Postapokalypse in Pink: Far Cry – New Dawn


 

Verrückte Killer-Zwillinge, Highway-Gangs in grell besprühten Schrott-Vehikeln und Huftiere mit fluoreszierendem Geweih: "New Dawn" knüpft direkt an das Untergangs-Ende von "Far Cry 5" an und zeigt das 'Hope County' aus postapokalyptischer Perspektive. Irgendwo zwischen "Fallout" und knallbuntem Drogen-Trip.

KRITIK • PS4, Xbox, PC • Mit üblicherweise jährlichen Iterationen zu Spiele-Serien wie "Assassin's Creed" oder "Far Cry" gehört Ubisoft zu den Herstellern, denen man gerne skrupelloses Recycling vorwirft: Um seine in schneller Schlagzahl veröffentlichten Fortsetzungen trotz gigantischer Spielwelten funktionstüchtig zu halten, übernimmt man gerne Konzepte, Mechanismen und sogar Welten-Bausteine von einem Spiel ins andere – sehr zum Unmut vieler Serien-Fans, die sich zunehmend über die Wiederholungstaten beschweren. Mit "Far Cry: New Dawn" treibt der Hersteller diese Unart auf die Spitze – liefert aber trotzdem ein Spielerlebnis ab, das tadellos funktioniert. Aller Innovationsarmut zum Trotz.

Aber wie geht das?

Zum einen ist "New Dawn" bei all seiner Asset-, Story- und sogar Weltkarten-Wiederverwertung der ehrlichste Recyling-Vertreter der Serie. Denn die ebenfalls im "Hope County" angesiedelte Action-Novelle macht keinen Hehl daraus, dass sie sich bei Teil 5 gütlich gut. Immerhin knüpft sie unmittelbar an den Kampf gegen "Eden's Gate" an und ist damit der erste Teil der seit fast 15 Jahren aktiven Serie, der die Geschichte eines anderen direkt weitererzählt.

Zur Erinnerung: Das letzte "Far Cry" entführte uns weder in die Tropen noch in entlegene Berg-Regionen oder die Urzeit - stattdessen stromerten wir mit Knarre, Bogen und Angel bewaffnet durch das ländliche Montana, um dort - zwischen Jagd, Maschinengewehr-Geknatter und Sightseeing - der fanatischen Weltuntergangs-Sekte "Eden's Gate" und ihrem selbsternannten Propheten Joseph Seed auf die Finger zu klopfen (oder besser: sie ihnen gleich abzuhacken). Letzterer hatte eine Gruppe aus bärtigen Hipster-Hippies zusammengetrommelt, die mit Gewalt, Drogen und frommen Sprüchen den im "Hope County" grassierenden Prepper-Virus auf die Spitze trieben, in dem sie ihre Schäfchen in gigantische unterirdische Bunker trieben, um dort in stiller (und natürlich schwer bewaffneter) Andacht auf den dräuenden Untergang zu warten. Und tatsächlich: Nachdem man das ganze Spiel damit verbracht hatte, Joseph und seine Gewalt-geilen Apostel mit vorgehaltener Knarre von ihrem schrägen Glauben abzubringen, entpuppten sich die wirren Fantasien der Sektierer am Ende als wahr: Die letzten Spielminuten in "Far Cry 5" verbringen wir damit, ungläubig in den Himmel zu starren, während überall Atompilze sprießen. Joseph Seed hatte die ganze Zeit über Recht – und zu allem Überfluss müssen wir das Ende der Welt auch noch gemeinsam mit ihm in einem Bunker verbringen. Das ist nicht nur ein erstaunlich düsteres Ende – obendrein stellt es geschickt die mehrere dutzend Spielstunden dauernde Metzel-Mission des Helden in Frage. Wofür das alles???

 



 

Knappe 20 Jahre später hat sich das im nuklearen Feuer verglühte Hope County überraschend schnell von dem großen Knall erholt: Als sich die Überlebenden aus ihren Bunkern trauen, werden sie von einem Meer aus fremdartigen, bunten Blumen, neuen Pflanzenarten und mutierten Tieren erwartet – darunter weiße Huftiere mit rotem, fluoreszierendem Geweih, riesige weiße Wölfe und Vielfraße mit glühenden Augen. Ubisoft beantwortet die trostlosen Zukunftsvisionen der "Fallout"-Serie mit natürlichen und vergleichsweise sparsam mutiertem Überfluss – die Reise durch das postapokalyptische Hope County ist ein greller, neonfarbener Drogen-Trip. Ein wunderschöner Alptraum in Pink. Doch eine Sache hat Ubisofts "After the Bomb"-Szenario mit den Endzeit-Visionen der Bethesda-Designer gemeinsam: Auch sie bedienen sich bei "Mad Max" und wählen eine Bande aus durchgeknallten "Highwaymen" als Widersacher, die mit schrill besprühten, fahrenden Ersatzteillagern Terror verbreiten. Und angeführt werden diese "HighwayMEN" passenderweise von zwei Damen – einem durchgeknallten Zwillingspärchen, das sich zwar alle Mühe gibt, dem Serien-Image der irren Bösewichter gerecht zu werden, dabei aber die meiste Zeit über eher gezwungen, als glaubhaft irre rüberkommt. Aber sei's drum – die Fieslings-Taktik der Serie ging bereits mit Teil 4 nicht mehr richtig auf.

Was dafür umso besser funktioniert, dass ist der neue und ungewohnt direkte, schnörkellose Einstieg ins Abenteuer: Genauso wie die Highwayman fackelt "New Dawn" nicht lange, bis es zur Sache kommt. Als Gefolgsmann eines Weltverbesserers names 'Rush' soll man in dem bereits aus Teil 5 bekannten Tal für Ordnung sorgen, die zu quietschigen J-Pop-Rhythmen mordende Gang sprengen und dem Namen der Überlebenden-Siedlung 'Prosperity' alle Ehre machen. Nach einer kurzen Einführung in Geschichte und ein neues Crafting-System geht's dann auch schon rund: Die Sorte flotter und von physikalischen Effekten unterstützter Feuergefechte, wie man sie an der Serie schätzt, sind bereits nach wenigen Minuten Normalität – und zusätzlich zu aus Episode 5 bekannten Bleipusten wird das Arsenal durch postapokalyptische Extras wie einen selbstgebastelten Sägeblatt-Werfer ergänzt, der von Objekten bzw. Gegnern abprallt und mit ein bisschen Glück gleich mehrere Highway-Legionäre auf einmal in die Hölle der Zerteilung befördert.
Überhaupt spielen "Selbstgemachtes" und die dafür nötigen Ressourcen diesmal eine große Rolle: Weil es Schießprügel, Munition & Co. in der (überraschend idyllischen) Endzeit nicht im Geschäft um die Ecke gibt, muss man notgedrungen selber an die Werkbank, um aus Schrott, Klebeband & Co. eine Behelfslösung zu konstruieren. Klebt, hält und macht mächtig Aua – passt. 

Weil "New Dawn" bei all dem das gleiche Szenario verwendet wie der letzte Hauptteil der Serie, mussten Ubisofts Grafiker das bekannte Setting nicht von Grund auf neu gestalten, sondern nur neu "herrichten": Wer den Vorgänger gespielt hat, der entdeckt schnell die von knallbunten Pflanzen überwucherten oder zur Hälfte unter Sanddünen begrabenen Überreste von bekannten Gebäuden wie dem 'Fang-Zentrum', einer Ortschaft, dem Mega-Bunker der 'Eden's Gate'-Spinner oder ehemaliger Ranger-Stationen – allesamt in eine zumindest teilweise neue Topographie gebettet sowie komplett neu bepflanzt und bevölkert. Ach ja, und alte Bekannte trifft man auch: Wer sich Charaktere wie Grace oder Pater Jerome erinnert, dem stehen witzige bis tragische Überraschungen ins Zockerstüblein. Ach ja… und was ist eigentlich aus Joseph Seed geworden?

Ebenfalls mit von der Partie sind die Angehörigen einer deutlich jüngeren, in die Postapokalypse hineingeborenen Generation, die das popkulturelle Erbe ihrer Eltern auf ebenso launige wie traurige Weise in ihre eigene Sprache transformiert haben. Schon mal von Wikibeania gehört? Oder von der Spruchweisheit: "Wäschst Du mir meinen Rücken, wasch ich Dir Deinen?" Und was ist eigentlich ein Internet?

 



 

Das is zwar manchmal hochgradig fremdschämig, lässt aber zumindest diejenigen Spieler, die den Vorgänger bis zum Ende beackert haben, auf packende Weise an der mal schönen, mal erschreckenden neuen Welt teilhaben. Ubisoft schafft damit das Kunststück, den ersten Endzeit-Shooter zu erschaffen, dessen Szenario man bereits VOR dem Knall kannte. Ein Kniff, der – so ärgerlich es im Grunde auch sein mag – das Asset- und Szenario-Recycling auf faszinierende Weise legitimiert. Zumal das "Far Cry 5"-Spin-Off per Listenpreis nur circa 45 Euro kostet und bei manchem Key-Seller (PC-Version) schon für um die 20 Euro zu haben ist – also zum Add-On-Nice-Price. Denn genau hier haben wir den Knackpunkt: Trotz aller Sympathie ist "New Dawn" kaum mehr als eine extrem umfangreiche Erweiterung, für deren Genuss man – wie das mit Erweiterungen nun mal so ist – obendrein das Hauptspiel gezockt haben sollte.

Wer unter dieser Prämisse Spaß haben kann, der ist im (zumindest im übertragenen Sinne) verstrahlten Hope County gut aufgehoben. Auch im Direktvergleich mit dem ebenfalls noch top-aktuellen "Metro: Exodus" schneidet "New Dawn" überraschend gut ab: Szenario-seitig ist die Postapokalypse à la "Far Cry" nicht annähernd so detailliert, visionär oder Horror-lastig wie der nukleare Ego-Trip von 4A, aber als Shooter kann Ubisofts routiniert produzierter Endzeit-Knallfrosch mehr punkten. Kurzum: "Metro: Exodus" und "Far Cry: New Dawn" zeigen sich gegenseitig, was beim jeweils anderen schief und was richtig gelaufen ist. Eine Kombination aus beiden Spielen wäre das perfekte Spiel für den Untergang: Während es draußen Atombomben regnet, spielen wir "Metro: New Dawn" oder "Far Cry: Exodus". Hoffentlich gibt's auch weiterhin Strom, um Heimkino und Konsole zu betreiben!

 

Note: 8.0 (GUT)

 

 



WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend