Seit "Your Name" dreht Makoto Shinkai immer wieder den mehr oder weniger gleichen Film – nur jedes Mal ein bisschen schwächer. Da bildet auch sein jüngstes Werk "Suzume" keine Ausnahme: elektrospieler über die Abnutzungserscheinungen im Werk des japanischen Ausnahme-Regisseurs.
FILMKRITIK • In den Filmen von Makoto Shinkai geht es – im weitesten Sinne – um Polaritäten, Kreisläufe und Verbindungen. Darum, dass alles und jeder mit allem verknüpft ist –
über die Grenzen von Zeit, Raum und Tod hinaus. So dreht er in seinem bisher größten Erfolg „Your Name“ die klassische Körpertausch-Geschichte auf Links, indem er die beiden Protagonisten eine
Fernbeziehung über nicht nur viele Kilometer, sondern sogar Jahre führen lässt. Im Nachfolge-Film „Weathering with you“ wiederum verfolgt er den Ausreißer Hodaka nach Tokyo, wo er neben dem
„Sonnenscheinmädchen" Hina ebenso hilfreichen wie hilfsbedürftigen Charakteren begegnet, deren verschiedene Schicksale am Ende in einer Art Beinahe-Apokalypse kulminieren und dann von einer
(leider nicht ganz so treffsicher platzieren) Umwelt-Botschaft gekrönt werden.
Damit stehen die Anime-Werke von Makoto Shinkai in der gleichen, vom japanischen Shintoismus inspirierten, übernatürlich aufgeladenen Erzähl-Tradition wie die Filme von "Chihiro"- und "Prinzessin
Mononoke"-Studio Ghibli. Zutiefst menschliche und auch oft alltägliche Probleme werden mithilfe mystischer Motive visualisiert, um die Wechselwirkungen von diesseitiger und jenseitiger Welt zu
illustrieren und Zusammenhänge aufzuzeigen, wo man sonst keine vermuten würde.
Dabei folgen Ghibli- und Shinkai-Filme – wie der Shintoismus selber – keinen klaren Mustern oder starren Regelwerken, sondern sind ebenso wie ihre gezeichneten Darsteller und ihr Leben stetig im
Fluss und oft willkürlich erscheinenden Veränderungen oder Um-Deutungen unterworfen. Das macht sie für das westliche Publikum, das eher geradlinige Erzähl-Strukturen gewöhnt ist, nicht immer
unbedingt leicht zu verstehen oder zu konsumieren. Aber in einer Welt, in der nichts unmöglich ist, muss nicht immer alles im herkömmlichen Sinne logisch sein oder den uns bekannten Gesetzen von
Ursache und Wirkung folgen. Und kann man drängende Fragen zugunsten des Filmgenusses auch einfach mal stecken lassen.
Immerhin sind Shinkais Filme nicht nur eine Fundgrube des mystischen Verwirrspiels – sie sind auch zauberhaft anzusehen: Mit einem Budget von nicht mal 15 Mio. US-Dollar verwöhnt sein jüngstes
Werk „Suzume“ mit wunderschön ausgearbeiteten "Lost Places" wie alten japanischen Vergnügungsparks, souverän animierten Charakteren, rasanten Kamerafahrten und dem cleveren, angenehm
unaufdringlichen Einsatz vereinzelter 3D-Elemente – ein Augenschmaus, den US-Studios wie Disney kaum für die zehnfache Summe hinkriegen (wenn sie denn überhaupt noch klassische Zeichentrick-Kost
produzieren). Entweder wird hier bei Wasser und Brot auf der Produktions-Sklaven-Galeere geschuftet – oder aber man setzt in Japan seine Ressourcen wesentlich effizienter ein.
Umso enttäuschender, dass es Shinkai trotz gesteigerter Production-Values nicht schafft, an seinen größten Erfolg anzuknüpfen: "Your Name" funktionierte 2016 nicht nur deshalb auch bei einem
westlichen Publikum so gut, weil er seit längerer Zeit den ersten aufwendigen Kino-Zeichentrickfilm repräsentierte – obendrein war es die angenehm lockere und un-prätentiöse Kombination aus
seichtem Beziehungs-Klamauk, romantischer Mystery sowie Ende mit großem Aha-Effekt, das so gekonnt verfing. So gekonnt und erfolgreich, dass Shinkai seitdem vermutlich unter zunehmendem
Erfolgsdruck steht – und vielleicht deshalb Filme produziert, die sich so anfühlen, als würde er immer wieder Varianten der im Grunde gleichen Geschichte erzählen.
Als würde hier eine andere Inkarnation von "Your Name"-Heldin Mitsuha (Suzume) einer neuen Version ihres Filmpartners Taki (Sota) kreuz und quer durchs japanische Hinterland und schließlich bis
nach Tokio folgen, um Pforten in die jenseitige Welt zu verschließen. Weil sich dort all der Hass der Menschen in Form eines gigantischen Wurms manifestiert hat, der jetzt durch die brüchigen
Türen in unsere Welt vorzudringen versucht – wenn es Suzume, Sota und zwei flauschigen Katzen-Minigöttern nicht gelingt, rechtzeitig "den Deckel draufzumachen". Klar, dass es auf der Reise zu den
verschiedenen Pforten jede Menge Drama gibt und viel gemenschelt wird – einen ordentlichen Schuss "Coming of Age"-Movie inklusive, denn auch dieses Element gehört seit "Your Name" zu Shinkais
Pflicht-Feature-Katalog.
All das mündet in 121 hervorragend animierten und meist angenehm geistvollen Minuten, die sich aber besonders für Kenner von Shinkais Gesamtwerk manchmal ganz schön ziehen – eben weil man im
Grunde alles schon kennt und nichts mehr wirklich überrascht. Nicht mal Sotas schon früh im Fimverlauf stattfindende Verwandlung in einen dreibeinigen, sprechenden, laufenden, schimpfenden
Kinderstuhl kann in diesem Klima der Wiederholungen so richtig zünden – dafür wirkt es zu sehr wie der krampfhafte Versuch, ein Ghibli-artiges Element in dieser Welt zu verankern. Aber was sich
bei Ghibli-Altmeister Miyazaki unglaublich charmant und auf entwaffnende Weise natürlich angefühlt hätte, das wirkt bei "Suzume" eher wie ein Fremdkörper.
Natürlich sollte man es trotzdem feiern, dass mit Shinkai ein (verhältnismäßig) junger Anime-Erfolgs-Regisseur auf den Plan getreten ist, der Trickfilm-Kost auf derart hohem Niveau liefert –
zumal der greise Miyazaki bis heute keinen würdigen Nachfolger hat. Vor diesem Hintergrund muss man sich über jeden klassischen animierten Trickfilm freuen, der es über das Level einer
Serien-Produktion hinaus schafft und der nicht in die immer stärker verbreitete "schlechte 3D-Grafik, die wie noch schlechteres 2D auszusehen versucht"-Kerbe schlägt. So betrachtet ist "Suzume"
ein bemerkenswerter Film – der aber leider entweder vom Dilemma seines Schöpfers zeugt, die mit "Your Name" selbst angelegten Fesseln nicht abstreifen zu können. Oder aber beweist, dass Shinkai
eben doch nur ein "One-Hit-Wonder" ist, das noch so lange vom Ruhm seines größten Erfolgs zehrt, bis auch dem letzten Fan auffällt, dass sich sein Werk im Kreis dreht – und irgendwann hat man
eben auch von der lustigsten Karussellfahrt genug. (Robert Bannert)
Note: 7.0 (GUT)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend