Kein Fall für Disney-, "Final Fantasy"- oder Crossover-Allergiker: Auch im lange überfälligen dritten "Kingdom Hearts" lässt Square Enix Film-Kosmen wie "Fluch der Karibik", "Die Eiskönigin" oder "Toy Story" in einem gigantischen Rollenspiel- und Genre-Cocktail miteinander kollidieren.
Fast 13 Jahre ist es her, dass Square Enix seinen skurrilen Genre-Cocktail zum letzten Mal auf die Fans losgelassen hat - seitdem wurde die Community mit Remakes, Compilations und
Handheld-Spin-Offs vertröstet. Dass sich "Final Fantasy"-Designer Tetsuya Nomura und sein Team jetzt doch noch dazu haben hinreißen lassen, "Kingdom Hearts 3" aus der Entwicklungs-Hölle in die
Freiheit zu entlassen, ist für Fans der Serie wie Weihnachten, Geburtstag, Veröffentlichung einer neuen Konsolen-Generation und Erstkontakt mit Außerirdischen auf einmal.
Dass trotzdem längst nicht jeder Freund des japanischen Rollenspiel-Fachs an dem Titel seine Freunde haben wird, liegt an der speziellen Natur der Serie: Die stützt sich nämlich nicht nur auf
Nomuras "Final Fantasy"-typische Charakter-Designs, sondern importiert obendrein Figuren aus dem Entenhausen-Kosmos, um sie an der Seite von Serien-Frontmann Sora durch die verschiedensten
Disney-Kinofilm-Kosmen spazieren zu lassen. Für Teil 3 hat Square Enix vor allem neuere Disney-Stoffe lizenziert, darunter Realfilme wie ein nahezu fotorealistisch umgesetztes "Fluch der
Karibik"-Szenario oder Versatzstücke aus Computer-animierten Filme. Als Vorzeige-Szenario lockt man hier in das liebevoll umgesetzte Spielzeug-Universu aus Pixars "Toy Story", ansonsten laden die
märchenhaften Welten aus "Die Eiskönigin: völlig unverfroren" und "Rapunzel: neu verföhnt" zum Tanz. Selbst Möchtegern-Superheld "Baymax" und seine Freunde geben sich die Ehre. Ein klassisches
Trickfilm-Szenario hat lediglich der griechische Halbgott "Hercules" vor, der 2002 bereits für Teil 1 die Muskeln spielen ließ.
Manchmal spielt das Helden-Trio aus Sora, Goofy und Donald Duck nach dem Besuch einer neuen Filmwelt eine leicht modifizierte Version der Filmhandlung nach, doch meistens erzählen die bekannten
Kino-Charaktere und ihre Heimat neue, extra für das Spiel geschriebene Geschichten. Erzählerische Geniestreiche darf man davon allerdings nicht erwarten, die meisten Erzählungen rangieren auf
Grundschul-Niveau. Umso erstaunlicher, dass der überbordende Erzähl-Rahmen, der all die verschiedenen Universen zusammenhält, mehr denn je als echtes Schwergewicht daherkommt: Da geht es um
miteinander kollidierende Kosmen, Geheimbünde, parallele Identitäten und jede Menge esoterischen Schnickschnack, für dessen tieferes Verständnis man ein extra "Kingdom Hearts"-Diplom braucht. Für
Teil 3 hätte Square Enix die Chance gehabt, das wild wuchernde Erzählgerüst auf ein übersichtliches und vor allem Einstiegs-freundliches Maß zu stutzen, aber stattdessen sperrt man konsequent
alle jene Spieler aus, die einfach nur ein knuffig präsentiertes Action-Rollenspiel voller liebenswerter Figuren und popkultureller Zitate genießen möchten.
Zumal sich das Spiel bei Level-Aufbau und Kampfsystem denkbar einfach gibt: Wie seine Vorgänger beschränkt sich auch "Kingdom Hearts 3" auf eng abgesteckte oder schlauchartig aufgebaute Szenarien
mit kleinem Bewegungsradius. Anstatt den Entdecker zu spielen, hangelt man sich hier von Film-Sequenz zu Film-Sequenz und klappert Kampf-Arenen ab, in denen man sich Sora & Co. einmal mehr
den Herzlosen stellen - finsteren Gestalten unter dem Kommando der bösen "Dornröschen"-Fee Maleficent (Trickfilm-Version) und Mickys Erzfeind Kater Karlo.
Wer die Fieslinge auf dem niedrigsten von drei Schwierigkeitsgraden von der Platte putzt, erlebt dabei leichtgängige und effektvolle Echtzeit-Schlachten, die obendrein in fulminanten
Spezialmanövern gipfeln - wie etwa einem vernichtenden Teetassen-Karussell, einer Schlachtschiffs-Schaukel oder der Fahrt in einem Kanonen-bewehrten Autoscooter. Doch bereits auf mittleren
Spiel-Niveau wird's knifflig: Dann offenbaren die Duelle eine taktische Tiefe, die leider von ihrer hakeligen Steuerung und einer zickigen Kamera sabotiert werden - Frust ist hier
vorprogrammiert.
Besser also, man versteht "Kingdom Hearts 3" als pures Spektakel: Solange man den unnötigen Story-Ballast und die höheren Schwierigkeitsgrade konsequent ignoriert, kann man mit dem eigenwilligen,
aber liebevoll präsentierten Genre- und Medien-Mix seinen Spaß haben. Der nimmt sich zwar hin und wieder viel zu ernst und spielt sich gelegentlich ein wenig zu sperrig, ist in der Welt der
Videospiele aber immerhin einzigartig. Denn wo sonst kann man griechische Titanen mit einer Schiffschaukel zusammenstauchen oder Goofy und Donald dabei beobachten, wie sie Abenteuer an der Seite
von Jack Sparrow erleben?
Note: 7.5 (GUT)
WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend