Pixel-Brettspiel für Entdecker: The Curious Expedition

 

Eingeborene Stämme im afrikanischen Dschungel, totgeglaubte Dinosaurier als Reittiere und das ganz große Pixel-Abenteuer: Mit "The Curious Expedition" will der Berliner Entwickler "Maschinen-Mensch" unser Entdecker-Gen wecken. Indiana Jones, Allan Quatermain und David Livingstone sind die Paten der im späten 19. Jahrhundert verorteten Retro-Safari.

 

 

Spiele, die das grobkörnige Grafik-Raster der 8Bit- oder 16Bit-Ära verwenden, gibt es jede Menge – und entsprechend schwierig ist es, in dem Wust aus Retro-Jump'n'Runs, klassisch gepolten Arcade-Ballereien und auf Old-School-Erlebnis getrimmten Pixel-Paradiesen noch die nötigen Akzente zu setzen. (Erst kürzlich habe ich eine zum Thema passende Kolumne verfasst.) Trotzdem ist dem Berliner Zwei-Mann-Team "Maschinen-Mensch" genau dieses Kunststück gelungen: Mit ihrer "Curious Expedition" wagen die beiden Macher Johannes Kristmann und Riad Djemili nicht nur den Trip in die Vergangenheit des Mediums – man lässt auch gleich noch den guten alten Abenteuerfilm wieder hochleben.

 

Ob "Indiana Jones", die "Reise zum Mittelpunkt der Erde", der Dino-starke Trip in die "Vergessene Welt", Dschungel-Muskelprotz "Tarzan" oder die Suche nach "König Salomons Diamanten": Maschinen-Menschs mit stilechter Treppchengrafik illustrierte Zeitreise ist um kein Zitat verlegen, um den Entdeckergeist des Retro-affinen Spielers zu wecken. Spielerisch wird die Expedition dafür irgendwo zwischen "Sid Meyers Pirates", einer pixeligen Risiko-Adaption und rustikalem Grafik-Adventure angesiedelt: Um in seinem Abenteuer-Club zu punkten und konkurrierende Entdecker abzuhängen, bricht der Spieler in der Rolle eines prominenten Abenteurers oder Forschers (ich habe mich für Marie Curie entschieden) zu einer Reise in die Ende des 19. Jahrhunderts noch unerforschten Regionen des Erdballs auf. Für den Gang durch den Pixel-Dschungel brauchen die knuffigen Mini-Helden Macheten, das Erstürmen hoher Gipfel verschleißt Bergsteiger-Ausrüstugen und für den Kampf gegen hungrige Hyänen oder ruppige Großkatzen braucht man Schießeisen nebst passender Munition: Die Wahl der richtigen Ausrüstung und geeigneter Gefährten ist der Schlüssel zum Erfolg der Reise. Wenn ich dann Spielrunde für Spielrunde das gewünschte Zug-Ziel wähle und den putzigen Miniatur-Kollegen dabei zusehen, wie sie emsig durch sechseckige Spielfelder voller Hindernisse wetzen, kraxen, paddeln oder waten – dann spielt sich das Gros des Geschehens zwar in meiner Fantasie ab, doch gerade das macht es so reizvoll.

 



 

Denn "Curious Expedition" ist wie ein Abenteuerroman oder Spielbuch, das mir zwar permanent Gefahren entgegenschleudert, mir zwischen den Seiten aber auch genügend Platz lässt, um all die fantastischen Ruinen, weiten Steppen und dampfenden Dschungel mit meinen eigenen Bildern zu füllen. Und wenn ich beim "Blättern" auf eine Illustration stoße,  dann weiß ich, dass ich es gerade mit einem Höhepunkt oder einem ikonischen Moment zu tun habe: Dann beobachte ich die Gruppe am prasselnden Lagerfeuer oder wohne zum Beispiel im Zeromien-Raum einer goldenen Pyramide einer epochalen Entdeckung bei. Entdeckungen, bei denen die "seitenfüllenden" Pixel-Gemälde von blumigen Text-Passagen ergänzt werden: Die schildern beispielsweise, wie die kleine Safari herzlich von indigenen Dorfbewohnern empfangen wird, es meine Gefährten im Angesicht eines uralten Relikts mit der Angst zu tun bekommen oder wie im Schein des Lagefeuers der Tod eines Gefährten beklagt wird, der mangels Medizin-Päckchen einer schleichenden Infektion zum Opfer fiel.

 

In diesen Momenten stellt mich das Abenteuer immer wieder vor Entscheidungen mit echter Tragweite: Entschließe ich ich mich dazu, die Opfergaben auf dem Altar der Pyramide mitgehen zu lassen, dann wird die ehemals fruchtbare Region von einer verheerenden Dürre heimgesucht – lasse ich sie dagegen liegen, dann komme ich unter Umständen mit leeren Händen nach Hause und habe nichts, womit ich den Chef des Abenteuer-Clubs beeindrucken kann.

 

Was die Entdeckungsreise besonders spannend macht, das ist ihre geschickt gewählte Reduktion: Das Spiel, das auf den ersten Blick komplex wirkt ("Hilfe, eine Hexfeldkarte – und niemand, der sie mir erklärt!"), ist in Wahrheit rundum selbsterklärend und verzichtet auf genau die richtigen Elemente, um die Expedition zum zwar tiefgründigen, aber auch angenehm leichtgängigen Sucht-Erlebnis zu machen. Hätte sich das deutsche Miniatur-Studio dafür entschieden, seine bereits 2015 mit dem Indie-Award des Deutschen Computerspiel-Preises ausgezeichnete Erfahrung in eine Free-to-Play-Falle mit Ingame-Geldgrab zu verwandeln, hätte "The Curious Expedition" für die Mensch-Maschine zur Geld-Maschine werden können. So aber ist es eine mit rund 15 Euro vergleichsweise günstig ausgepreiste Anschaffung, die sich kein Retronaut und kein Digital-Abenteurer entgehen lässt – wahlweise spielbar im Browser oder über Steam.

 


Mensch-Maschine • PC, Mac • EVT: 02.09.2016 • Preis: ca. 15 Euro • Produkt-Website



Artikel wie diesen findest Du auch in der gedruckten Taschenbuch-Ausgabe von "elektrospieler – Fakten und Fiktionen aus der virtuellen Welt". Mit den besten Online-Artikeln, exklusiven Beiträgen und wunderschönen, großformatigen Grafiken – genau das Richtige für Gamer mit Anspruch und Geschmack! Ausgabe 23 kannst Du HIER bestellen. Natürlich gibt es das Magazin auch für Kindle – "Kindle Unlimited"-Abonnenten lesen sogar umsonst.



Kommentar schreiben

Kommentare: 0