Gepanzerte Gorillas, die mit gefletschten Zähnen über das Schlachtfeld toben, wild umher teleportierende Teenage-Girls, knallharte Scharfschützen-Luder mit hautenger Cyber-Armor, maskierte Revolverhelden und kulleräugige Manga-Mädels hinter den Kontrollen von waffenstarrenden Mini-Mechs: Das ist die Welt von "Overwatch", mit dem der "Warcraft"- und "Diablo"-Hersteller seit einigen Tagen die neu entdeckte Welt der "MOBA"-Shooter bereichert. Gemeint sind Baller-Schlachten, mit denen die Entwickler die Vorzüge von gleich zwei unterschiedlichen Spiele-Genres in einem hektischen Hybriden vereinen: Ich-Perspektive und Action-Handhabe werden aus der Ego-Shooter-Welt der "Call of Duty"- und "Battlefield"-Bildschirmkriege importiert – der Rest der Spiele-Logik dagegen stammt aus dem vergleichsweise jungen Spiele-Genre der "Multiplayer Online Battle Arena" – kurz "MOBA".
Die Platzhirsche dieser Games-Gattung sind "League of Legends" ("LoL") und "Defense of the Ancientes" ("DotA") – beides Spiele, die besonders in Asien hunderttausende Spieler aktivieren und deren Turnier-Austragungen ganze Sport-Stadien füllen. Mit "Heroes of the Storm" hat Blizzard seit Anfang 2015 sein eigenes MOBA-Team im Rennen – doch die Sorte Wellen, die man sonst vom "Diablo"-Hersteller gewöhnt ist, hat der Titel bisher nicht geschlagen.
Mit "Overwatch" bekommt man das hoffentlich besser hin: Das bietet immerhin 21 sympathische Helden, damit jeder Spielertyp die richtige Identfikationsfigur zur Hand hat. Und tatsächlich: Von
super-sympathisch über ober-niedlich bis hin zu "düster und ehrfurchtgebietend" findet sich hier so ziemlich alles, was der Egomane von Welt für seinen Shooter-Park braucht. Wesentlich wichtiger
als das visuelle Design der Figuren sind allerdings ihre Fähigkeiten – und nirgendwo blitzt die MOBA-DNA von "Overwatch" so deutlich durch wie hier. Denn MOBAs definieren sich vor allem über das
Multiplayer-seitige Zusammenspiel grundverschiedener Charaktere, die sich mit Hilfe ihrer individuellen Talente gegenseitig ergänzen. Besonders breitschultrige Kollegen mit viel Lebensenergie
marschieren als Treffer-Fang vorneweg, während wendige Charaktere wie die flinke Tracer Verwirrung stiften. Inzwischen sorgen Fernkämpfer aus der hinteren Reihe mit schweren Geschützen für
Verheerung. Oder unterstützen die sogenannten 'Support'-Charaktere ihre ledierten Kollegen – zum Beispiel, indem sie Schutzschilder aufbauen und ihre Mitstreiter durch einen heilsamen
Energie-Regen spazieren lassen.
An dieser Stelle hat es sich aber auch schon mit den im Vorfeld angepriesenen Verwandtschaften zum MOBA-Genre: Denn abseits davon gibt sich "Overwatch" wie ein konventioneller Shooter, bei dem
sich zwei Sechser-Teams in ausgedehten Arenen tüchtig Saures geben. Durchladen, schießen, laufen, weiterballern – und das inmitten Comic-artig präsentierter Szenarien. Wie in Russland, im
Schatten von Cheops-Pyramiden und Sphynx oder in einem viktorianisch-futuristischen London. Eine griffige Steuerung und nicht zuletzt das komfortable Tutorial sollen dabei garantieren, dass auch
Einsteiger den Weg ins knallige Gewusel schaffen – leider finden gerade Neulinge vor dem eigentlichen Waffengang zu wenig Zeit, um sich in das vielfältige Fähigkeiten-Portfolio
hineinzuarbeiten. Zwei bereits zu Anfang verfügbare Basis-Fertigkeiten sowie eine Spezial-Attacke, die sich erst allmählich auffüllt: Das ist zwar im Grunde überschaubar, aber die richtigen
Einsatzmöglichkeiten für diese 'Skills' zu lernen – das ist hier die wahre Kunst. Und die zu meistern, das fällt inmitten all der stahlharten Profi-Gamer, die das "Overwatch"-Kampfgeschehen
aktuell dominieren, nicht eben leicht.
Schade, dass Blizzard nicht wenigstens eine kurze Einzelspieler-Kampagne ins Spiel integriert hat, um gerade Newcomern ein gemütlicheres "Warmwerden" zu erlauben – außerdem hätte es dabei
geholfen, das schräge Comic-Universum einzuführen, vor dessen Hintergrund die Schlachten stattfinden. Warum und worum wird hier gekämpft – und durch wen? Antworten auf derartige Fragen geben
nur die zahlreichen Video-Sequenzen, mit denen Blizzard seine Arena-Ballerei bereits im Vorfeld der Veröffentlichung beworben hat und die das Bild einer von Chaos und Verbrechen gebeutelten
zeichnen, in der nur noch die Mitglieder der "Overwatch" Recht und Ordnung schaffen können. Klarer Fall: Das Video-Intro ist zwar ausgesprochen charmant – aber eine immersive Einführung
sieht anders aus. Überhaupt wirkt "Overwatch" in vielerlei Hinsicht unfertig: Keine Kampagne, gerade mal drei Spielmodi – und dafür werden rund 60 aufgerufen. Das ist trotz der über jeden
Zweifel erhabenen Spielbalance und der grandiosen Charaktere ganz klar zu viel – hier muss dringend nachgebessert werden. Darüber hinaus richtet sich "Overwatch" vor allem an Genre-Profis:
Die finden schnell rein und haben zumindest so lange jede Menge Spaß, bis sich der Reiz der bisherigen Spielinhalte erschöpft hat.
Im Direktvergleich mit dem ähnlich angelegten "Battleborn" von Gearbox schneidet "Overwatch" zumindest auf spielerischer Seite besser ab: Der Blizzard-Titel ist handlicher, direkter, glänzt durch
deutlich mehr Feinschliff und bietet allgemein das bessere Spielgefühl. Hier wird zwar nicht viel geboten – aber das, was geboten wird, das ist nahezu perfekt. Nur wenn es um den schieren
Spielumfang geht, hat "Battleborn" die Nase vorn.
Runde 1 in der Schlacht um das neu gegründete Action-Genre der "MOBA-Shooter" geht also trotz Umfangs-Defizit – wenn auch nur knapp – an "Overwatch".
8.0
gut
Grafik: gut
Sound: gut
Steuerung: sehr gut
Spielspaß: gut