Through the Darkest of Times: Eine interaktive Lehrstunde über Angst, Hass und Widerstand gegen rechten Terror


 

Hitlers Erben sind aktuell so aktiv wie lange nicht mehr. Genau die richtige Zeit, um sich an das zu erinnern, was nie wieder passieren darf – zum Beispiel mit "Through the Darkest of Times". Der engagierte Debüt-Titel aus dem Berliner Indie-Studio Paintbucket zeigt, wie modernes Spiele-Storytelling mit dem Nazi-Terror umgehen sollte. Und wie gut das ohne Gewehrlauf bzw. die Pflege eines eigenen digitalen Täter-Profils funktionieren kann.

 

KRITIK • PC, Mac • Berlin. Zornige Horden marodieren durch die deutsche Hauptstadt, pöbeln gegen Juden oder Ausländer und fordern mit drohend erhobenen Fäusten eine Wende. Und ja, diese Szene könnte zwar in der Gegenwart spielen, tut sie aber nicht. Vielmehr liegt sie über 80 Jahre zurück. Und sie ist Teil der interaktiven Geschichtsstunde "Through the Darkest of Times" vom Berliner Indie-Entwickler Paintbucket. Dessen Gründer Jörg Friedrich und Sebastian St. Schulz hatten bis vor einigen Jahren einen vergleichsweise bequemen Job beim ebenfalls in Berlin gelegenen Studio YAGER – aber dann haben sich beide dafür entschieden, den sicheren Arbeitsplatz gegen eine eigene Firma und politisches Engagement in Spiele-Form einzutauschen. Engagement gegen Rechts.

Wie dringend nötig das ist, zeigt die aktuelle Lage: Rechter Terror, AfD-seitig herbeigeführte Parteien-Krise, Brexit-Gepolter aus Richtung Großbritannien, präsidiales Twitter-Bombardement in den USA und Demokratie-Abschaffung in Polen bzw. Ungarn – fast überall sind rechte Populisten, Radikale und Extremisten auf dem Vormarsch, um ihre Vision von einer (zumindest für sie) lebenswerten Welt umzusetzen.

Was das für all anderen bedeuten kann, zeigt der Blick zurück: 1933 wird Adolf Hitler durch den damaligen Reichspräsidenten Hindenburg zum deutschen Kanzler ernannt – der Weg für die Schreckensherrschaft der Nazis, die den Tod von 60 bis 65 Millionen Menschen und den Zweiten Weltkrieg zu verantworten hat, ist geebnet. Darunter ungefähr sechs Millionen Juden, die der systematischen Verfolgung des Regimes zum Opfer fallen – 1,1 Millionen davon in den berüchtigten Konzentrationslagern von Auschwitz.

 

Allesamt Ereignisse, die auch nach Kriegsende 1945 ein Jahrzehnte-langes gesellschaftliches Nachbeben zur Folge hatten, das während der letzten Jahre aber zusehends in Vergessenheit zu geraten scheint. Trotz zahlloser Bemühungen, die Erinnerungen mithilfe von Dokumentationen, Büchern, Gedenktagen und natürlich dem Geschichtsunterricht lebendig zu halten. Nur: Was nutzen diese Bemühungen, wenn ihre wichtigste Zielgruppe – nämlich Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene – für diese Medien zunehmend taub werden? Inzwischen gehen rechtspopulistische Geschichtsverweigerer nämlich genau dort auf Anhänger-Fang, wo junge Menschen überwiegend ihre Zeit verbringen: vor dem Computer-Bildschirm.

 




Es ist also an der Zeit, die Erzählungen über die Gräueltaten der Nazi-Zeit auch zum Gegenstand moderner Medien zu machen – insbesondere dem Computer- und Videospiel… dem vermutlich bedeutsamsten Storytelling-Medium der Gegenwart. Klar, Games mit Nazi-Auftritten gibt es jede Menge – vom Granaten-Gewitter in einem "Call of Duty: WW2" bis hin zum satirisch aufgeladenen Humor- und Absurditäten-Dauerfeuer in einem "Wolfenstein: The New Colossus". Zwar geht es in all diesen Spielen GEGEN Hitlers Horden zur Sache, aber eine historische Aufarbeitung der Materie gibt es kaum. Denn das Drama des Zweiten Weltkriegs waren keine gesichtslosen, wild um sich ballernden Armeen – es waren Millionen tragische Einzelschicksale.

Darum nehmen sich die beiden Paintbucket-Gründer und ihr rund zehn Mann starkes Team in "Through the Darkest of Times" einer Seite des Kriegs an, die bisher im digitalen MG-Geknatter der Weltkriegs-Shooter-Maschine unterging: Ihr spielerisch zwar eher seichter, aber erzählerisch feinsinniger Interactive-Novel- und Strategie-Hybrid widmet sich dem Schicksal derjenigen, die bei Hitlers Machtergreifung keine Jubelrufe angestimmt haben. Die verschworene Gemeinschaften bildeten, sich im Untergrund trafen und Pläne schmiedeten, um das Regime dort zu treffen, wo es ganz besonders weh tut – im Innern.

 

Dafür geht Paintbucket zunächst mal einen ungewöhnlichen Weg: Statt einer vordefinierten Figur bietet uns das Spiel einen Charakter aus dem Zufallsgenerator an – eigentlich kein geschickter Erzähl-Kniff, um uns an das Los einer Figur zu binden, richtig?

Denkste: Denn hier geht es nicht darum, ob wir Elfen, Zwerge oder Menschen spielen und dann die Profession des Klerikers, Kriegers oder Blitze-Beschwörers wählen. Nein, hier schlüpfen wir in die Rolle von Juliane Stein (42), Textilarbeiterin und Anarchistin – oder in die des 34-jährigen Kommunisten und Schlossers Oskar Neuberg. Auch der 28 Jahre junge christlich-liberale Lehrer Siegfried Beer möchte den Widerstand stärken – ebenso wie Patrik Hagelstein, 41, Sozialdemokrat bzw. Lehrer und viele, viele andere. Genau diese Art von gesellschaftlichem Querschnitt ist es, der "Through the Darkest of Times" so authentisch und lebendig macht. Zumal sich Profile dieser Art nicht nur auf das Alter Ego des Spielers, sondern auch auf den zunächst sehr kleinen, aber hoffentlich rasch wachsenden Kreis aus Mit-Verschwörern beziehen – obendrein wird die persönliche Geschichte der jeweiligen Widerstandsgruppe von der Gesinnung ihrer Mitglieder geprägt. Je nachdem, wie die verschiedenen Ansichten der Mitglieder zusammen passen oder auseinander driften, können aus ehemaligen Gesinnungsgenossen und Weggefährten leicht Feinde werden, von denen einer den anderen beim Regime anschwärzt. Resultat: Eine Atmosphäre der allgemeinen Verunsicherung macht sich breit.

 



 

Auch der wachsende Einfluss der Nazis macht sich bemerkbar: Ist es anfangs noch vergleichsweise leicht, Materialien für die Herstellung von Plakaten oder Pamphleten zu organisieren und Unterstützer oder Spenden zu gewinnen, wird es für die Gruppe nach dem Reichtstagsbrand vom 27. auf den 28. Februar 1933 immer schwieriger: Hitlers Partei nutzt das Ereignis, um ihren politischen Einfluss weiter zu untermauern und die eigenen Schläger-Trupps auf den Straßen der Hauptstadt zu positionieren. Folge für den Spieler: Der Schwierigkeitsgrad der meisten Unternehmungen steigt dramatisch – und damit die Chance, doch noch aufzufliegen. Entsprechend wichtig ist es, nicht nur clevere Unterhändlern in den eigenen Reihen zu haben, sondern ihnen obendrein kräftige Kollegen zur Seite zu stellen, die es im Zweifelsfall mit den rechten Schlägern aufnehmen können. Alternativ sollte man wenigstens ein schnelles Fahrrad ins Missions-Inventar packen – damit man der braunen Bedrohung wenigstens davon radeln kann.

All das reduziert Paintbucket zwar auf Spielrunde für Spielrunde ablaufendes Karten-Geklicke und auf vereinzelte Multiple-Choice-Momente – aber das läuft ebenso flott wie erzählerisch eindringlich ab. Das mit ganz kleinem Geld entwickelte "Through the Darkest of Times" bietet nur wenige Spielmechanismen, aber die werden geschickt eingesetzt, um die Erzählung zu unterstützen – und nicht, um sie zu behindern. Resultat ist ein dynamischer Spielfluss, der den Gamer immer tiefer in den zunehmend deprimierenden Sog aus Angst, Paranoia und Verrat hinabzieht, der während der Nazi-Zeit quasi für all jene Alltag war, die sich nicht uneingeschränkt an Rassismus, Antisemitismus und Führerkult beteiligen wollten.

Klar: Als Spiel ist der Debüt-Titel der Indie-Berliner kein Pflichtkauf – und die optische Aufbereitung im Stil expressionistischer Kunst-Strömungen, die damals von den Nazis verdammt wurden, ist natürlich extreme Geschmacksache. Aber trotzdem ist die fix durchklickbare Simulation um den Widerstandskampf gegen das Nazi-Regime eines der wichtigsten Spiele, die unsere einheimische Entwickler-Landschaft je hervorgebracht hat: Eine reflektierte Aufarbeitung des Nazi-Terrors aus dem Land der Täter, die obendrein den Horror behandelt, den das Hitler-Regime auch seinen eigenen Landsleuten zugemutet hat, war nicht nur dringend überfällig – außerdem ist sie vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse ein essentieller Beitrag zur Aufklärung. Wer darüber nachdenkt, sein Kreuzchen bei Parteien zu machen, die eifrig an der Wiederauferstehung dieses Horrors arbeiten, sollte die vermeintliche Anti-Nazi-Schießbude vielleicht für ein paar Stunden abschalten, um die Vergangenheit mal nicht über den Gewehrlauf, sondern aus der Perspektive von Opfern zu betrachten. Und solchen Freiheitskämpfern, die nicht mit vorgehaltener Knarre durch ein Meer aus blutverschmierten Leichen waten. (Robert Bannert)

 

Note: 8.0 (GUT)

 

 


WERTUNGEN: 1.0, 1.5, 2.0 = ungenügend • 2.5, 3.0, 3.5 = mangelhaft • 4.0, 4.5, 5.0 = ausreichend • 5.5, 6.0, 6.5 = befriedigend • 7.0, 7.5, 8.0 = gut • 8.5, 9.0, 9.5 = sehr gut • 10 = bahnbrechend