astro im Laufe seiner Hupf-Odyssee umsteigt. Darunter ein affiger Kletter-Mech und eine Kugel. Schließlich besteigt der herzige Blechbube sogar eine kleine
Rakete, die wir per Motion-Control millimetergenau durch Hindernis-Parcours navigieren, während die adaptiven Schulter-Trigger wohldosiert Widerstand leisten – großartig!
Kurzum: Sony scheint fest entschlossen, die Vorzüge des neuen Controllers zu unterstreichen – und wer außerdem das neue 3D-Audio-Headset auf dem Kopf hat, der kann mit verblüffender
Genauigkeit sagen, wo im dreidimensionalen Raum er sich gerade befindet. Oder der „Wipeout“-Gleiter, der irgendwo im Hintergrund herumschwirrt.
Denn mit „Astro’s Playroom“ verlässt sich Sony nicht nur auf schlaue In- und Output-Konzepte – obendrein setzt man erstmals clever auf die eigene Produkt-Familie abgestimmte
Vermarktungs-Akzente: Man zeigt selbstbewusst die Fülle an Spiele-Marken und Hardware-Innovationen, die sich im Laufe von einem Vierteljahrhundert angesammelt haben – und das, ohne dabei
plump zu klotzen oder sich in einfallslosen Zitaten zu ergehen. Stattdessen stellen Astro und seine Robo-Kumpels Szenen aus bekannten Playstation-Exklusivspielen nach, sammelt unser kleines
Roboter-Konterfei Hardware-Fundstücke wie die PSP-Kamera, balancieren wir über PSOne-Controller-Kabel und winkt uns in der Level-Lobby der gut gelaunte PS5-Prozessor-Chip zu, während er in einer
mit Flüssigmetall gefüllten Kuppel schwimmt.
Daraufhin besuchen wir kreativ betitelte Level-Kosmen wie „Prozessor-Plaza“, „Kühle Quellen“, „GPU-Dschungel“ oder „SSD-Speedway“: Fast jedes Element aus dem „Playroom“ ist ein Marken- oder
Hardware-Statement, mit dem uns Sony seinen Produkt-Kosmos nahebringt. Zugegeben: Hätte der Hersteller ein derartiges Marketing-Experiment vor zehn oder 15 Jahren gestartet, wäre es uns
vielleicht wie ein aufdringliches Werbe-Spielchen vorgekommen. Aber inzwischen sind all diese Komponenten Kult. Darum erfreut uns ihr spielerisches Auftauchen auch mehr als dass es uns
nervt.
Damit spielt Sony souverän einen Vorteil aus, auf den Nebenbuhler Microsoft nicht zurückgreifen kann: Der hat vielleicht einen längeren finanziellen Atem, aber dafür keine seit Jahrzehnten
funktionierende Konsolen-Marke nebst zahlloser dazugehörender Exklusivmarken.
Die kleinen Detailfreuden
Stattdessen hat man in Redmond während der vergangenen sieben Jahre hartnäckig daran gearbeitet, das eigene Kreativ-Kapital aus dem Unternehmen zu komplementieren, um jetzt hektisch mit dem
Scheckbuch zu wedeln und dabei alles aufzukaufen, was nicht niet- und nagelfest ist.
Vermutlich setzt Sony deshalb genau zum richtigen Zeitpunkt auf die richtige Taktik – und damit scheint man in absehbarer Zeit auch nicht aufhören zu wollen: Um die immersiven Features
seines DualSense-Controllers und des PS5-exklusiven 3D-Audio-Headsets zu unterstreichen, schickt man zusammen mit Entwickler Housemarque bald eine wackere Astronautin auf eine fremde Alien-Welt:
Das auf wohligen Grusel gebürstete „Returnal“ soll bereits im März für die PS5 kommen und will den aktuell eröffneten Trend des „inszenatorischen Feinsinns“ fortsetzen.
Überhaupt scheint das neue Sony-System auf die kleinen Detailfreuden gebürstet zu sein – und das nicht von ungefähr: Denn im sich nun zum vierten Mal wiederholenden Ringen zwischen Sony und
Microsoft sind es vor allem sympathische Kleinigkeiten und Feinheiten, durch die man sich noch von seinem Nebenbuhler abgrenzen kann. Trotz aller Unterschiede bei System-Architektur und
-Performance rangieren beiden Konsolen – wenigstens Hardware-seitig – nahezu auf Augenhöhe. Müssen sie auch – immerhin kann oder will man es sich nicht leisten, das Gros der
wichtigen Drittanbieter auszusperren. Schließlich verdienen beide Hersteller vor allem durch die entsprechenden Lizenzgebühren – die sind es, die das Konsolengeschäft für die
Hardware-Hersteller überhaupt erst richtig lukrativ machen.
Und leider ist Sony an dieser Stelle zum ersten Mal spürbar im Nachteil: Je mehr Hersteller, Studios und damit auch Marken an das kauflustige Windows-Imperium fallen, desto weniger Geld nimmt
Sony mit Drittanbieter-Spielen ein. Sollte nach Bethesda eine weitere große Spiele-Fabrik an die Redmonder fallen, könnte der PlayStation-Hersteller in Bedrängnis geraten.
Alleinstellungsmerkmale
Verständlich, dass Sony aktuell auf die letzten Alleinstellungsmerkmale setzt, mit denen man noch richtig glänzen kann: Hochkarätig inszenierte Exklusivspiele, die vom System-Know-How der eigenen
Entwickler profitieren. Besondere Input- bzw. Controller-Konzepte. Und natürlich das geschickte Zusammenspiel dieser beiden Faktoren. Oder anders ausgedrückt: Man macht einen auf Nintendo. Mit
deutlich mehr Pferdestärken im Rücken – aber sonst passt der Vergleich.
Und das ist keine Selbstverständlichkeit, denn während Nintendo zu den Architekten des Automaten- und Konsolen-Geschäfts gehört, hat sich Sony vor 25 Jahren auf ähnliche Weise in den Markt
eingekauft wie es andere, Games-fremde Großkonzerne ebenfalls versuchen. Aggressive, nicht selten prollige Werbung war dabei quasi an der Tagesordnung. Kurzum: Man gebärdete sich manchmal wie der
sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Und versuchte geradezu zwanghaft, sich ein cooles, junges Image zu verpassen, während der Rest der Videospielwelt alt und angestaubt wirken sollte. Eine
Generation vor der PSOne hatte sich SEGA mithilfe seine Mega Drives nebst rasendem Igel an einer ähnlichen Strategie versucht.
Ein Vierteljahrhundert später ist Sony PlayStation selber so etwas wie ein Konsolen-„Oldtimer“. Glücklicherweise tritt man im Duell gegen Microsoft nicht gegen einen dynamischen und
unverbrauchten Newcomer an, sondern gegen einen unbeweglichen und auf Markt-Dominanz setzenden IT-Riesen. Der ist eigentlich schon länger im Computer- und Games-Geschäft als Sony, hat es dabei
aber trotzdem nie so richtig geschafft, den Spiele-Markt zu dominieren oder sich ins Herz der Gamer zu daddeln. Und das, obwohl man mit einigen kultigen PC-Games, fast schon legendär starker
Peripherie und einer Xbox 360 immer wieder kurz davor war – nur, um dann auf den letzten, entscheidenden Metern zu patzen und Sympathien wieder zu verspielen.
Dabei ist das aktuelle Konsolen-Konzept des PC-Monopolisten gar nicht mal so dumm: Mit „Game Pass“, Windows-Schulterschluss und Kompatibilität in alle Richtungen setzt das System vor allem auf
Benutzer-Komfort, schiere Software-Masse und natürlich eine breite User-Basis. Im Universum eines Konzerns, der bis heute davon lebt, dass sich Industrie und Ämter auf Jahrzehnte dem Windows-
oder „Office“-Paket verschrieben haben, ist man es nicht gewöhnt, um die Platzierung eines Produkts kämpfen zu müssen. Oder als schlauer Innovator voran zu preschen. Stattdessen rollt man mit der
Behäbigkeit, aber auch der bedrohlichen Zuverlässigkeit eines Gletschers ins Ziel. Sehr, sehr langsam und unaufhaltsam.
Die einzige Chance, gegen so etwas anzutreten: Schnell sein, flexibel sein – und rechtzeitig gut geschütztes Terrain erobern, das der andere nicht notwendigerweise braucht. Zum Beispiel,
indem man individuelle Erlebnis-Konzepte erarbeitet. Mit denen punktet man vielleicht nicht auf ganz breiter Front – aber manchmal ist es besser, man sichert sich die Treue der
Connoisseure.
Wie Nintendo. Oder – neuerdings – auch Sony. (rb)