"Final Fantasy XV" ist sowohl Märchen als auch ein bizarrer Roadtrip mit einer königlichen Boyband. Gleichzeitig kommt ihm die Rolle zu, die ins Wanken geraten Erfolgsreihe zu rehabilitieren und mithilfe eines neuartigen Open-World-Ansatzes auch bei westlichen Gamern wieder auf den Spielplan zu bringen. Ob das gelingen kann?
Begleitet von der fünfteiligen Anime-Serie "Brotherhood" auf Youtube und dem Animationfilm "Kingsglaive" hat es das Mammut-Rollenspiel "Final Fantasy XV" endlich auf den Markt geschafft -
nach über zehn Jahren Entwicklungszeit. Ungewohnt: Bevor Square Enix zur gewohnt dramatisch-bombastischen Geschichte übergeht, muss sich der Spieler eine Art Open-World-Szenario arbeiten. Das ist
zwar nicht annähernd so offen oder groß wie es zunächst den Anschein hat, ist für die Serie aber ein Novum. Und wird Prinz Noctis samt unreifem Boyband-Gefolge dabei in Kämpfe gegen teils
gigantische Monster verwickelt, wird neuerdings blitzschnell in Echtzeit, und nicht mehr Runde für Runde gefochten. Magie und Moderne, Pop und Klassik, Science Fiction und neuerdings noch ein
gehöriger Schuss Wild West - hier werden sie gekonnt vereint. In einer Erfolgsreihe, die sich insgesamt zwar über 135 Millionen Mal verkauft hat, zuletzt aber mit immer mehr Kritik und stetig
sinkenden Zahlen zu kämpfen hatte. Teil 15 soll die veralteten Mechanismen jetzt neu erfinden und sie westlichen Genre-Schwergewichten wie einem "Witcher" näherbringen. Kann das
gelingen?
Mit "Final Fantasy 7" für die Ur-PlayStation hat sich Squaresoft ein ewiges Denkmal gesetzt: 1997 war der Titel maßgeblich verantwortlich für den Verkaufserfolg der noch jungen PlayStation - und
seine Erfolgsformel dominiert das Subgenre des japanischen Rollenspiels bis heute. Doch wenn es darum geht, diese Rezeptur neu zu erfinden oder zu modernisieren, dann tun sich die
traditionsbewussten Japaner sichtlich schwer. Resultat: Im Westen hat das "JRPG" dramatisch an Bedeutung verloren, anstelle von "Final Fantasy" & Co. brechen heute das polnische "Witcher"
oder US-RPGs wie "Fallout 4" und "Mass Effect" Verkaufsrekorde.
Mit Teil 15 will Square Enix diesen Missstand wieder beheben: Ursprünglich stammt das Abenteuer um den jungen Prinzen Noctis und seine schwatzhafte Emo-Männertruppe aus dem Dunstkreis des
ungeliebten "Final Fantasy 13". Unter dem Titel "Final Fantasy vs. 13" sollte es ursprünglich das Kunststück schaffen, die Marke noch zu PS3-Zeiten dem westlichen Markt weiter anzunähern – mit
einem Action-gepolten Kampfsystem und drastischer Regel-Schlankheitskur als wichtigste Zutaten. Zur Produktionsreife hat es der vielversprechende Ansatz allerdings nie geschafft – darum
präsentiert Square Enix ihn jetzt in veränderter Form als "Final Fantasy 15".
Kaum verwunderlich, dass man dem fertigen Produkt die rund zehnjährige Ochsentour deutlich ansieht: Hier prallen zwei Technik-Generationen und so viele verschiedene Design-Ansätze aufeinander,
dass sich die Fantasy-Welt Eos und ihr spielerischer Unterbau mitunter wie ein Flickenteppich anfühlen. Ein Flickenteppich zwar, mit dem man Spaß haben kann, der seinen westlichen Genre-Kollegen
aber zu keiner Sekunde das Wasser reicht: Die Bemühungen der Entwickler, Eos in eine offene Spielwelt nach dem Vorbild eines "Skyrim" oder "Witcher" zu verwandeln, ist nicht nur gescheitert… sie
führen auch noch dazu, dass Square seine größte Stärke – nämlich die bombastische Inszenierung epischer Ereignisse – empfindlich lange vernachlässigt. Ein Defizit, den der Open-World-Ansatz des
Spiels nicht mal annähernd auffängt: Hochaufgelöste Texturen und eine hübsche Skyline könne nicht darüber hinwegtäuschen, dass Eos wenig mehr ist als eine platte, sterile Ebene, aus der hin und
wieder Grasbüschel, Bäume oder ein paar Felsen wachsen – Open-World-Design, wie man es heute sonst nur noch in MMORPGs findet. Wer darauf hofft, wie bei den Abenteuern eines Geralt von Riva oder
in einem "Skyrim" eine Spielwelt mit Sightseeing-Potential zu erleben, wird leider enttäuscht. Die Spaziergänge durch das Hinterland von Eos sind keine erquicklichen Spaziergänge, sondern lästige
Pflicht-Übungen: Latschen – Killen – Latschen – Sammeln – Schlafen – Einkaufen – Latschen – Latschen – Latschen – Futterpause – noch mehr Latschen – und schon wieder einen langweiligen Botengang
erledigen.
Das ist zwar die Grundessenz so ziemlich jeden Rollenspiels, doch die besten Vertreter ihrer Zunft verstehen es, uns die Pflicht so sehr zu versüßen, dass wir sie gar nicht mehr als solche wahrnehmen. Sie kaschieren die Lauf- und Ritt-Strecken, indem sie wundervoll detailreiche, organische und vor allem lebendige Schauplätze vor uns ausbreiten – so schön, dass wir sie gar nicht mehr verlassen wollen. Und sie garnieren die eigentlich stinklangweiligen Botengänge, die wir für ihre Bewohner absolvieren mit packenden, kleinen Geschichten. Nicht so dagegen "Final Fantasy 15": Hier wird das Skelett des Genres nahezu schonungslos entblößt. Und zeigen die Designer des Spiels, worauf es ihnen augenscheinlich am meisten ankommt: Nicht auf die Gestaltung einer Welt oder ihrer Bewohner, sondern um sterbensschöne Helden in schicken Klamotten, geniales Monster-Design und filigran gearbeite Regelmechanismen, deren Zahnräder perfekt ineinandergreifen. Wer von einem RPG genau das erwartet, der wird mit "FF 15" vermutlich glücklich – wen dagegen vor allem die Verheißung einer offenen Spielwelt lockt, der sollte es sich zweimal überlegen, ob er dem Stillleben von Eos eine Chance geben will.
Immerhin bleibt der Road-Trip von Noctis und seiner Gang nicht so dröge wie er anfängt: Zur Halbzeit nimmt die Kampagne des Spiels merklich an Fahrt auf – und zwar in genau dem Moment, in dem man die Offenheit der Welt zugunsten der Geradlinigkeit einer klassischen "Final Fantasy"-Story zu vernachlässigen beginnt. Hier bekommen Serien-Fans endlich wieder die Sorte Inszenierungs-Bombast, den sie gewöhnt sind – hier ist die finale Fantastik wieder ganz in ihrem angestammten Element.
Als lockeres und mit Fantasy-Elementen angereichertes Roadmovie funktioniert Teil 15 aber auch in der offenen Welt zumindest zeitweise überraschend gut – nicht etwa, weil das Welten-Design mit der Zeit zulegen würde, sondern weil es den Entwicklern gelungen ist, den richtigen Erzähl-Gang einzulegen. So sind Noctis und seine Crew zwar unfassbare Nervtöter – doch so wenig ihre aufgesetzte Coolness zu den tragischen Ereignissen des Spiels passen will, so schafft sie es doch, die Tonart und Unbeschwertheit eines fantastischen Roadmovies zu treffen.
Verblüffend harmonisch verträgt sich dieses Szenario mit Ausritten auf drolligen Chocobo-Piepmätzen, turmhohen Godzilla-Bestien und launigen Reminiszenzen an die 16Bit-Episoden der Serie. Solange man das ungewöhnliche Setting nicht logisch zu hinterfragen beginnt, funktioniert es hervorragend.
Gewöhnungsbedürftig sind allerdings die Fahrten hinter dem Steuer der fürstlichen Staats-Karosse: Anders als in modernen Open-World-Games á la "GTA 5" oder "Mafia 3" lässt sich das luxuriöse Gefährt nicht frei über Stock und Stein pilotieren – stattdessen muss es schnurstracks dem Straßenverlauf folgen und darf nur gelegentlich zum Boxenstopp ausscheren. Wollen Noctis & Co. das Gelände abseits der Highways erkunden, müssen sie aussteigen – auf zum fröhlichen Gelatsche… bis die Heldensocken qualmen. Auch hier verzichtet "FF 15" darauf, dem Bewegungsdrang der Spieler Raum zu geben – stattdessen fesselt man sie an vorgeschriebene Kurse und zersägt die Spielwelt mit Hilfe ihres Straßennetzes in kleine Häppchen.
Etwas spannender als die Fahrten im überwiegend mit offenem Verdeck durch die Spielwelt gondelnden 'Regalia' ist das auf Action gebürstete Kampfsystem – auch wenn es längst nicht so zugänglich
ausfällt, wie es sich gibt: Unter der dynamisch präsentierten Echtzeit-Oberfläche schlummert ein bürokratisches Schwergewicht, das seine Mechanismen nur zaghaft und unbequem vermittelt.
Serien-Profis können hier ungeniert die Taktik-Muskeln spielen lassen – die zu Spielbeginn so herzlich eingeladenen Neueinsteiger dagegen raufen sich frustriert die Haare und strafen den
Begrüßungsvers "Ein Final Fantasy für Profis und Neueinsteiger" buchstäblich Lügen. Dabei gibt es auch hier Elemente mit Klassiker-Potenzial: Wie zum Beispiel ein raffiniertes System für den
Zauberspruch-Eigenbau. Oder den "Schwert-Warp", bei dem Prinz Noctis seine Waffe zuerst in den Feindpulk schleudert, um anschließend hinterher zu teleportieren und seinem Eröffnungshieb auf diese
Weise mehr Wucht zu verleihen.
Wer viel Erfahrung mit japanischen Genre-Vertretern hat, wird auch mit diesem "Final Fantasy" seinen Spaß haben, allerdings muss er ihm dafür ungewöhnlich viele Schwächen verzeihen: Darunter veraltete Technik, ein im Vergleich zu westlichen RPGs geradezu rückständiger Open-World-Ansatz und eindimensionale Papp-Helden mit schwindelerregend hohem Fremdschäm-Faktor. Ergebnis: Viel Fan-Service, der zwar solide unterhält, aber die zunehmende Erosion der altehrwürdigen Marke kaum verhindern kann. Dafür hätte man sich entweder mehr auf die klassischen Serien-Tugenden oder aber eine konsequentere Rundum-Erneuerung einlassen müssen. Immerhin: Auf der PS4 Pro bietet das Abenteuer optionale Grafikeinstellungen, die es entweder flüssiger machen oder spürbar aufhübschen.
Ausgesprochene "FF"-Traditionalisten sollten sich übrigens lieber das knuffigere "World of Final Fantasy" ansehen: Hier wird das Erbe der Reihe wesentlich geschickter reflektiert. (rb)
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